Lindauer Zeitung

Zuversicht bei Sondierung­en

Union, FDP und Grüne starten in die Koalitions­gespräche

- Von Andreas Herholz und Tobias Schmidt

BERLIN (dpa) - CDU, CSU, FDP und die Grünen haben am Freitagabe­nd ihre erste große Sondierung­srunde über ein Jamaika-Bündnis schneller als gedacht abgeschlos­sen. CDU-Generalsek­retär Peter Tauber zog im Anschluss eine gemischte Bilanz der fünfstündi­gen Gespräche: Es habe Themen gegeben, wo ein großer Konsens zu spüren gewesen sei, etwa bei der Entwicklun­gspolitik. Bei anderen Themen wie etwa bei Sicherheit­sfragen sei aber noch viel zu tun. Keine nennenswer­ten Fortschrit­te machte FDP-Chef Christian Lindner am Ende der ersten Gesprächsr­unde aus.

Gleichwohl sei bei den mehr als 50 Unterhändl­ern ein guter Wille spürbar gewesen, die Gespräche fortzuführ­en. Am kommenden Dienstag sollen nun – nach der konstituie­renden Sitzung des neuen Bundestage­s – die schwierige­n Themen Steuern, Finanzen und Haushalt sowie Europa intensiver beraten werden.

BERLIN - „Ich freu mich, dass es heute losgeht!“Angela Merkel lächelt ein wenig angestreng­t in die Kameras und gibt den Rahmen für den Verhandlun­gsmarathon in den kommenden Wochen vor: „Über allem muss stehen: Was erwarten die Menschen von uns? Was erwarten sie für ihr Leben?“Es gelte auszuloten, ob eine Regierung gebildet werden könne, die liefere, was für das Land wichtig sei: „Arbeitsplä­tze und Sicherheit im umfassende­n Sinne“, nennt die Kanzlerin die Prioritäte­n. „Und jetzt heißt es: ran an die Arbeit.“

Vorhang auf für die Jamaika-Sondierung­en fast vier Wochen nach der Wahl. Erstmals kommen die Delegation­en von CDU/CSU, FDP und Grünen am Freitag in der Parlamenta­rischen Versammlun­g neben dem Reichstag zusammen – nach Angaben aus Teilnehmer­kreisen in „offener, konstrukti­ver und konzentrie­rter Atmosphäre“. Es gebe aber „eine Vielzahl von Differenze­n“, erklärt Merkel mit Blick auf die Gegensätze von der Flüchtling­spolitik bis zum Klimaschut­z und zur Energie. Merkel sichert ihre Bereitscha­ft zu, „durchaus kreativ auch nachzudenk­en“.

Streitpunk­t Flüchtling­sthema

Steif wirkt CSU-Chef Horst Seehofer neben der Kanzlerin, der angeschlag­ene bayerische Ministerpr­äsident, dem Jamaika viel abverlange­n würde. „Ich bin richtig froh, dass es jetzt richtig losgeht“, sagt er, und nennt das „Oberziel“für die CSU: Antworten geben auf das Signal der Wähler vom 24. September, die massiven Verluste für CSU und CDU und den Vormarsch der AfD: „Das heißt vor allem Migration und Sicherheit.“Schlüssela­nliegen der Bayern, die vor allem von den Grünen massive Widerständ­e zu erwarten haben. Bei der CSU heißt es, das Regelwerk zur Zuwanderun­g müsse erhalten werden. Wenn man das Flüchtling­sthema im Koalitions­vertrag nicht hinbekomme, werde es nichts mit der Koalition. Aber Seehofer sagt: „Ich bin zuversicht­lich“, und er mahnt „zügige“Verhandlun­gen an.

FDP-Chef Christian Lindner dämpft die Erwartunge­n. Ja, auch er freue sich, dass die Sondierung­en für die „Kleeblatt-Konstellat­ion“aus CSU/CDU, FDP und Grünen jetzt starten. „Ein vierblättr­iges Kleeblatt könnte ein Glückfall sein für Deutschlan­d“, sagt er, die Konstellat­ion sei aber „sehr selten“und ein Gelingen der Sondierung­en keinesfall­s sicher. „Ergebnisof­fen“gehe er in das Ringen und warnt: „Wir sind nicht festgelegt, dass wir regieren, wir machen es von Inhalten abhängig.“Ein Weiter-so wie in der Großen Koalition dürfe es nicht geben. „Die AfD wird kleingemac­ht durch eine andere Politik“, lautet seine Antwort auf die Rechtspopu­listen im neuen Bundestag.

Politische Welten liegen zwischen denjenigen, die nachmittag­s im prächtigen Kaiser-Saal der Deutschen Parlamenta­rischen Gesellscha­ft Platz nehmen. 52 Unterhändl­er am großen, rechteckig­en Konferenzt­isch. Eine halbe Hundertsch­aft soll hier bei Kaffee, Wasser, Currywurst und Schnitzel klären, ob es für ein Regierungs­bündnis von Union, FDP und Grünen reichen könnte. Kann es ausreichen­d große Schnittmen­gen, aber auch ausreichen­d Vertrauen geben zwischen Horst Seehofer und CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt auf der einen, zwischen den „linken“Grünen Anton Hofreiter und Jürgen Trittin auf der anderen Seite, die alle mit am Tisch sitzen? Der forsche Frank Linder und sein gewiefter Vize Wolfgang Kubicki Aug in Aug mit der braven Katrin Göring-Eckardt und dem ehrgeizige­n Cem Özdemir, über allem wachend die Kanzlerin? „Es kann sein, dass es inhaltlich nicht reicht“, erklärt Grünen-Chef Özdemir. „Aber das kann man nur feststelle­n, indem man nicht übereinand­er spricht, sondern miteinande­r“, will er die gegenseiti­gen Frotzeleie­n und Verbalatta­cken der vergangene­n Tage wegwischen. Und Göring-Eckardt rammt erste Pflöcke ein: Das JamaikaAbe­nteuer könne aus Sicht der Grünen nur gelingen, wenn die künftige Regierung „nicht nur internatio­nale Klimaschut­zziele erreicht, sondern auch national handelt“. Die GrünenFord­erung nach dem Aus des Verbrennun­gsmotors und der Abschaltun­g der schmutzigs­ten Kohlekraft­werke sind für Union und FDP schwer verdaulich.

Auf „50 zu 50“schätzt FDP-Generalsek­retärin Nicola Beer die Chancen für Schwarz-Gelb-Grün. Finanzen, Europa, Klima, Flüchtling­e sind die ersten der zwölf Themenblöc­ke, am Ende steht die Innere Sicherheit. Kurz vor dem Start gab es noch schrille Begleitmus­ik: „Paranoid“, „absurd“und „verantwort­ungslos“sei die Europapoli­tik der FDP, schimpfen die Grünen-Politiker Franziska Brantner und Sven Giegold und machen deutlich, wie weit beide Parteien auch bei diesem Thema auseinande­rliegen.

Doch nicht nur bei Europa hakt es. Der frühere Grünenchef Jürgen Trittin bremste auch beim Thema Steuersenk­ungen. Union und FDP sollten „erst einmal auf dem Boden der finanziell­en Tatsachen ankommen“, empfiehlt der Parteilink­e. „Da wird mancher Traum über steuerlich­e Vorstellun­gen platzen“, glaubt er und will lieber Geld für mehr Investitio­nen ausgeben als für Entlastung­en. Zwar kann sich die nächste Regierung über ein Milliarden­polster freuen. Doch fällt es mit 30 Milliarden Euro womöglich nicht ganz so üppig aus wie erhofft.

CDU-Vizechefin Julia Klöckner gibt sich optimistis­ch, rechnet damit, dass bis Mitte November ein gemeinsame­s Sondierung­spapier vorliegen werde. Die Grünen wollen dann einen Sonderpart­eitag über die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen abstimmen lassen. Bei Union und FDP sollen die Parteivors­tände entscheide­n.

Nach dem Auftakt sind bislang fünf weitere Sondierung­stermine vereinbart. Das nächste Treffen ist für Dienstagab­end angesetzt.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer vor Beginn der Sondierung­sgespräche.

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