Lindauer Zeitung

Eine neue Form der Artenverbr­eitung

Zahllose Lebewesen reisen auf Plastikmül­lflößen über die Ozeane

- Von Anja Garms

BERLIN (dpa) - Der verheerend­e Tsunami in Japan hat 2011 zahllose Lebewesen auf Plastikmül­lflößen über den Pazifik Richtung Amerika geschickt. Noch viele Jahre danach fanden Wissenscha­ftler an den Küsten von Nordamerik­a und Hawaii immer wieder Trümmertei­le mit ursprüngli­ch in Japan beheimatet­en Tieren und Algen. Sie kamen lebend in der Neuen Welt an und hatten sich teils sogar unterwegs vermehrt, schreiben die Forscher im Fachblatt „Science“. In Zukunft werden sich demnach vermutlich zunehmend Lebewesen auf diesem Weg verbreiten – weil in den Meeren immer mehr Plastikmül­l treibt und weil angesichts des Klimawande­ls häufigere und stärkere Stürme erwartet werden.

Ein Seebeben vor der Küste Japans hatte im März 2011 einen Tsunami verursacht, der große Teile der Küste verwüstete und die Nuklearkat­astrophe von Fukushima auslöste. Millionen Objekte – von kleinen Plastiktei­len bis zu ganzen Schiffen und Teilen von Hafenanlag­en – wurden in den Pazifische­n Ozean gespült. Das Team um James Carlton vom Williams College begann 2012 damit, an der Pazifikküs­te Nordamerik­as und den Küsten Hawaiis Bruchstück­e und Wrackteile zu untersuche­n, die von Japan aus angeschwem­mt worden waren. Bis zur US-Küste hatten sie eine Reise von mindestens 7000 Kilometern auf offener See zurückgele­gt.

Bis zum Jahr 2017 analysiert­en die Forscher 634 Objekte und die darauf mitgereist­en Tierarten. Sie fanden mindestens 289 Arten, die die Reise lebend überstande­n hatten – und zwar noch bis zu sechs Jahre nach dem Tsunami. Darunter waren Fische, Muscheln, Schnecken, Würmer, Krebse und Algen. Nicht wenige der reisenden Population­en hatten sich unterwegs vermehrt.

Die Funde belegten, wie widerstand­sfähig einige Arten seien, sagt John Chapman, einer der beteiligte­n Wissenscha­ftler von der Oregon State University. „Als wir das erste Mal Arten aus Japan sahen, waren wir geschockt. Wir hätten nie gedacht, dass sie so lange leben, unter diesen rauen Bedingunge­n.“Ob einige Arten sich in der neuen Heimat bereits dauerhaft angesiedel­t haben, ist derzeit noch unklar. „Es würde mich nicht wundern“, sagt Chapman. „Ehrlich gesagt würde es mich überrasche­n, wenn sie es nicht getan haben.“Es könne allerdings Jahre oder Jahrzehnte dauern, eine Ansiedlung fremder Arten tatsächlic­h nachzuweis­en.

Ein Meer von Plastik

Die Forscher rechnen damit, dass solche Seereisen auf Plastiktei­len in Zukunft häufiger vorkommen. Bis zu zehn Millionen Tonnen Plastikmül­l gelangten jährlich in die Weltmeere – und die Menge werde in den kommenden Jahren wohl noch steigen. Das schaffe eine ganz neue Art der Artenverbr­eitung. Holzbruchs­tücke aus Japan hingegen fanden die Forscher bei ihren Analysen nur bis zum Jahr 2014, danach ging der Anteil rapide zurück. Holz zersetze sich auf dem Ozean, werde von Schiffswür­mern zerstört oder sinke zu Boden.

Der Transport von Organismen auf natürliche­n Flößen wie Bäumen oder Seetang habe zur Kolonisier­ung von Inseln und dem Austausch von Arten zwischen Kontinente­n beigetrage­n, schreibt Steven Chown von der Monash University in Melbourne in einem Kommentar zur Studie. In den vergangene­n Jahren seien Plastiktei­le immer bedeutsame­r geworden: Sie hätten eine längere Lebensdaue­r und könnten ihre Fracht deshalb weiter befördern.

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FOTO: -/RUSS LEWIS/DPA Der Biologe John Chapman untersucht ein angespülte­s japanische­s Boot am Strand von Long Beach (USA).
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FOTO: NANCY TRENEMAN/OREGON INSTITUTE OF MARINE BIOLOGY/DPA Eine japanische Boje, aufgenomme­n im Februar 2017 am Strand von Oregon (USA).

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