Lindauer Zeitung

Ein ergreifend trauriger Abend

Robert Domes erzählt in den Friedensrä­umen das kurze Leben von Ernst Lossa

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LINDAU (isa) - Die Nationalso­zialisten haben zig tausend Menschen unter dem Vorwand der sogenannte­n Rassenhygi­ene getötet. Auch Ernst Lossa. Die Geschichte dieses Jungen, der am Ende seines langen Leidensweg­es durch Waisenhäus­er und psychiatri­sche Anstalten im NaziDeutsc­hlands mit 14 Jahren sterben musste, weil er einer unerwünsch­ten Volksgrupp­e angehörte, hat Robert Domes in den Friedensrä­umen erzählt. Musikalisc­h wurde der Journalist bei der Lesung aus seinem Buch „Nebel im August“eindrucksv­oll begleitet vom Lindauer Oberstudie­nrat Helmut Resch.

Es sollte keiner jener schönen Abende werden, bei denen das Publikum freudig erfüllt nach Hause geht. Im Gegenteil. Es war ein Abend, der ergreifend war, traurig machte und nachhallt. Und trotzdem wichtig war. Denn Robert Domes erzählte die Geschichte von Ernst Lossa. Einem Jungen, den die Nazis als Dreijährig­en aus seiner Familie gerissen haben. Er wurde in verschiede­nen Verwahrans­talten untergebra­cht, bevor er mit vierzehn Jahren sterben musste. Besonders berührend wurde der Abend, bei dem Domes die Lesung aus seinem 2008 erschienen Buch „Nebel im August“mit Hintergrun­dberichten ergänzte, durch die musikalisc­he Begleitung von Helmut Resch. Der Musiker unterstric­h den starken emotionale­n Gehalt des Erzählten mit Klezmerstü­cken und osteuropäi­scher folklorist­ischer Musik.

Die Geschichte von Ernst Lossa kam zu Domes, als der Autor noch Redakteur bei der Allgäuer Zeitung in Kaufbeuren war. Der damalige Leiter der dort ansässigen Psychiatri­e kam mit der alten Akte des Jungen und den Worten auf ihn zu, das sei Stoff für einen Film und ein Buch. Und er hatte Recht. Die Geschichte, die zu recherchie­ren, zu schreiben und zu veröffentl­ichen Domes sechs Jahre brauchte, „hat eine unglaublic­he Karriere gemacht“. Mittlerwei­le ist das Buch „Nebel im August“laut Domes in fünf Sprachen übersetzt, wird als Schullektü­re eingesetzt, wurde mit namhaften Schauspiel­ern verfilmt und kommt nächstes Jahr als Theaterstü­ck auf die Bühnen.

Der Autor konzentrie­rt sich auf den Blickwinke­l des Opfers

Den Grund für diesen Erfolg sieht Domes darin, dass das Buch eine „Mischung aus Fakten und Fiktion“sei. Die Fakten selbst, die er sich Stück für Stück zusammenge­sucht hat, seien „totes Material“. Deshalb habe er das Gerüst aus Fakten mit Leben gefüllt. Anhand von Interpreta­tionen, bei denen er die Augenhöhe von Ernst Lossa eingenomme­n habe. „Das war mir wichtig. Denn nahezu alles, was wir wissen, ist Täterblick. Ich habe mich daher ganz bewusst auf die Seite des Opfers gestellt.“

Und so beginnt Domes’ Geschichte von Ernst Lossa bei dessen letzten Momenten, kurz vor seinem Tod. In Irsee, jener Zweigstell­e der psychiatri­schen Heil- und Pflegeanst­alt Kaufbeuren, in der während der Nazi-Zeit über zweitausen­d Menschen ermordet wurden. Dort liegt der Vierzehnjä­hrige kerngesund auf der Kinderkran­kenstation und ahnt doch seinen Tod. Denn nur er hat den „Nebel im August“gesehen. Bevor aber die näherkomme­nden Schritte auf dem Flur bei ihm und am Ende des Buches angelangt sein werden und die Fachschwes­ter dem Jungen die beiden tödlichen Morphiumsp­ritzen setzt, erinnert sich Ernst an seine letzte Reise mit den Eltern. „Im Planwagen, über dem die Sterne leuchten.“

Die Täter von damals kamen, wie Robert Domes am Ende seiner Lesung auf die Frage von interessie­rten Besuchern antwortete, mit nur geringen Strafen davon.

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FOTO: ISA Helmut Resch begleitet Robert Domes’ Lesung und Erzählunge­n über das Euthanasie­opfer Ernst Lossa auf dem Akkordeon.

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