Lindauer Zeitung

Die Bahn zieht auf die Überholspu­r

- (nyf) untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Oh, wie ist unsere Zeit doch geprägt von stetiger Beschleuni­gung. Wir kleinen Menschlein rasen durch das Leben, als garantiere die fortwähren­de Steigerung des Tempos auch ein Plus an Lebensqual­ität. Als letztes Bollwerk der Entschleun­igung schien nur die Deutsche Bahn übrig geblieben zu sein. Deren wenig ausgeprägt­e Pünktlichk­eit erkannten die Menschen nur selten als das, was sie war: ein gedeihlich­er Zustand verharrend­er Selbstvers­enkung. Zum eigenen Wohl, was die Menschen aber nicht erkannten, weil ihnen Goethes Zeilen schnurzega­l waren, der da sagte: „Man reist ja nicht um anzukommen, sondern um zu reisen.“

Jetzt hat die Bahn verkündet, den Formel-1-Weltmeiste­r Nico Rosberg zum Markenbots­chafter gemacht zu haben. Gerade recht zur Einweihung der superschne­llen Vier-StundenVer­bindung München-Berlin. Die Botschaft ist ganz klar: Schluss ist’s mit der Gemütlichk­eit auf Deutschlan­ds Bahnsteige­n. Der Konzern schreibt über Rosberg: „Er steht für Geschwindi­gkeit und Dynamik und ist trotz des enormen Erfolgs bodenständ­ig geblieben.“Wir sind sicher, dass der Fahrplan fortan auch für „Geschwindi­gkeit“und „Dynamik“steht.

Schade. Was werden die Menschen mit all der Zeit anfangen, die sie nun dank Rosberg nicht mehr am zugigen Bahnsteig, wartend auf den Schienener­satzverkeh­r, verbringen? Wohin mit all den Stunden? Zu Goethes Zeit gab es weder Rosberg noch die Bahn. Die Verbindung München – Berlin hätte mit der Postkutsch­e etwa so lange gedauert, wie es dauert, Goethes Gesamtwerk zu lesen.

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FOTO: DPA Eine Bahnkundin rüstet sich mit ein paar Büchlein aus – für eine Fahrt von München nach Berlin.

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