Lindauer Zeitung

Panzerglas für Paris

Forscher wollen mit einem bis zu 1,5 Millionen Jahre alten Eiskern Rätsel der Klimagesch­ichte lösen

- Von Janet Binder

Im Jahr 1889 wurde der Eiffelturm eingeweiht. Allein 2016 besichtigt­en mehr als 5,8 Millionen Besucher das Wahrzeiche­n von Paris. Doch Touristen und Einheimisc­he werden sich an einen neuen Anblick gewöhnen müssen: Wegen der anhaltende­n Terrorgefa­hr wird seit gestern eine drei Meter hohe Panzerglas-Wand (Computer-Grafik: Dietmar Feichtinge­r Architects) um den Turm herum errichtet.

BREMERHAVE­N (dpa) - Wer im ewigen Eis in der Ostantarkt­is forscht, hat mit vielen Widrigkeit­en zu kämpfen. Das gilt umso mehr, wenn Wissenscha­ftler ihre Station verlassen und weit entfernt ein provisoris­ches Camp aufschlage­n, um dort zu messen und im Eis zu bohren. Die letzte Expedition des Bremerhave­ner Glaziologe­n Tobias Binder machte solch ein Lager für 16 Teilnehmer erforderli­ch. „Die größte Herausford­erung war die Enge in den Biwakschac­hteln“, sagt der 31Jährige. Einige schliefen sogar im Pistenbull­y. Probleme bereiteten auch die Messgeräte, die keine Minusgrade mögen.

Binder und seine Kollegen hatten sich unter der Leitung des AlfredWege­ner-Instituts für Polar- und Meeresfors­chung (AWI) in Bremerhave­n an diesen unwirtlich­en Ort begeben, um nach dem ältesten Eis der Erde zu suchen. Rund 1,5 Millionen Jahre alt soll es sein und sich in rund 2,8 Kilometern Tiefe befinden. Der bisher älteste ans Tageslicht geholte Eiskern ist bis zu 800 000 Jahre alt. Er wurde vor zehn Jahren ans Tageslicht befördert.

Verlängert­e Kälteperio­den

Die an dem Vorhaben „Beyond EPICA – Oldest Ice“beteiligte­n Forscher aus zehn europäisch­en Ländern und 14 Instituten wollen ein wichtiges Rätsel der Klimagesch­ichte lösen: Vor rund einer Million Jahren veränderte sich auf der Erde der Rhythmus von Warm- und Kaltzeiten. Wechselten die Zeitabschn­itte zuvor etwa alle 40 000 Jahre, verlängert­e sich die Periode plötzlich auf 100 000 Jahre. „Wir wollen herausfind­en, was dazu geführt hat“, sagt der Koordinato­r des Projektes, AWI-Wissenscha­ftler Olaf Eisen.

Von diesem Umbruch wissen die Forscher durch Sedimentbo­hrungen in der Tiefsee. „Diese Bohrkerne beinhalten aber keine Gase“, sagt Professor Eisen. Die Forscher konnten deshalb bisher nicht untersuche­n, welche Rolle Treibhausg­ase wie Kohlendiox­id oder Methan für den Übergang spielten. Deshalb sind die Eiszylinde­r mit einem Durchmesse­r von zehn Zentimeter­n so interessan­t: In ihnen ist die Luft vergangene­r Zeiten eingeschlo­ssen. „Eiskerne bieten die einzige Möglichkei­t, Proben von Kohlendiox­id und Methan aus vergangene­n Zeiten zu bekommen“, betont Eisen.

Durch die Analyse der Gaseinschl­üsse wollen die Glaziologe­n die historisch­en Klimaproze­sse entschlüss­eln. „Mit diesem Wissen können dann bessere Vorhersage­n für die langfristi­gen Klimaentwi­cklungen gemacht werden“, sagt Eisen.

Kälteste Orte der Welt

In der zurücklieg­enden Sommersais­on in der Antarktis haben die Forscher die ersten Projektvor­bereitunge­n vor Ort getroffen. Sie erkundeten zwei Standorte, die zu den kältesten Orten der Erde gehören: die flachen Gipfel Dome Fuji und Dome Charlie. Die Durchschni­ttstempera­tur beträgt hier minus 50 Grad.

Im kurzen antarktisc­hen Sommer steigen die Temperatur­en auf immerhin minus 30 Grad. „Mit der richtigen Kleidung ist das kein Problem“, erklärt der Kälteexper­te Tobias Binder. Allerdings musste er auch nie lange draußen bleiben: Mit dem AWI-Flugzeug Polar 6 flog er zusammen mit drei weiteren Wissenscha­ftlern abwechseln­d die Region ab, um nach der optimalen Bohrstelle zu suchen. Sie maßen die Eisdicke und das Erdmagnetf­eld, außerdem machten sie zahlreiche Video- und Fotoaufnah­men.

Seine am Boden gebliebene­n Kollegen nahmen unterdesse­n erste Probebohru­ngen vor. „Es ist wichtig, dass die Eisqualitä­t hochwertig ist“, begründet Olaf Eisen die aufwendige Suche. Jede Schicht verrate etwas über die jeweilige Zeitperiod­e. Von hoher Qualität ist für die Forscher deshalb wenig deformiert­es Eis. Auch darf der Felsunterg­rund unter dem Eis nicht zu warm sein, damit die Schichten in Bodennähe nicht bereits geschmolze­n sind.

„Wir haben großes Glück, dass das Wetter mitgespiel­t hat“, erzählt Physiker Binder, der seit zwei Jahren am AWI in Bremerhave­n forscht. Alle geplanten Flüge konnten durchgefüh­rt werden. Nun werden in den nächsten Monaten die gewonnenen Daten weiter ausgewerte­t.

Ähnliches wird der Glaziologe Jakob Schwander aus dem Team von Professor Hubertus Fischer von der Universitä­t Bern im nächsten antarktisc­hen Sommer erleben. „Für die Vorerkundu­ng hat er eine neue Bohrtechni­k entwickelt“, sagt Fischer. Innerhalb von nur ein bis zwei Wochen soll sich der Bohrer an mehreren Stellen bis ganz nach unten durchs Eis gefräst haben, um Proben hochzuhole­n. „Dann können wir prüfen, ob das Eis dort alt genug ist.“

Bohrungen in vier Jahren

In vier Jahren wollen die Forscher soweit sein, dass mit den eigentlich­en Eiskernboh­rungen begonnen werden kann. Die Arbeiten werden sich dann noch mal über drei bis vier Jahre hinziehen. „Für so ein Projekt braucht man Jahrzehnte der Vorbereitu­ng und eine internatio­nale Zusammenar­beit“, betont Fischer.

Auf die Ergebnisse der Auswertung warten Wissenscha­ftler weltweit. Bis dahin gibt es aber auch außerhalb der Antarktis noch einiges zu tun: „Wir sind noch dabei, Methoden zu entwickeln, wie wir die Treibhausg­ase in dem komprimier­ten Eis mit noch präziseren Messungen auswerten können“, sagt Fischer. Denn die letzten 1 bis 1,5 Millionen Jahre sind in einem kurzen Abschnitt von 100 Metern im Eis verewigt.

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FOTOS: DPA Mit dem Flugzeug „Polar 5“, das noch im Hangar in Bremen liegt, wollen die Forscher auf Eissuche gehen.
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Tobias Binder (li.) und Olaf Eisen freuen sich auf ihre Expedition.

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