Lindauer Zeitung

„Das ganze Leben ist Beobachten“

In einem neuen Bildband zeigt der Maler Werner Specht seine künstleris­che Finesse

- Von Michael Dumler

LINDENBERG - Ein Stubenhock­er ist dieser Mann nicht. Hinaus in die Natur, zu den Menschen zieht es Werner Specht schon immer. „Draußen sein, malen und zeichnen und mit den Leuten reden, das ist für mich das Schönste“, sagt der 75-Jährige. Und das, was er draußen sieht und hört, verdichtet sich bei ihm zu Geschichte­n, die er als Liedtexte aufs Papier oder mit dem Pinsel auf die Leinwand bringt.

Malen in der Natur ist für den Westallgäu­er Künstler etwas Elementare­s, ein Lebenselix­ier. Der Wechsel von Licht und Schatten, Formen und Farben der Landschaft – das fasziniert ihn. Wenn Wolken in Wiesen wandern, dann ist er beispielsw­eise hin und weg. „Solch einen Moment muss man erleben“, sagt er mit leiser, aber bestimmter Stimme. Und solche Momente hat er schon viele erlebt, wie sein neues Buch deutlich macht. „Bilder haben Geschichte­n“hat er den voluminöse­n, 270 Seiten starken Bildband betitelt, in dem er Zeichnunge­n, Aquarelle und Tempera- und Acrylbilde­r der letzten zehn Jahre vereint hat, und die in einer Auswahl auch im Kornhaus-Museum in Weiler im Westallgäu zu sehen sind.

In seinem Buch lässt Specht seine Bilder sprechen, verzichtet vielfach auf Angaben wie Titel, Zeit, Ort oder Technik. „Titel führen in die Bilder hinein. Doch jeder Kunstinter­essierte sucht sich doch seinen eigenen Weg“, sagt Specht und fügt das obligatori­sch-bekräftige­nde, sanft ausklingen­de „odr“hinterher, wie es im Westallgäu gebräuchli­ch ist. Hin und wieder wollte er aber doch nicht auf Titel verzichten. Nach welchem Prinzip er dabei vorging, erschließt sich dem Betrachter nicht. Titel wie „Der Unbekannte“. „Späte Stunde“oder „Vergehende Zeit“führen tatsächlic­h in die Bilder hinein. Andere wie „Verschneit“oder „Am Fenster“oder „Blumen in der Vase“erscheinen ob der Klarheit der Motive unnötig.

Beim Blättern durch den gehaltvoll­en Band fällt Spechts malerische und zeichneris­che Finesse auf. Es überwiegen – natürlich – Landschaft­sbilder. Berge, Felder, Seen, Wolken, Bäume, Zäune, Häuser sind seine bevorzugte­n Motive. Erstaunlic­h viele haben einen abstrakten Gestus. So mutet manche Naturszene wie eine Seelenland­schaft an. Und weil Spechts Lieblingsj­ahreszeite­n der Herbst und der Winter sind, dominieren die Farben Gelb, Braun und Grün sowie Blau und Weiß. „Meistens sind es Fantasiela­ndschaften“, sagt der Maler.

Das Motiv Stadt hat er bislang eher ausgespart. Eine Reise an die Ostküste der USA vor zwei Jahren hat ihn jedoch nachhaltig geprägt. So sind einige reizvolle Stadtansic­hten auf Holzplatte­n und mit Graphit und Feder Zeichnunge­n, in denen das Figürliche dominiert, entstanden.

Dass es ihm beim Malen aber nicht um das bloße Abbilden der Wirklichke­it geht, verdeutlic­ht ein Gemälde, das sich im Buch kommentarl­os unmittelba­r an amerikanis­che Stadtansic­hten anschließt: Zu sehen sind darauf schemenhaf­t Menschen an einem Strand, der von Hochhäuser­n gesäumt ist. Das Bild hat seinen Ausgangspu­nkt jedoch an der Algarve in Portugal, und die vermeintli­che HochhausSi­lhouette war in Wirklichke­it eine felsige Steilküste. Die Reise an die Ostküste der USA war 2015 für Specht auch eine Reise in das Traumland seines Vaters, der 1928 dorthin auswandert­e, nach einem Besuch in Deutschlan­d 1935 aber nicht mehr dorthin zurückkehr­en durfte. Diese Geschichte ist in dem neuen Bildband ebenso zu lesen, wie der Besuch Spechts bei seinem AutoharpBa­uer Orthey in New Port, von dem er bereits einige sogenannte Kastenzith­ern besitzt.

Werner Specht liebt besondere Stimmungen, wenn das Land (oder auch die Stadt) am frühen Morgen noch im Zwielicht liegt, ehe die Sonnenstra­hlen alles fluten – oder auch wenn das Licht wieder abnimmt. Werner Specht Dann ist er mit seiner Feldstaffe­lei unterwegs im Moor oder zu einem alten Bauernhof, oder er steht an einer Straßeneck­e. Schwarz-Weiß-Fotografie­n von Siegfried Bruckmeier zeigen im Buch, wie der Künstler draußen arbeitet, wie er stets mit Stirnrunze­ln versucht, seine Beobachtun­gen festzuhalt­en, zu skizzieren.

Letztlich will der Maler die für ihn so spannenden Momente festhalten – um sie später noch einmal zu erleben. „Ein Bild hat einen langen Weg: vom Erleben über die Skizze zum Gemälde“, sagt der 75-Jährige. Beobachten ist für ihn dabei essenziell. Werner Specht geht sogar noch weiter und sagt: „Das ganze Leben ist Beobachten.“

Doch nicht nur die Malerei hat es Specht angetan. Auch die Musik ist für ihn wichtig. Und auch dies hat er in seinem Bildband in Fotos und Texten verewigt. So schreibt er: „Malen und Musik machen mein Leben reicher. Beide sind wie Geschwiste­r und haben für mich dieselben Wurzeln. Meine Gedanken kreisen immer um diese Welt.“

„Malen und Musik machen mein Leben reicher. Beide sind wie Geschwiste­r und haben für mich dieselben Wurzeln. Meine Gedanken kreisen immer um diese Welt.“

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FOTO: MATTHIAS BECKER Die Eindrücke einer USA-Reise hat der Maler Werner Specht in einigen Bildern verarbeite­t, die er auch in einem Buch verewigt hat.

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