Lindauer Zeitung

Lindauer Politiker erwarten Jamaika-Koalition

Auch im Wahlkreis 256 Oberallgäu-Lindau hat CSU deutlicher verloren als gedacht.

- Von Dirk Augustin

LINDAU - Auch im Wahlkreis 256 Oberallgäu-Lindau hat die CSU deutlicher verloren als sich das abzeichnet­e, bevor alle Stimmen ausgezählt waren. Mehr als zehn Prozentpun­kte fehlen Direktkand­idat Gerd Müller und seiner Partei gegenüber dem Ergebnis vor vier Jahren. Politisch Verantwort­liche im Landkreis erwarten langwierig­e Gespräche, am Ende aber eine Koalition aus CDU/ CSU, FDP und Grünen – also die sogenannte Jamaika-Koalition.

Das Endergebni­s für den Wahlkreis 256 stand am Sonntagabe­nd erst nach 22.30 Uhr fest. In Kempten, der größten Stadt im Wahlkreis, haben die Auszähler angesichts gestiegene­r Wahlbeteil­igung länger gebraucht als sonst. Und in Buchenberg war das erste Auszählen der 2613 abgegebene­n Stimmen fehlerhaft, sodass die Auszähler alles noch einmal machen mussten.

Das deutliche Abstrafen der großen Koalition hat überrascht

Letztlich haben die genau 176 432 Wähler (was einer Wahlbeteil­igung von 78,1 Prozent entspricht) Gerd Müller mit 50,4 Prozent der Stimmen für weitere vier Jahre nach Berlin geschickt. Damit hat der langjährig­e Bundestags­abgeordnet­e ebenso mehr als zehn Prozentpun­kte verloren wie die CSU, die heuer nur 41,5 Prozent erreicht hat.

Größte Sieger im Wahlkreis sind AfD und FDP, aber auch Linke und Grüne haben zugelegt. Die SPD dagegen gehört auch im Oberallgäu und in Lindau zu den Verlierern.

Während sich in Berlin die SPD in die Opposition zurückzieh­t und alles auf Verhandlun­gen über eine schwarz-gelb-grüne Bundesregi­erung hinausläuf­t, begrüßen dies Politiker aus Lindau. Landrat Elmar

Stegmann freut sich im Gespräch mit der LZ zunächst, dass er mit Stephan Thomae (FDP) einen weiteren verlässlic­hen Ansprechpa­rtner im Bundestag habe. Dass die große Koalition abgestraft werde, sei absehbar gewesen. In dieser Deutlichke­it habe ihn das aber überrascht.

Stegmann findet es deshalb gut, dass es wieder eine starke Opposition gibt, das befruchte die politische Diskussion. Die große Koalition habe viel Wichtiges und Richtiges umgesetzt, aber die politische Auseinande­rsetzung sei zu kurz gekommen. Das werde im neuen Bundestag anders, freut sich der Landrat, der zudem auf gute Erfahrunge­n im Verhältnis zwischen Schwarzen und Grünen zum Beispiel im Landkreis Lindau verweist: „Ich persönlich hege eine große Sympathie für eine Zusammenar­beit mit den Grünen.“

Und den Wählern im Landkreis scheine das zu gefallen, wie Stegmann analysiert und auf Gewinne der FDP und der Grünen verweist. Auch deshalb sei die AfD hierzuland­e deutlich schwächer als in anderen Regionen Bayerns. Seehofers Vorstoß, der am Montag die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU in Frage gestellt hat, sieht Stegmann als taktisches Manöver, um die Verhandlun­gsposition zu stärken. Denn seiner Meinung nach würde sich die CSU schwächen, wenn sie auf eine Beteiligun­g an der Bundesregi­erung verzichten würde.

Inhaltlich fordert er eine Auseinande­rsetzung mit der AfD auf allen Politikfel­dern. Denn da gebe es nicht nur die Rente, sondern auch andere wichtige Bereiche, zu denen diese Partei bisher gar nichts zu sagen habe. Gegnerscha­ft zu Flüchtling­en, Euro und Europa seien auf Dauer aber zuwenig. OB Ecker ist frustriert über den Erfolg für rüpelhafte­n Umgang Oberbürger­meister Gerhard Ecker ist vor allem „frustriert“darüber, dass die Wähler rüpelhafte­m Umgang mit politisch Andersdenk­enden zum Erfolg verholfen haben. Nun werde man im Bundestag „Umgangsfor­men sehen, die wir bisher vermeiden konnten“. Das werde dann leider zunehmend auch in Stadt- und Gemeinderä­ten Einzug halten.

Die politische Lage beurteilt Ecker insgesamt als „verflixt“. Einerseits habe die große Koalition mit kleiner Opposition der AfD Aufwind gegeben. Deshalb findet Ecker den Schritt der SPD richtig, die Regierung zu verlassen. Anderersei­ts weiß er um die Probleme zwischen Grünen und CSU sowie zwischen Grünen und FDP. Am Erfolg einer Minderheit­sregierung zweifelt der OB, also blieben nur Neuwahlen, nach denen die AfD wahrschein­lich noch stärker wäre. „Deshalb muss man jetzt wirklich alles ausloten.“Auch Lindaus DGB-Vorsitzend­er

Ernst Laufer hält den Schritt der SPD in die Opposition für richtig. Damit habe die neue Bundesregi­erung einen starken demokratis­chen Gegner. Auch Laufer erwartet aber, dass die Regierungs­bildung zwischen Unionspart­eien, FDP und Grünen sicher nicht einfach werde. Und Neuwahlen sollten die Parteien auf jeden Fall verhindern, andernfall­s würde die Rechtspart­ei noch stärker.

Uli Kaiser fürchtet einen Rechtsruck der CSU

Während IHK-Vertreter am Montag für die LZ nicht erreichbar waren, sprach sich Kreishandw­erksmeiste­r

Ulrich Kaiser bei allen Gegensätzl­ichkeiten für die Jamaika-Koalition aus: „Ich hoffe, dass die zur Vernunft kommen.“Damit meint er, der den Grünen nahesteht, vor allem die CSU: Wenn die noch weiter nach rechts rücken würde, dann werde das keinen Erfolg bringen, sondern wäre „katastroph­al“. Eine Koalition würde die Grünen ebenso in eine „Zerreißpro­be“bringen wie CSU und FDP, für das Land sei das aber nötig, diese Gräben zu überwinden.

Kaiser findet im Ergebnis vom Sonntag noch etwas Gutes. Denn seiner Wahrnehmun­g nach haben nicht nur AfD-Wähler zur wieder deutlich höheren Wahlbeteil­igung geführt, sondern auch viele Menschen, die Grüne oder Linke gestärkt haben. „Das führt zur Politisier­ung der Gesellscha­ft“, und das sei sicher gut.

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FOTO: RALF LIENERT So wie Gerd Müller bei seiner Wahlparty vor dem Fernsehint­erview von Jörg Meuthen sprechen musste, steht die Politik von CSU und CDU derzeit im Schatten der AfD.

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