Zuversicht bei Sondierungen
Union, FDP und Grüne starten in die Koalitionsgespräche
BERLIN (dpa) - CDU, CSU, FDP und die Grünen haben am Freitagabend ihre erste große Sondierungsrunde über ein Jamaika-Bündnis schneller als gedacht abgeschlossen. CDU-Generalsekretär Peter Tauber zog im Anschluss eine gemischte Bilanz der fünfstündigen Gespräche: Es habe Themen gegeben, wo ein großer Konsens zu spüren gewesen sei, etwa bei der Entwicklungspolitik. Bei anderen Themen wie etwa bei Sicherheitsfragen sei aber noch viel zu tun. Keine nennenswerten Fortschritte machte FDP-Chef Christian Lindner am Ende der ersten Gesprächsrunde aus.
Gleichwohl sei bei den mehr als 50 Unterhändlern ein guter Wille spürbar gewesen, die Gespräche fortzuführen. Am kommenden Dienstag sollen nun – nach der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages – die schwierigen Themen Steuern, Finanzen und Haushalt sowie Europa intensiver beraten werden.
BERLIN - „Ich freu mich, dass es heute losgeht!“Angela Merkel lächelt ein wenig angestrengt in die Kameras und gibt den Rahmen für den Verhandlungsmarathon in den kommenden Wochen vor: „Über allem muss stehen: Was erwarten die Menschen von uns? Was erwarten sie für ihr Leben?“Es gelte auszuloten, ob eine Regierung gebildet werden könne, die liefere, was für das Land wichtig sei: „Arbeitsplätze und Sicherheit im umfassenden Sinne“, nennt die Kanzlerin die Prioritäten. „Und jetzt heißt es: ran an die Arbeit.“
Vorhang auf für die Jamaika-Sondierungen fast vier Wochen nach der Wahl. Erstmals kommen die Delegationen von CDU/CSU, FDP und Grünen am Freitag in der Parlamentarischen Versammlung neben dem Reichstag zusammen – nach Angaben aus Teilnehmerkreisen in „offener, konstruktiver und konzentrierter Atmosphäre“. Es gebe aber „eine Vielzahl von Differenzen“, erklärt Merkel mit Blick auf die Gegensätze von der Flüchtlingspolitik bis zum Klimaschutz und zur Energie. Merkel sichert ihre Bereitschaft zu, „durchaus kreativ auch nachzudenken“.
Streitpunkt Flüchtlingsthema
Steif wirkt CSU-Chef Horst Seehofer neben der Kanzlerin, der angeschlagene bayerische Ministerpräsident, dem Jamaika viel abverlangen würde. „Ich bin richtig froh, dass es jetzt richtig losgeht“, sagt er, und nennt das „Oberziel“für die CSU: Antworten geben auf das Signal der Wähler vom 24. September, die massiven Verluste für CSU und CDU und den Vormarsch der AfD: „Das heißt vor allem Migration und Sicherheit.“Schlüsselanliegen der Bayern, die vor allem von den Grünen massive Widerstände zu erwarten haben. Bei der CSU heißt es, das Regelwerk zur Zuwanderung müsse erhalten werden. Wenn man das Flüchtlingsthema im Koalitionsvertrag nicht hinbekomme, werde es nichts mit der Koalition. Aber Seehofer sagt: „Ich bin zuversichtlich“, und er mahnt „zügige“Verhandlungen an.
FDP-Chef Christian Lindner dämpft die Erwartungen. Ja, auch er freue sich, dass die Sondierungen für die „Kleeblatt-Konstellation“aus CSU/CDU, FDP und Grünen jetzt starten. „Ein vierblättriges Kleeblatt könnte ein Glückfall sein für Deutschland“, sagt er, die Konstellation sei aber „sehr selten“und ein Gelingen der Sondierungen keinesfalls sicher. „Ergebnisoffen“gehe er in das Ringen und warnt: „Wir sind nicht festgelegt, dass wir regieren, wir machen es von Inhalten abhängig.“Ein Weiter-so wie in der Großen Koalition dürfe es nicht geben. „Die AfD wird kleingemacht durch eine andere Politik“, lautet seine Antwort auf die Rechtspopulisten im neuen Bundestag.
Politische Welten liegen zwischen denjenigen, die nachmittags im prächtigen Kaiser-Saal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft Platz nehmen. 52 Unterhändler am großen, rechteckigen Konferenztisch. Eine halbe Hundertschaft soll hier bei Kaffee, Wasser, Currywurst und Schnitzel klären, ob es für ein Regierungsbündnis von Union, FDP und Grünen reichen könnte. Kann es ausreichend große Schnittmengen, aber auch ausreichend Vertrauen geben zwischen Horst Seehofer und CSULandesgruppenchef Alexander Dobrindt auf der einen, zwischen den „linken“Grünen Anton Hofreiter und Jürgen Trittin auf der anderen Seite, die alle mit am Tisch sitzen? Der forsche Frank Linder und sein gewiefter Vize Wolfgang Kubicki Aug in Aug mit der braven Katrin Göring-Eckardt und dem ehrgeizigen Cem Özdemir, über allem wachend die Kanzlerin? „Es kann sein, dass es inhaltlich nicht reicht“, erklärt Grünen-Chef Özdemir. „Aber das kann man nur feststellen, indem man nicht übereinander spricht, sondern miteinander“, will er die gegenseitigen Frotzeleien und Verbalattacken der vergangenen Tage wegwischen. Und Göring-Eckardt rammt erste Pflöcke ein: Das JamaikaAbenteuer könne aus Sicht der Grünen nur gelingen, wenn die künftige Regierung „nicht nur internationale Klimaschutzziele erreicht, sondern auch national handelt“. Die GrünenForderung nach dem Aus des Verbrennungsmotors und der Abschaltung der schmutzigsten Kohlekraftwerke sind für Union und FDP schwer verdaulich.
Auf „50 zu 50“schätzt FDP-Generalsekretärin Nicola Beer die Chancen für Schwarz-Gelb-Grün. Finanzen, Europa, Klima, Flüchtlinge sind die ersten der zwölf Themenblöcke, am Ende steht die Innere Sicherheit. Kurz vor dem Start gab es noch schrille Begleitmusik: „Paranoid“, „absurd“und „verantwortungslos“sei die Europapolitik der FDP, schimpfen die Grünen-Politiker Franziska Brantner und Sven Giegold und machen deutlich, wie weit beide Parteien auch bei diesem Thema auseinanderliegen.
Doch nicht nur bei Europa hakt es. Der frühere Grünenchef Jürgen Trittin bremste auch beim Thema Steuersenkungen. Union und FDP sollten „erst einmal auf dem Boden der finanziellen Tatsachen ankommen“, empfiehlt der Parteilinke. „Da wird mancher Traum über steuerliche Vorstellungen platzen“, glaubt er und will lieber Geld für mehr Investitionen ausgeben als für Entlastungen. Zwar kann sich die nächste Regierung über ein Milliardenpolster freuen. Doch fällt es mit 30 Milliarden Euro womöglich nicht ganz so üppig aus wie erhofft.
CDU-Vizechefin Julia Klöckner gibt sich optimistisch, rechnet damit, dass bis Mitte November ein gemeinsames Sondierungspapier vorliegen werde. Die Grünen wollen dann einen Sonderparteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen abstimmen lassen. Bei Union und FDP sollen die Parteivorstände entscheiden.
Nach dem Auftakt sind bislang fünf weitere Sondierungstermine vereinbart. Das nächste Treffen ist für Dienstagabend angesetzt.