Die Hex’ vom Bannwaldsee
Ilse Schneider-Lengyel war Gastgeberin des ersten Treffens der „Gruppe 47“– Eine Ausstellung beleuchtet Leben und Werk
SCHWANGAU - Sie ist eine Frau gewesen, die mit dem Motorrad durchs Dorf brauste, Zigarren rauchte, sich extravagant kleidete – und surreale Gedichte schrieb. Für die Dorfbewohner in Schwangau muss Ilse Schneider-Lengyel eine eigenartige Person gewesen sein. Genauer gesagt: eine Frau, die Rätsel aufgab. Vielleicht nannten sie sie deshalb „Die Hex’ vom Bannwaldsee“. In den 1940er-Jahren fanden Allgäuer noch solche Ausdrücke für geheimnisvolle, unkonventionelle, intellektuelle Frauen. Wie auch immer: Nachdem Ilse Schneider-Lengyel 1969 aus Schwangau verschwand wurde sie trotz ihrer Exzentrik bald vergessen.
Als in den 1990er-Jahren im bayerischen Staatsarchiv ihr Nachlass mit vielen Manuskripten, Fotos und Briefen entdeckt wurde, galt das nicht nur als kleine literarische Sensation, sondern bildete auch den Anlass, Leben und Werk der Dichterin, Fotografin, Kunsthistorikerin und Ethnologin der Öffentlichkeit (wieder) bekannt zu machen, die Mitbegründerin und erste Gastgeberin der berühmten „Gruppe 47“war. Nun, zum 70. Jahrestag des ersten Treffens der „Gruppe 47“, erinnert die Gemeinde Schwangau mit einer Ausstellung sowie mit Gesprächen, Lesungen und einem Symposium an diese besondere Frau und ihre Beziehungen zur berühmten Literaten-Gruppe. Die Idee dazu hatte das Frankfurter Historiker-Paar Heike Drummer und Alfons Maria Arns, die als Kuratoren der Ausstellung und Autoren eines begleitenden Katalogs wirkten.
Am 6. und 7. September 1947 kamen Autoren aus ganz Deutschland in das Häuschen von Schneider-Lengyel, das direkt am Bannwaldsee stand. Gern wird ihr Telegramm an die Kollegen zitiert, weil es eine Art Geburtsurkunde der „Gruppe 47“darstellt. „Unterkunft für zehn Personen ab 6. September reserviert“, kabelte sie an Hans Werner Richter. Am Ende waren es 17 Literaten, die in und um SchneiderLengyels Häuschen am See logierten.
Drummer und Arns rekonstruieren in ihrer Dokumentation das Bild einer Persönlichkeit, die weit mehr war als eine fürsorgliche Gastgeberin. Dabei stützten sie sich auch auf eine Veröffentlichung, die schon 20 Jahre alt ist: Zum 50. Jahrestag 1997 gab der damalige Kulturamtsleiter von Füssen, Thomas Riedmiller, ein Buch heraus mit neuen Erkenntnissen über SchneiderLengyel. Demnach scheint ihr Einfluss auf die frühe „Gruppe 47“wesentlich größer gewesen zu sein, als bisher bekannt.
Beachtliche Karriere als Fotografin und Kunsthistorikerin
Viel zu wenig bekannt ist zudem, dass Schneider-Lengyel 1947 bereits auf eine beachtliche Karriere als Fotografin und Kunsthistorikerin zurückblicken konnte. In den 1930er- und 1940er-Jahren wurden 13 Bildbände und Kunstführer produziert, für die sie Fotografien und Texte beisteuerte.
In den 1940er-Jahren begann Schneider-Lengyel, lyrische Texte zu verfassen. Nach Ansicht von Drummer und Arns war dies „ein höchst privater Akt“ihrer Verzweiflung über die Naziverbrechen. Als Frau eines ungarischen Juden erfuhr sie unmittelbar die Willkür des Regimes. SchneiderLengyel, 1903 in München geboren, hatte 1933 den Architekten und Künstler László Lengyel geheiratet. Schon ein Jahr später mussten sie Deutschland verlassen und ins Exil gehen. Nach Stationen in Ungarn und Rumänien landete das Paar in Paris.
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen begannen schwierige Zeiten für das Paar. Als der Krieg 1945 vorbei war, kehrte Ilse Schneider-Lengyel alleine zurück nach Deutschland und begann mit journalistischen Arbeiten. Die Arbeit an der Zeitschrift „Der Ruf“führte sie mit dem Schriftsteller Hans Werner Richter zusammen, der später zum geistigen und organisatorischen Zentrum der „Gruppe 47“werden sollte.
Nach der Gründung in ihrem Haus am Bannwaldsee nahm sie freilich nur unregelmäßig an den weiteren Treffen der „Gruppe 47“teil. Ihre Gedichte publizierte sie in dem 1952 erschienenen Band „september-phase“. In den 1950er-Jahren entdeckte SchneiderLengyel den Rundfunk für sich.
1958 verkaufte sie das Haus und den Bannwaldsee an einen Privatmann, sicherte sich jedoch lebenslanges Wohnrecht. In den Sommermonaten lebte sie meistens am See, in den Wintermonaten in verschiedenen Großstädten. In dieser Zeit träumte sie auch von einer Rückkehr nach Paris, was sich allerdings nicht verwirklichen ließ.
Umfangreiche Manuskripte, die später gefunden wurden, zeigen, dass Ilse Schneider-Lengyel in diesen Jahren viel schrieb. Warum sie 1969 plötzlich verschwand, konnten auch Heike Drummer und Alfons Maria Arns nicht aufklären. Laut ehemaligem Füssener Kulturamtsleiter Thomas Riedmiller gibt es eine mündliche Erzählung, die auf ein tragisches Lebensende hindeutet. Demnach ist SchneiderLengyel auf einer Fahrt an den Bodensee von einem jungen Bekannten aus dem Auto gestoßen worden. Verwirrt habe man sie in einem Straßengraben gefunden. Drei Jahre später, am 3. Dezember 1972, starb sie im Zentrum für Psychiatrie Reichenau am Bodensee. Ilse Schneider-Lengyel wurde 69 Jahre alt.