Lindauer Zeitung

Steigende Überlebens­chancen

US-Forscher wollen Frühchen in einen Beutel – einer Art künstliche­n Gebärmutte­r – heranreife­n lassen

- Von Anja Garms

(dpa) - Extreme Frühchen könnten eines Tages in einer Art künstliche­n Gebärmutte­r außerhalb des Mutterleib­es heranreife­n, bis sie für ein Leben in der Außenwelt bereit sind. US-Forscher haben ein solches System mit unreifen Lämmern getestet und gezeigt, dass die Idee grundsätzl­ich funktionie­rt. Die Lämmchen sind dabei in einem flüssigkei­tsgefüllte­m Beutel eingeschlo­ssen, ihre Nabelschnu­r ist mit einer Maschine verbunden, die Sauerstoff und Nährstoffe liefert. Allerdings gab es bei den Experiment­en auch Komplikati­onen, die eine Anwendung beim Menschen derzeit noch verbieten, wie die Forscher im Fachmagazi­n „Nature Communicat­ions“berichten.

Auch deutsche Experten weisen darauf hin, dass die Methode noch hochexperi­mentell ist und über Jahre weiterentw­ickelt werden muss. „Der Schritt vom Schaf zum Menschen ist ein großer“, sagt Rolf Maier vom Universitä­tsklinikum Marburg, Präsident der Gesellscha­ft für Neonatolog­ie und pädiatrisc­he Intensivme­dizin (GNPI). „Rein technisch ist das ein großer wissenscha­ftlicher Fortschrit­t, die weitere Entwicklun­g dieser Technologi­e muss jedoch auch mit großer ethischer Gewissenha­ftigkeit erfolgen.“

Weniger als 500 Gramm

Die Überlebens­chancen von Babys, die extrem früh zur Welt kommen, haben sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n erheblich verbessert. Heutzutage können – zumindest in der westlichen Welt – selbst Kinder überleben, die nach 22 Schwangers­chaftswoch­en mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm geboren werden. Allerdings ist die Sterblichk­eit in dieser Gruppe noch immer hoch und bei vielen Kindern bleiben gesundheit­liche Schäden zurück. Vor allem die Lunge ist zu diesem Zeitpunkt der Schwangers­chaft noch nicht ausgereift und für das selbststän­dige Atmen eigentlich nicht bereit.

Die Wissenscha­ftler um Emily Partridge vom Children's Hospital in Philadelph­ia suchen nach einer Möglichkei­t, solche extremen Frühchen für einige Wochen in einem möglichst natürliche­n Umfeld außerhalb des Mutterleib­s heranreife­n zu lassen. Etwa ab der 28. Schwangers­chaftswoch­e sinkt das Risiko gesundheit­licher Schäden erheblich. Die Forscher entwickelt­en ein System, das die Bedingunge­n in der Gebärmutte­r bestmöglic­h nachahmt und den Frühchen „eine Brücke in die Welt“bieten soll, wie sie in ihrem Beitrag schreiben.

Nach vielen Vorversuch­en testeten die Wissenscha­ftler ein ausgereift­eres System an acht Lämmern, die nach einer Tragzeit von 105 bis 120 Tagen per Kaiserschn­itt geboren wurden. Ihr Entwicklun­gsstand entsprach etwa dem von Frühchen im Alter von 23 bis 24 Wochen. Die Forscher schlossen die Nabelschnu­r der Lämmer dann schnellstm­öglich über Kanülen an eine künstliche Plazenta an und betteten die Lämmer in einen Beutel, den sogenannte­n Biobag. Dieser wurde mit künstlich erzeugtem Fruchtwass­er gefüllt, das beständig ausgetausc­ht wurde.

Sterile Bedingung im Beutel

„Fötale Lungen sind dafür gemacht, in Flüssigkei­t zu funktionie­ren“, erläutert Mitautor Marcus Davey. „Wir simulieren diese Umgebung und erlauben den Lungen und anderen Organen, sich zu entwickeln, während wir Nährstoffe und Wachstumsf­aktoren bereitstel­len.“Innerhalb des Beutels lassen sich sterile Bedingunge­n aufrechter­halten, Infektione­n könnten so verhindert werden. Zudem seien andere Faktoren wie Temperatur, Druck und Lichtbedin­gungen kontrollie­rbar.

Das Herz der Lämmer pumpte das Blut selbststän­dig über die Nabelschnu­r nach außen zu einer Maschine, die die Aufgabe der Plazenta übernahm. Sie tauscht Sauerstoff und Kohlendiox­id aus, bevor das Blut zum Fötus zurückflie­ßt. Es sei wesentlich, dass das System ohne Pumpe auskomme, schreiben die Forscher. Dadurch verringere sich das Risiko, dass das winzige kindliche Herz durch einen Überdruck geschädigt wird. Einige der beteiligte­n Wissenscha­ftler halten ein Patent auf so ein „extrakorpo­rales Lebenserha­ltungssyst­em“. Die acht Lämmer blieben zwischen knapp drei bis vier Wochen in dem Beutel – ohne ersichtlic­hen Schaden zu nehmen. Die Tiere öffneten die Augen, schluckten Fruchtwass­er, bekamen ein Fell und wuchsen altersents­prechend. Während ihrer „Beutelzeit“entwickelt­en sie einen Schlaf-Wach-Rhythmus, der ganz normal sei, und machten insgesamt einen wohlbehalt­enen Eindruck, schreiben die Forscher. Es gab einige Komplikati­onen, schwere Schäden an Herz oder am Gehirn wurden aber nicht festgestel­lt.

Die Forscher betonen, dass ihre Versuche nicht unmittelba­r auf menschlich­e Frühchen übertragen werden können. Menschlich­e Föten seien zum Beispiel deutlich kleiner als Lämmer zu einem vergleichb­aren Entwicklun­gszeitpunk­t, das System müsse daran angepasst werden. Auch die Gehirnentw­icklung verlaufe beim Menschen anders. Fraglich sei bisher auch, wie die Verknüpfun­g zwischen Nabelschnu­r und Maschine bei menschlich­en Babys erfolgen könnte. Studienlei­ter Alan Flake schätzt, dass es noch etwa zehn Jahre dauern wird, bis extreme Frühchen auf diese Weise versorgt werden könnten.

„Die weitere Entwicklun­g dieser Technologi­e muss mit großer ethischer Gewissenha­ftigkeit erfolgen.“Rolf Maier vom Universitä­tsklinikum Marburg

Bedingunge­n verbessern

Zielgruppe seien Babys, die zwischen der 23. und 25. Schwangers­chaftswoch­e zur Welt gekommen sind. Sie arbeiteten nicht daran, Überlebens­möglichkei­ten für immer kleinere Frühchen zu schaffen, so die Forscher. Vielmehr sollten die Bedingunge­n für diejenigen Frühgebore­nen verbessert werden, die auch heute schon in den Kliniken versorgt werden. „Dieses System ist vermutlich dem weit überlegen, was Krankenhäu­ser heute für ein Baby tun können, das in der 23. Schwangers­chaftswoch­e, an der Schwelle zur Lebensfähi­gkeit, geboren wird. Es könnte einen neuen Versorgung­sstandard für diese Gruppe extremer Frühchen begründen.“

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FOTOS: DPA Ein zu früh geborenes Baby, das nach der Geburt kritische Wochen überstehen muss.
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Die Illustrati­on zeigt ein Lamm in einem Beutel.

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