„Ich verstehe die Herangehensweise der Briten nicht“
BWIHK-Chef Wolfgang Grenke über Brexit, Trumps Ankündigungspolitik und unanständige Topmanager
RAVENSBURG - So ruhig und so unaufgeregt im Ton, so strikt im Urteil: Der Unternehmer Wolfgang Grenke kann nicht nachvollziehen, wie das Vereinigte Königreich die für Europa und Großbritannien so wichtigen BrexitGespräche führt. Benjamin Wagener hat den Präsidenten des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK) nach den Folgen eines Scheiterns der Verhandlungen für die Wirtschaft im Süden gefragt und sich mit ihm über US-Präsident Donald Trump, die Herausforderungen der Digitalisierung und den Abgasskandal unterhalten.
Die Brexit-Gespräche zwischen der Europäischen Union (EU) und Großbritannien stocken. Die Briten scheinen die Union verlassen zu wollen, aber dabei zu glauben, dass sich für sie nichts ändert. Scheitern die Verhandlungen?
Eines ist klar, bei einem harten Brexit ohne Vertrag leidet die britische Wirtschaft mehr als die der EU. Deshalb verstehe ich die Herangehensweise der Briten nicht. Vielleicht sind wir noch in der Phase, in der beide Seiten erst einmal versuchen, in eine möglichst gute Startposition zu kommen, bevor die wirklichen Gespräche beginnen.
Was ist wichtiger – ein Vertrag mit Großbritannien oder eine einheitliche Position der EU, bei der das Konzept des Binnenmarkts mit dem freien Verkehr von Waren, Geld, Dienstleistungen und Personen nicht aufgeweicht wird?
Das Zusammenwachsen der EU hat mittel- und langfristig für die Wirtschaft eine größere Bedeutung als ein Einzelabkommen mit Großbritannien. Zudem würde eine solche Einzelfallregelung die Folge haben, dass auch andere Mitglieder versuchen, ihre Position zu verbessern, ohne gleich aus der EU auszutreten.
Welche Bedeutung hat Großbritannien für die baden-württembergische Wirtschaft?
Beim Absatz der Industrie- und Automobilunternehmen spielt Großbritannien eine große Rolle. Wir haben ein vitales Interesse, dass es zu einer einvernehmlichen und guten Regelung kommt. Einer Regelung, die auch offen für die Zukunft ist: Beim Brexit haben die Generationen unterschiedlich abgestimmt – und wir sollten den jüngeren Briten, die den Schritt für falsch halten, die Tür nicht ganz vor der Nase zuschlagen.
Glauben Sie, dass in den kommenden Monaten der Druck aus der britischen Wirtschaft auf die dortige Regierung größer wird, die Entscheidung für den Brexit noch einmal zu revidieren?
Ja. Auch deswegen, weil es in der Regierungspartei und auch in anderen Parteien im britischen Parlament keine Mehrheit für den Brexit gibt. Und diese Spaltung findet man auch in der Bevölkerung.
Die Insel flüchtet aus der EU, und die USA suchen unter ihrem neuen Präsidenten Donald Trump ihr Heil im Protektionismus. Was bedeutet diese Politik für die Wirtschaft im Süden Deutschlands?
Die USA haben wirtschaftlich eine wesentlich größere Bedeutung für uns als das Vereinigte Königreich. Man darf aber jetzt auch nicht zu alarmistisch reagieren, denn erstens unterscheidet sich die Politik in den USA von Bundesstaat zu Bundesstaat, und zweitens zeigt sich, dass es eine gewisse Diskrepanz gibt zwischen den Ankündigungen Trumps und den Plänen, die er durchsetzt. Die Tendenz ist aber schlecht – für uns und die Weltwirtschaft.
Ist das angestrebte Freihandelsabkommen TTIP tot?
Es liegt auf Eis und das ist schade. Immerhin entstehen 40 Prozent des baden-württembergischen Bruttoinlandsprodukts durch Geschäfte mit dem Ausland. Im Raum Stuttgart sind es rund 60 Prozent, im Raum Karlsruhe, wo ich zuhause bin, sind es 50 Prozent. Wir wollen, dass sich die Bedingungen für den internationalen Handel verbessern, dazu dienen Verträge wie TTIP. Ich hoffe irgendwann auf einen neuen Anlauf.
Sollte die Wirtschaft selbstbewusster auftreten und offensiver für diese Belange werben?
Ja. Weil freie Märkte eine solch entscheidende Bedeutung haben, sollte sich die Wirtschaft auch dazu äußern. Sie sollte vor allem deutlich machen, dass beide Seiten vom Freihandel profitieren.
Im Oktober reist Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) mit einer Delegation von Unternehmern in die USA. Glauben Sie, dass solche Reisen helfen?
Auf jeden Fall. Ich war selbst mit Nicole Hoffmeister-Kraut im Februar für Brexit-Gespräche in London. Wir haben festgestellt, dass ein direkter Kontakt immer nützlich ist. Außerdem nimmt man da immer Informationen mit, die man noch nicht hatte.
Die baden-württembergische Wirtschaft steht nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland vor großen Herausforderungen. Stichwort Digitalisierung. Ist der Südwesten darauf vorbereitet?
Bei der Versorgung mit Breitband sind andere Länder weit voraus. Bei uns ist die Übertragung der Datenmengen eingeschränkt. Wenn ich bedenke, welches Datenvolumen wir bei der Industrie 4.0 brauchen, mache ich mir große Sorgen. Natürlich weiß ich, dass die Baukapazitäten gerade fast erschöpft sind, aber man sollte zum Beispiel überall dort, wo gebuddelt wird, Leerrohre für Datenleitungen verlegen. Das wird an vielen Stellen gemacht, aber nicht überall. Die Landesregierung spricht über eine Geschwindigkeit von 50 Megabit, Japan diskutiert dagegen über ein Gigabit – das ist das Zwanzigfache.
Wie stellt sich die Wirtschaft auf die Digitalisierung der Geschäftsmodelle ein?
Es geht voran, das Thema ist angekommen in der Wirtschaft, das spürt man an allen Stellen. Das braucht seine Zeit, aber ich bin zuversichtlich, dass die Wirtschaft das bewältigt.
Ist das so? Immer wieder gibt es Beispiele von kleineren Mittelständlern und Familienbetrieben, deren Auftragsbücher zurzeit voll sind, aber die noch keinerlei Ideen haben, wie sich ihr Geschäftsmodell künftig verändern muss.
Natürlich findet man immer Gegenbeispiele. Es ist ja auch so, dass die Digitalisierung nicht in allen Branchen die gleiche Rolle spielt. Ein Problem sind manchmal ältere Unternehmenschefs, die gerade nicht mehr so richtig die Notwendigkeit sehen, zu investieren und sich umzustellen. Da versuchen wir als IHKOrganisation mit Beratung gegenzusteuern. Aber man kann Einzelfälle von Unternehmern, die die Zukunft verschlafen, nicht ausschließen.
Können Start-ups in Zukunft die Lücke füllen?
Ich denke ja. Es gibt auch in BadenWürttemberg immer mehr Gründer, die voll auf die Digitalisierung setzen. Die Struktur der Wirtschaft wird sich ändern, man muss sich keine Sorgen machen.
Vor allem die Automobilindustrie steht vor großen Veränderungen. Die Unternehmen müssen sich auf elektrische Antriebe einstellen und Lösungen für autonom fahrende Autos entwickeln. Große Autobauer wie Daimler, Audi oder Porsche oder Zulieferer wie ZF, Continental und Bosch stellen sich darauf systematisch ein. Aber was ist mit den vielen kleinen Zulieferern?
Der Antriebsstrang wird sich verändern, das ist richtig. Aber daneben gibt es noch viele andere Teile, die auch autonom fahrende Elektroautos brauchen. Und auch dort ist unsere Zulieferindustrie stark. Hinzu kommt, dass die Anpassung nicht über Nacht kommt. Das braucht alles noch Zeit, und die müssen die Unternehmen nutzen. Deshalb sehe ich das nicht so dramatisch. Außerdem ist auch der Weg noch gar nicht klar. Die Frage ist auch, ob nicht synthetische Kraftstoffe eine viel größere Rolle spielen als Elektromotoren – am Ende wird das nämlich der Verbraucher entscheiden.
Wie steht es um die Infrastruktur für die Elektromobilität?
Es ist nicht so einfach, wie viele sich das vorstellen. Wenn man ein größeres Mehrfamilienhaus hat und alle würden ihre Autos mit Strom betanken wollen, kommen wir ganz schnell an technische Grenzen.
In den nächsten Wochen stellt die IG Metall ihre Tarifforderungen vor. Es wird nicht nur um mehr Geld, sondern auch um mehr Zeit gehen. Sprich: Die Gewerkschaft wird wohl die 28-Stunden-Woche fordern – als festes Anrecht jedes Arbeiters. Was bedeutet eine solche Forderung für die Wirtschaft?
Das wäre schwierig. Wir spüren schon heute die Auswirkungen des Fachkräftemangels, in einigen Industrien haben wir bereits jetzt keine Auszubildenden mehr. Und es ist ja nicht so, dass wir eine hohe Arbeitslosigkeit haben, durch die eine Verkürzung der Arbeitszeit nur geringe Auswirkungen hätte. Insgesamt wäre eine weitere Verknappung der Arbeitskräfte schädlich für die Wirtschaft. Aber die Tarifpolitik gehört nicht zu unseren Aufgaben, das überlassen wir den Tarifpartnern.
Wie erklären Sie sich dann die jüngsten Skandale?
Wenn gegen Gesetze verstoßen wird, muss das verfolgt werden. Und das ist die Sache der Gerichte. Da sind wir auf dem richtigen Weg. Aber es ist übertrieben, nun die gesamte Industrie unter Generalverdacht zu stellen. Es sind immer einzelne Manager und Teams, die versagt haben, indem sie betrogen oder den Betrug nicht rechtzeitig unterbunden haben. Hinzu kommt, dass es auch immer eine Grauzone gibt, in der man glaubt, dass man sich noch im Rahmen der Gesetze bewegt, später aber dann durch Urteile herauskommt, dass das nicht der Fall ist.
Ist der Dieselskandal für Sie ein Beispiel aus dieser Grauzone?
Nein, sicher nicht. Aber es gibt viele Grauzonen.
Verlieren die Topmanager von global agierenden Großkonzernen irgendwann die Bodenhaftung und ihr Gespür für Anständigkeit?
Ich glaube nicht, dass man das Gefühl für Anständigkeit verliert. Es ist eher so, dass der Hang zum Übertreten von Gesetzen immer in einem angelegt ist und dann eher zutage tritt, wenn man in der Hierarchie aufsteigt und den Hang eher ausleben kann. Hinzu kommt, dass diese Großkonzerne in vielen Märkten im Wettbewerb mit anderen Gesellschaften stehen, Gesellschaften, die oft alles tun, um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern.
Wie schwer wiegt der Druck der Dividenden? Sprich: Wie sehr setzen Anteilseigner Topmanager unter Druck, unethisch zu handeln?
Ich glaube, dass das eine Ausrede ist. Auch mein Unternehmen ist an der Börse notiert, ich komme gerade von einer Analystenkonferenz in München, ich habe noch nie den Druck gespürt, zu unlauteren Mitteln zu greifen – auch in Zeiten, in denen es dem Unternehmen nicht so gut ging.