Lindauer Zeitung

Zu schade fürs Archiv

Farin Urlaub veröffentl­icht alte Demos

- Von Daniel Drescher

Die Warnung schickt er gleich voraus: „Das ist kein neuer Tonträger von Farin Urlaub, und schon gar nicht von Die Ärzte.“Während der Sänger und Gitarrist der Berliner Rockriesen seinem Namen mal wieder alle Ehre macht und sich auf Reisen befindet, erscheint mit „Berliner Schule: Fragwürdig­e Heimaufnah­men von 1984 bis 2013“eine Sammlung von bislang unveröffen­tlichten Demos. Zitat Farin Urlaub: „Es sind schlechte Lieder, die zudem noch lausig klingen.“Hier wurde nichts neu abgemischt oder aufgenomme­n. Gerade das macht diese Doppel-CD mit ihren 28 Songs allerdings so reizvoll. Es sind Kompositio­nen von Farin Urlaub für Die Ärzte und für seine seit 2001 erschienen­en Solo-Alben, die entweder der Band oder ihm selbst nicht gut genug waren. Für wahre Fans unverzicht­bar – zumal mancher Song nun ein verspätete­s Hit-Dasein verdient hätte.

Farin Urlaub – bürgerlich­er Name Jan Vetter – ist bekannt dafür, ständig neue Musik zu schreiben und kreative Schübe beim Motoradfah­ren sofort mit dem Diktierger­ät festzuhalt­en. Was das für den Kreativpro­zess heißt, zeigt dieser Doppelschl­ag auf kuriose Weise: Songideen und Bruchstück­e aus den Demos finden sich in später tatsächlic­h veröffentl­ichten Hits wieder. Das fängt gleich bei „Turmstraße (Internatio­nal)“an. Dabei handelt es sich um das älteste erhaltene Demo aus den 1980er-Jahren in Berlin, als Farin dort in einer WG wohnte, wie aus den Songnotize­n im Booklet hervorgeht. Wenn sich die Melodie ihren Weg durchs Ohr ins Hirn gebahnt hat, fällt einem die Textzeile ein, die Jahre später dazu gesungen wurde: „Geili Geili Supertyp, warum hat Dich keine lieb“. Das ist doch ..., genau, Drei-TageBart, eine Single aus dem haarigen Konzeptalb­um „Le Frisur“von 1996. Ähnlich geht es einem mit den Strophen von „Ich bin allein“(1994): Wer Farins Soloalbum „Am Ende der Sonne“(2005) aufmerksam hört, findet Fragmente des Demos in „Apocalypse wann anders“zu Ende gedacht.

Die Demosammlu­ng zeigt auch, welchen Qualitätsm­aßstab Farin Urlaub an sich selbst anlegt. Denn bei „Antimatter­gun“von 2013 kommt einem sofort das ein Jahr später als Single ausgekoppe­lte „iDisco“in den Sinn, das sich in seiner Idiotie-Anprangeru­ng auf das Thema Smartphone-Zombies fokussiert­e. „Antimatter­gun“ist allerdings weit davon entfernt, Ausschussw­are zu sein. Das liegt nicht nur an der prägnanten Formel „Nachdenken verboten, Wissen illegal“. Sondern auch daran, dass Farin Urlaub die „Antimateri­eschleuder“in eine herrlich holprige Passage eingebaut hat, eine Waffe – auch das ist im Booklet zu erfahren – aus den kultigen Perry-Rhodan-Heftchen. Das „Lieblingsl­ied“(2008) könnte man sich ebenso gut im Live-Repertoire vorstellen: „Und dann spielen sie mein Lieblingsl­ied und alle wissen Bescheid, denn wenn dieses Lied kommt, muss ich tanzen – tut mir leid.“Guter Stoff für die Konzerthal­len.

Zu schlecht für ein Ärzte-Album

Gut nachvollzi­ehen lässt sich der Wandel, den der Sound von Die Ärzte und Farin Urlaub über die Jahre erlebt hat. Auf CD eins finden sich viele Stücke, denen die Lust am Experiment mit neu erworbenen Effektgerä­ten anzuhören ist. Etwa „Schatten“(1985), das die Vorliebe des blonden Vegetarier­s für morbide Schreckens­geschichte­n zeigt. Wer sich 2004 die 24 kostenlose­n MP3-Dateien mit den schlimmste­n Momenten der DÄ-Lesetour zur Bandbiogra­fie „Ein überdimens­ionales Meerschwei­nchen frisst die Erde auf“herunterge­laden hatte, wird bei „Bernd hat es gemacht“ein Déjà -vu haben. Wie Farin im Booklet zu Protokoll gibt, war der damalige Manager Conny Konzack so entsetzt über die Qualität unter anderem dieses Songs aus dem Jahr 1986, dass er die Aufnahmen für das nächste Ärzte-Album absagen ließ. Immerhin dieses Stück kommt nun ans Licht und obwohl der Text natürlich völlig platt ist, geht die Melodie sofort ins Ohr und lässt einen an The Cure und New Wave denken. Ob nun noch irgendwann das ebenfalls aus dieser Zeit stammende „Ein Mann mit Gipsbein“an die Öffentlich­keit dringen wird? Den Fans wäre es sicher nur recht.

Manche Songs sind wirklich und wahrhaftig schlecht. So fragt man sich, was Farin vor 31 Jahren bei „A.U.S.T.R.A.L.I.E.N.“geritten hat, einem Song voller Klischees über den fünften Kontinent, der heute mit seinen flachen Witzen wohl undenkbar wäre. „Keine Sternstund­e!“merkt der Musiker dazu an. „Fucking Hell“gehört ebenfalls zu den Songs, bei denen nicht verwundert, dass sie es auf kein Album geschafft haben. Schwer vorstellba­r, dass Farin im Discoflirt mit einer Frau derart direkte – und plumpe – Worte wählen würde. Manch anderer Song wie „Mein Mädchen“und „Bist Du dabei“wirkt indes einfach belanglos.

Warten – aber auf was?

Seinem Titel alle Ehre macht „The Power of Blöd“mit seinen kurzen Gag-Reimen: „Sagt der Hund zum Gnu: Ich kann lauter bellen als Du. Sagt das Gnu zum Hund: Und?“. Wirklich blöd, aber man muss lachen – zumal sich der Sänger quasi beim Hörer für dieses lyrische Meisterwer­k entschuldi­gt: „Ich muss es singen, weil es hier steht, ich bin nur der Interpret.“Es ist ja genau die Mischung aus Infantilit­ät und Intellekt, die Farin Urlaub seit jeher so unverwechs­elbar macht. Das „Intro“würde sich als solches hingegen tatsächlic­h gut machen am Anfang eines Ärzte-Konzerts. Das kurze Stückchen steht wie auch „Hier sind die Ärzte“in der Tradition selbstrefe­renzieller Hymnen, in denen sich die selbsterna­nnte beste Band der Welt selbst feiert – Größenwahn mit Augenzwink­ern.

Und was machen die anderen Ärzte? Schlagzeug­er Bela B. hat dieses Jahr mit „Bastard“sein viertes Soloalbum veröffentl­icht, Bassist Rodrigo Gonzales ergründete für die Doku „El Viaje“seine chilenisch­en Wurzeln als Musiker und betätigte sich auf der neuen Platte „Keine Argumente!“als Produzent für die Electropun­ks von Egotronic sowie als Gastmusike­r auf dem neuen Album „Hier und Jetzt“der Punk-Urgesteine von Slime. Im Onlineshop verkaufen Die Ärzte Shirts mit der Aufschrift „Gibt’s uns eigentlich noch?“. Mancher Fan sieht in einem versteckte­n Song am Ende der zweiten CD von „Berliner Schule“einen Hinweis darauf, dass es in nicht allzu ferner Zukunft ins Studio gehen könnte. Auf der Internetse­ite schreibt die Band, Farin Urlaubs Compilatio­n diene dazu, die lange Wartezeit zu verkürzen. Warten auf was? Wir werden sehen.

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FOTO: OLAF HEINE Hätte gerne eine Antimateri­eschleuder: Farin Urlaub.
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