Die größte Hürde: Vertrauen fassen
Autonomes Fahren wird nicht an der Technik scheitern, sagen Forscher der Hochschule Kempten
KEMPTEN - Der BMW von Professor Bernhard Schick hat sich sprichwörtlich an die Fersen des vorderen Autos geheftet. Für den korrekten Abstand zum Vordermann sorgt das Fahrerassistenzsystem seines Autos. Es erkennt auch die Geschwindigkeitsbegrenzung auf dem Kemptener Schuhmacherring. Bremst der Vordermann ab, wird auch Schicks Auto langsamer. Doch an der Ampel, die gerade auf rot schaltet, muss er eingreifen. Denn die erkennt sein Auto nicht. Auch ein Spurhaltesystem hat sein Wagen nicht, das heißt, lenken muss er noch selbst. Doch viele Automodelle, die Schick gemeinsam mit den Studenten der Kemptener Hochschule testet, fahren bereits wie von Geisterhand.
Bernhard Schick lehrt „Fahrzeugdynamik und Fahrerassistenz“an der Hochschule und testet mit den Studenten die Assistenzsysteme sämtlicher Automarken. Funktioniert der Spurhalteassistent in allen Straßensituationen, ist die Bedienung der Systeme intuitiv und wie reagiert der Fahrassistent bei Gefahren? Diesen Fragen gehen die Forscher nach. Die Halle in der Kemptener Leonhardstraße ist der Ausgangspunkt für die Testfahrten im Allgäu. Probe gefahren wird auf der B 12, B 19 und B 308 Richtung Oberstaufen sowie auf der A 7. Seit 2014 gibt es den Masterstudiengang „Fahrassistenzsysteme“in Kempten. Genau das richtige für Student Adrian Günther: „Mich interessieren die Fahrzeuge und die moderne Technik“, sagt der 26-Jährige. Und auch der wissenschaftliche Mitarbeiter Daniel Schneider ist begeistert von der Aufgabe, in einem Forschungslabor für Fahrassistenzsysteme mitzuwirken.
Können die Computersysteme nun tatsächlich schon den Autofahrer ersetzen? „Bedingt“, sagen beide Jungforscher. „Die Fahrzeuge können schon einiges übernehmen. Aber es ist kein autonomes System, sondern unterstützt eher den Komfort“, sagt Günther. Doch eine noch viel wichtigere Frage beschäftigt die Wissenschaftler. Wie entlasten oder belasten Fahrassistenzsysteme den Fahrer selbst? Dazu verkabelten Schick und sein Forschungsteam 50 Probanden. Mittels EKG wurde dann während des Fahrens unter anderem Atmung, Puls und die Schweißproduktion der Hände gemessen. „Momentan ist der Fahrer noch sehr starkem mentalem Stress ausgesetzt“, sagt Schick. Denn er muss zu jedem Zeitpunkt eingreifen können.
2020 kündigt die Automobilindustrie hochautomatisiertes Fahren an. Dann muss der Fahrer die Hände nicht mehr am Lenker lassen, sondern kann einen Film schauen, telefonieren oder Zeitung lesen. Doch die größte Hürde, steckt in den Köpfen der Menschen. „Die Kundenakzeptanz ist noch sehr niedrig. Das Vertrauen in die Systeme fehlt und auch die Bedienung ist noch nicht intuitiv“, sagt Günther.
Und wie weit sind die Fahrassistenzsysteme nach der Meinung von Professor Schick? Die Sicherheit sei nicht das Problem. Vor allem beim Notbremsen, Einparken oder Ausweichen seien die Systeme schon sehr verlässlich. Doch bis zum hochautomatisierten Fahren im Jahr 2020 gebe es „noch einiges zu meistern“. Autobahnen und Bundesstraßen seien kein Problem für die Fahrassistenzsysteme. Heikel werde es jedoch bei Fußgängern und Kindern im städtischen Straßenverkehr. „Die Frage wird sein, ob wir die Qualität und Güte akzeptieren und den Systemen vertrauen“, sagt Schick.
Doch ein anderes Szenario hält er für denkbar: „Bis 2030 werden sicher einige Allgäuer Dörfer mit Kempten verbunden sein. Und per App kann man dann ein fahrerloses Taxi ordern.“Schon in drei Jahren soll das in Oberstdorf und Hindelang getestet werden. Auf festen Strecken sollen dann die Wanderer durch fahrerlose Busse transportiert werden.