„Das ganze Leben ist Beobachten“
In einem neuen Bildband zeigt der Maler Werner Specht seine künstlerische Finesse
LINDENBERG - Ein Stubenhocker ist dieser Mann nicht. Hinaus in die Natur, zu den Menschen zieht es Werner Specht schon immer. „Draußen sein, malen und zeichnen und mit den Leuten reden, das ist für mich das Schönste“, sagt der 75-Jährige. Und das, was er draußen sieht und hört, verdichtet sich bei ihm zu Geschichten, die er als Liedtexte aufs Papier oder mit dem Pinsel auf die Leinwand bringt.
Malen in der Natur ist für den Westallgäuer Künstler etwas Elementares, ein Lebenselixier. Der Wechsel von Licht und Schatten, Formen und Farben der Landschaft – das fasziniert ihn. Wenn Wolken in Wiesen wandern, dann ist er beispielsweise hin und weg. „Solch einen Moment muss man erleben“, sagt er mit leiser, aber bestimmter Stimme. Und solche Momente hat er schon viele erlebt, wie sein neues Buch deutlich macht. „Bilder haben Geschichten“hat er den voluminösen, 270 Seiten starken Bildband betitelt, in dem er Zeichnungen, Aquarelle und Tempera- und Acrylbilder der letzten zehn Jahre vereint hat, und die in einer Auswahl auch im Kornhaus-Museum in Weiler im Westallgäu zu sehen sind.
In seinem Buch lässt Specht seine Bilder sprechen, verzichtet vielfach auf Angaben wie Titel, Zeit, Ort oder Technik. „Titel führen in die Bilder hinein. Doch jeder Kunstinteressierte sucht sich doch seinen eigenen Weg“, sagt Specht und fügt das obligatorisch-bekräftigende, sanft ausklingende „odr“hinterher, wie es im Westallgäu gebräuchlich ist. Hin und wieder wollte er aber doch nicht auf Titel verzichten. Nach welchem Prinzip er dabei vorging, erschließt sich dem Betrachter nicht. Titel wie „Der Unbekannte“. „Späte Stunde“oder „Vergehende Zeit“führen tatsächlich in die Bilder hinein. Andere wie „Verschneit“oder „Am Fenster“oder „Blumen in der Vase“erscheinen ob der Klarheit der Motive unnötig.
Beim Blättern durch den gehaltvollen Band fällt Spechts malerische und zeichnerische Finesse auf. Es überwiegen – natürlich – Landschaftsbilder. Berge, Felder, Seen, Wolken, Bäume, Zäune, Häuser sind seine bevorzugten Motive. Erstaunlich viele haben einen abstrakten Gestus. So mutet manche Naturszene wie eine Seelenlandschaft an. Und weil Spechts Lieblingsjahreszeiten der Herbst und der Winter sind, dominieren die Farben Gelb, Braun und Grün sowie Blau und Weiß. „Meistens sind es Fantasielandschaften“, sagt der Maler.
Das Motiv Stadt hat er bislang eher ausgespart. Eine Reise an die Ostküste der USA vor zwei Jahren hat ihn jedoch nachhaltig geprägt. So sind einige reizvolle Stadtansichten auf Holzplatten und mit Graphit und Feder Zeichnungen, in denen das Figürliche dominiert, entstanden.
Dass es ihm beim Malen aber nicht um das bloße Abbilden der Wirklichkeit geht, verdeutlicht ein Gemälde, das sich im Buch kommentarlos unmittelbar an amerikanische Stadtansichten anschließt: Zu sehen sind darauf schemenhaft Menschen an einem Strand, der von Hochhäusern gesäumt ist. Das Bild hat seinen Ausgangspunkt jedoch an der Algarve in Portugal, und die vermeintliche HochhausSilhouette war in Wirklichkeit eine felsige Steilküste. Die Reise an die Ostküste der USA war 2015 für Specht auch eine Reise in das Traumland seines Vaters, der 1928 dorthin auswanderte, nach einem Besuch in Deutschland 1935 aber nicht mehr dorthin zurückkehren durfte. Diese Geschichte ist in dem neuen Bildband ebenso zu lesen, wie der Besuch Spechts bei seinem AutoharpBauer Orthey in New Port, von dem er bereits einige sogenannte Kastenzithern besitzt.
Werner Specht liebt besondere Stimmungen, wenn das Land (oder auch die Stadt) am frühen Morgen noch im Zwielicht liegt, ehe die Sonnenstrahlen alles fluten – oder auch wenn das Licht wieder abnimmt. Werner Specht Dann ist er mit seiner Feldstaffelei unterwegs im Moor oder zu einem alten Bauernhof, oder er steht an einer Straßenecke. Schwarz-Weiß-Fotografien von Siegfried Bruckmeier zeigen im Buch, wie der Künstler draußen arbeitet, wie er stets mit Stirnrunzeln versucht, seine Beobachtungen festzuhalten, zu skizzieren.
Letztlich will der Maler die für ihn so spannenden Momente festhalten – um sie später noch einmal zu erleben. „Ein Bild hat einen langen Weg: vom Erleben über die Skizze zum Gemälde“, sagt der 75-Jährige. Beobachten ist für ihn dabei essenziell. Werner Specht geht sogar noch weiter und sagt: „Das ganze Leben ist Beobachten.“
Doch nicht nur die Malerei hat es Specht angetan. Auch die Musik ist für ihn wichtig. Und auch dies hat er in seinem Bildband in Fotos und Texten verewigt. So schreibt er: „Malen und Musik machen mein Leben reicher. Beide sind wie Geschwister und haben für mich dieselben Wurzeln. Meine Gedanken kreisen immer um diese Welt.“
„Malen und Musik machen mein Leben reicher. Beide sind wie Geschwister und haben für mich dieselben Wurzeln. Meine Gedanken kreisen immer um diese Welt.“