Keine Aussicht auf Besserung
Das türkisch-deutsche Verhältnis erholt sich nicht. Denn obwohl Ankara seine Bereitschaft zur Normalisierung signalisiert hat, bleibt eine grundsätzliche Tatsache unverändert: Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Leute sehen sich von Feinden umringt und reagieren entsprechend. Für Bundesbürger in türkischer Haft wie die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu bedeutet das nichts Gutes. Der Beginn des Prozesses machte am Mittwoch klar: Eine Aussicht auf baldige Besserung besteht nicht. Die türkische Justiz sieht in Tolu eine Staatsfeindin – deutscher Pass hin oder her. Kritiker Ankaras bezeichnen die 32-Jährige aus Ulm als „Geisel“der Erdogan-Regierung.
Hinter der Krise stecken grundverschiedene Ansichten über die Ereignisse in der Türkei seit dem Putschversuch 2016. In Ankara herrscht der Verdacht, der Westen sympathisiere mit Erdogan-Gegnern, um die Türkei zu schwächen. Für die Erdogan-Regierung liegt es auf der Hand, dass einige der Verschwörer von Europa und den USA beschützt werden. Aus der Sicht westlicher Staaten gibt es dagegen keine gerichtsverwertbaren Vorwürfe gegen diese Beschuldigten. Die Türkei redet über mangelnde Solidarität, der Westen redet über fehlende Beweise. Deshalb endeten bisher alle Bemühungen um eine Lösung der Krise in einer Sackgasse. Der ToluProzess und das anstehende Verfahren gegen Peter Steudtner könnten sie noch verschärfen. Und sollte in Berlin eine Jamaika-Koalition mit einem Außenminister Cem Özdemir zustande kommen, wird sich die deutsche Haltung eher verhärten.
Wirtschaftliche Strafmaßnahmen werden Erdogans Regierung nicht unbedingt zum Einlenken veranlassen: Die Führung in Ankara wird die Schuld für negative Folgen auf die angeblich bösen Ausländer abwälzen. Der Westen sollte sich auf klassische Diplomatie besinnen. Wenn abseits des Scheinwerferlichts sachlich miteinander geredet wird, könnte das dem Streit vielleicht etwas von der Schärfe nehmen, die westliche Häftlinge in der Türkei zu Spielbällen der Politik werden lassen.