Lindauer Zeitung

Krisendien­st gibt’s im Oberallgäu rund um die Uhr

Bei Selbsttötu­ngsabsicht­en ist es wichtig, dass sich Betroffene jederzeit Hilfe holen können

- Von Claudia Benz

KEMPTEN/OBERALLGÄU - „Eine Krise meldet sich nicht von Montag bis Freitag und macht dann vor dem Wochenende Halt.“Wenn Jutta Schröppel das sagt, weiß sie, wovon sie spricht. Seit drei Jahren ist die evangelisc­he Theologin „Suizidpfar­rerin“und hilft Menschen, die sich mit Selbsttötu­ngsgedanke­n tragen, wie auch Menschen, die in ihrem Umfeld einen Suizid erleben mussten. Von Beginn an forderte sie wie viele andere vom Bezirk Schwaben einen Krisendien­st, der auch abends und am Wochenende besetzt ist. Ab 2018 soll es diesen Dienst jetzt geben, sagt Bezirksrät­in Renate Deniffel auf Anfrage.

Das evangelisc­he Dekanat hat – bundesweit einmalig – eine eigene Pfarrstell­e eingericht­et, um in diesem sensiblen Bereich Hilfe anzubieten. Schröppel begegnet bei ihrer Arbeit vielen Menschen, die in einer seelischen Not stecken. So tief, dass sie keinen Ausweg mehr sehen und ihr Leben nicht mehr leben wollen. In der Pflicht stehe in solchen Situatione­n vor allem auch das Umfeld dieser Menschen.

Suizid, sagt Schröppel, sei allerdings immer noch ein Tabuthema, sei verbunden mit Angst, Schrecken und Ohnmacht. Und dem Gefühl, nicht zu wissen, was zu tun ist. „Doch es gibt Hilfe“, sagt die Pfarrerin. Die bekannten Einrichtun­gen wie Bezirkskra­nkenhaus und sozialpsyc­hiatrische­r Dienst der Diakonie zum Beispiel.

Weil nicht jeder aber sofort dorthin will, wurde vor einiger Zeit ein Flyer mit Telefonnum­mern anderer Anlaufstel­len zusammenge­stellt. Betroffene und Angehörige können anrufen und sich dort Hilfe holen. Erreichbar freilich sind Dienste wie die psychologi­sche Beratungss­telle und der sozialpsyc­hiatrische Dienst jedoch nicht rund um die Uhr. Hier soll jetzt ein eigener Krisendien­st, eingericht­et vom Bezirk, Abhilfe schaffen. Seit Jahren wird ein solcher gefordert. Ab nächstem Jahr will der Bezirk diese Einrichtun­g, die es in Oberbayern bereits gibt, auch in Schwaben realisiere­n. Im Herbst, sagt CSU-Bezirksrät­in Deniffel, soll das Konzept erarbeitet und verabschie­det werden. Im Haushalt 2018 und 2019 soll Geld dafür bereitgest­ellt werden.

Der Bezirk will eine Fachkraft einstellen, die den Krisendien­st in der Region koordinier­t und aufbaut. Angegliede­rt werden soll die Einrichtun­g beim sozialpsyc­hiatrische­n Dienst. Wie in Oberbayern soll der Krisendien­st dann eine Art Soforthilf­e sein, um Menschen in akuten psychische­n Notfällen beizustehe­n. Und zwar rechtzeiti­g, auch am Abend und am Wochenende. Denn, sagt Schröppel, man müsse vermitteln, dass es nicht schwer sei, an Hilfe und Beratung zu kommen.

Immer noch gilt Kempten als die Stadt mit der höchsten Selbstmord­rate, wie die Gesellscha­ft für Suizidpräv­ention darstellt. Warum das so ist, wird seit längerer Zeit von Psychologe­n und Psychiater­n untersucht. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Kein Anstieg der Zahlen

Registrier­t sind die Zahlen der Suizide und Suizidvers­uche bei der Polizei. Für Stadt und Landkreis könne jedoch beim Blick auf die vergangene­n fünf Jahre kein Anstieg festgestel­lt werden, sagt Jürgen Krautwald von der Polizei. Weder bei den Selbsttötu­ngsversuch­en noch bei den vollendete­n Suiziden.

Tod durch Erhängen, durch Schnittver­letzungen oder durch Überfahren seien die häufigsten Ursachen. Tendenziel­l sei die Zahl in den vergangene­n drei Jahren nach unten gegangen. Doch man müsse von einer Dunkelziff­er ausgehen, da nicht jeder Versuch (vor allem, wenn er zuhause oder abgeschied­en geschehe) gemeldet werde.

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