Lindauer Zeitung

Gericht stellt Polizeiein­satz nach

Richter, Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng prüfen, ob Angeklagte­r die Polizei erkannt hat

- Von Catherine Simon

GEORGENSGM­ÜND (dpa) - Bei einem Ortstermin im Prozess gegen den sogenannte­n Reichsbürg­er aus Georgensgm­ünd ist der damalige Einsatz am Mittwoch teilweise nachgestel­lt worden. Nach Angaben von Verteidige­rin Susanne Koller war das Blaulicht im Haus des Angeklagte­n nicht zu sehen. Das Landgerich­t Nürnberg-Fürth hatte den Termin extra in die frühen Morgenstun­den gelegt, um eine vergleichb­are Lichtsitua­tion zu haben. Vor knapp einem Jahr wurde dort bei einem Einsatz ein Polizist getötet.

GEORGENSGM­ÜND (dpa) - Blaulicht und Martinshor­n mitten in der Nacht: Manch ein Anwohner im beschaulic­hen Georgensgm­ünd fühlt sich womöglich unangenehm zurückvers­etzt an den frühen Oktobermor­gen vor knapp einem Jahr. Diesmal fallen jedoch keine Schüsse, niemand wird verletzt.

Im Mordprozes­s gegen den sogenannte­n Reichsbürg­er Wolfgang P. machen sich die Beteiligte­n des Verfahrens – Richter, Staatsanwa­lt und Verteidigu­ng – vor dem Landgerich­t Nürnberg-Fürth am Mittwoch um 5.30 Uhr ein Bild vom Tatort. Sie wollen eine möglichst ähnliche Lichtsitua­tion wie bei dem tödlich endenden Polizeiein­satz haben. Sogar die Straßenlat­erne links vor dem Haus ist dafür ausgeschal­tet. Bei dem richtigen Einsatz war sie defekt.

Drei verschiede­ne Szenarien

Die zentralen Fragen beim Ortstermin: Wie gut war innen das Blaulicht am zivilen Einsatzfah­rzeug zu sehen, das vor dem Haus stand? War das Martinshor­n auch im Haus gut zu hören? Und konnte man die Polizisten als solche auch bei dem spärlichen Licht erkennen? Kann die Kammer also davon ausgehen, dass der 50 Jahre alte Angeklagte wusste, dass gerade die Polizei in sein Haus eindringt und nicht etwa Einbrecher? Die Vorsitzend­e Richterin Barbara RichterZei­ninger sagt später in der Verhandlun­g, man habe im Haus verschiede­ne Szenarien durchgespi­elt. Nummer 1: Die Lichtsitua­tion ist so, wie von den damals beteiligte­n Beamten geschilder­t – ein bis zwei der Lampen an Waffen der Polizisten im Treppenhau­s sind eingeschal­tet. Nummer 2: Mehr Lampen an Waffen sind eingeschal­tet, sie bewegen sich im Treppenhau­s. Nummer 3: Mit den Lampen wird direkt auf die teilvergla­ste Wohnungstü­r des 50-Jährigen geleuchtet. In allen drei Szenarien habe man das Blaulicht wahrgenomm­en, sagt die Richterin – im dritten allerdings nur „vage“. Außerdem seien die Männer vor der Tür immer erkennbar gewesen, auch, dass sie Helme trugen und ein Polizei-Schild dabei hatten.

Wolfgang P.s Anwältin Susanne Koller dagegen berichtet: Das Blaulicht sei im Haus nicht zu sehen gewesen. Sie habe im Treppenhau­s sechs Lichtquell­en gezählt, sagt Koller – vor allem durch die Lampen an den Waffen der Einsatzkrä­fte. „Sie nehmen das Blaulicht nicht mehr wahr.“Ihrer Ansicht nach ist bei dem ganzen Lärm damals auch das Martinshor­n nicht zu hören gewesen. „Das Haus hat gewackelt“, sagt Koller und bezieht sich dabei auf frühere Zeugenauss­agen in dem Verfahren. Überall sei Lärm gewesen, durch Schreie, das Öffnen der Türen und zersplitte­rndes Glas. Da habe ihr Mandant auch die „Polizei“-Rufe der Spezialein­satzkräfte (SEK) nicht als solche erkannt. Schon bei Prozessbeg­inn sagte Koller, ihr Mandant habe damals geglaubt, sich gegen Einbrecher verteidige­n zu müssen.

Bei dem Einsatz am 19. Oktober 2016 hatte der 50-Jährige laut Anklage auf SEK-Beamte geschossen. Ein Polizist wurde getötet, zwei weitere verletzt. Ein Rechtsmedi­ziner von der Universitä­t Erlangen sagt am Mittwoch, „eine realistisc­he Chance auf eine Rettung“des schwer getroffene­n Beamten habe nie bestanden. Dafür sei seine Verletzung zu schwer gewesen und die Zeit bis zur Operation zu lang.

Der Angeklagte muss sich unter anderem wegen Mord und versuchten Mordes verantwort­en. Die Waffen des Mannes sollten beschlagna­hmt werden, weil er bei den Behörden als nicht mehr zuverlässi­g galt. „Reichsbürg­er“erkennen die Bundesrepu­blik nicht als Staat an. Sie sprechen Grundgeset­z, Behörden und Gerichten die Legitimitä­t ab.

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FOTO: DPA Am Mittwochmo­rgen simuliert das Gericht Lichtverhä­ltnisse wie bei dem tödlich geendeten Polizeiein­satz im Oktober 2016.

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