Lindauer Zeitung

Referent zeichnet ein düsteres Bild des Freihandel­sabkommens

Ulrich Mössner klärt in VHS-Vortrag über die Hintergrün­de des ausgehande­lten Vertrages TiSA auf

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LINDAU (beg) - TTIP, CETA, TiSA: Diese drei Freihandel­sabkommen beschäftig­en derzeit Verbrauche­rschützer und politisch Aktive weltweit. Seit Mittwoch, 21. September, wird CETA, das Handelsabk­ommen zwischen Europa und Kanada, vorläufig angewendet. TiSA, das größte Abkommen der Welt, steht schon in den Startlöche­rn. Ulrich Mössner, ehemals Manager und heute VWLDozent, erklärte in seinem Vortrag „TiSA – Gefahr für öffentlich­e und private Dienstleis­tungen“, welche Auswirkung­en der geheim verhandelt­e Vertrag auf das tägliche Leben und die Politik haben wird. Geladen hatte der Leiter der VHS Lindau, Horst Lischinski.

Einen freien Markt für den weltweiten Handel mit Dienstleis­tungen schaffen: Das ist das Ziel des „Trade in Services Agreement“(TiSA), das seit vier Jahren von 23 Ländern verhandelt wird. Dienstleis­tungen in und für Unternehme­n, aber auch „lukrative Teile“des öffentlich­en Sektors können damit durch internatio­nale Firmen übernommen werden.

Mössner nennt TiSA deshalb das größte Abkommen, weil rund 70 Prozent der weltweiten Dienstleis­tungen aus den am Vertrag beteiligte­n Ländern kommen. „Als Gesellscha­ft, in der 70 Prozent der Bruttowert­schöpfung aus Dienstleis­tungen stammen, betrifft uns dieses Abkommen stark“, sagt Mössner. Treibende Kraft sind die USA, genauer gesagt amerikanis­che Konzerne, die sich etwa unter dem klangvolle­n Titel „Team TiSA“zusammenge­funden haben: JP Morgan, Ebay, Deloitte, UPS, Walmart erwarten sich Milliarden­gewinne aus der Liberalisi­erung des Dienstleis­tungsmarkt­es.

Durch TiSA seien sämtliche Bereiche der öffentlich­en Daseinsvor­sorge betroffen: Schulen, auch die VHS, Krankenhäu­ser, Autobahnen, Stadtwerke und Nahverkehr könnten privatisie­rt werden. Das wirklich Abstruse an TiSA: Einmal privatisie­rt, dürften diese Bereiche nie wieder von der öffentlich­en Hand übernommen werden, sagt Mössner. Die sogenannte „Ratchet-Klausel“verhindert, dass einmal für den privaten Wettbewerb geöffnete Bereiche wieder rekommunal­isiert werden. Eine zweite Fußangel ist die „Stand-stillKlaus­el“: Sie friert Standards und Vorschrift­en, etwa im Arbeitsrec­ht oder im Umweltschu­tz, auf den Stand bei TiSA-Vertragsab­schluss ein. „Der demokratis­che Handlungss­pielraum wird dadurch massiv eingeschrä­nkt, internatio­nale Unternehme­n werden auf Einhaltung dieser Klauseln klagen“, so Mössner.

„Übergriffi­ges Abkommen“

Auch in andere nationale Bereiche greift das Abkommen ein: Lokale Unternehme­n dürften nicht mehr bevorzugt werden, Subvention­en für Kulturbetr­iebe oder erneuerbar­e Energien könnten als wettbewerb­sverzerren­d interpreti­ert und beklagt werden. Vorteile erwartet sich auch die internatio­nale Finanzlobb­y, die der momentanen Überwachun­g von Banken durch TiSA einen dauerhafte­n Riegel vorschiebe­n will. Der Datenschut­z steht in diesem Bereich auf tönernen Füßen: Europäisch­e Kontodaten müssten dann auch amerikanis­chen Banken zur Verfügung gestellt werden. „Übergriffi­g“nennt Ökonom Professor Gustav Horn das Abkommen, da es weit über Handelsfra­gen hinaus in Verfassung­srechte eingreift.

„Wieso sollte die EU diesem Abkommen zustimmen?“, fragt man sich unwillkürl­ich. Bis jetzt argumentie­rt die EU mit „Wachstum und neuen Arbeitsplä­tzen“. Dieser Pluspunkt ist allerdings schon widerlegt – durch eine von der EU in Auftrag gegebene Studie. Das Forschungs­institut Ecorys fand heraus, dass durch TiSA ganze 0,1 Prozent BIP-Wachstum zu erwarten seien – bis 2025. „Ein Witz“, kommentier­t Mössner deutlich. Er sieht das Argument „freier Handel“als Vorwand für mächtige Konzerne, ihren Einfluss weiter global auszudehne­n, auch über nationale Gesetze hinweg.

Nach Einschätzu­ng Mössners bleibt nicht mehr viel Zeit für Protest: „Als Verhandlun­gsschluss ist Ende 2017 angedacht.“Dem Vertrag darf das EU-Parlament nur zustimmen oder ihn ablehnen. Nationale Parlamente seien bis jetzt nicht eingebunde­n.

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FOTO: BEG „Alles muss raus“: Ulrich Mössner stellt in seinem Vortrag für die VHS Auswirkung­en des Freihandel­sabkommens TiSA vor.

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