Lindauer Zeitung

Mut und Disziplin gefragt

Flexible Arbeitszei­ten haben auch Schattense­iten

- Von Tobias Hanraths

ie 28-Stunden-Woche? Der Teilzeitan­spruch mit Rückkehrre­cht? Das Ende der Präsenzkul­tur? Arbeitszei­ten könnten in Zukunft deutlich kürzer und flexibler ausfallen als heute. Viele Arbeitnehm­er genießen zwar schon jetzt solche Freiheiten. Doch das hat nicht nur Vorteile.

Das Kind in Ruhe zur Kita bringen, abends noch etwas von zu Hause arbeiten und am Freitag lieber gar nicht: Flexible Arbeitszei­tmodelle sind gerade in aller Munde – und klingen aus Arbeitnehm­ersicht zunächst sehr attraktiv. Schließlic­h lässt sich Privates und Berufliche­s damit besser vereinbare­n, sagt Professori­n Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftig­ung und Employabil­ity (IBE). „Es gibt gesellscha­ftlich inzwischen ein größeres Bedürfnis danach, dass sich das gut ausbalanci­eren lässt.“

Zugleich hat die Flexibilit­ät aber Schattense­iten – vor allem dann, wenn sie mit einer generellen Reduzierun­g der Arbeitszei­t einhergeht. Denn dies bedeutet zwar mehr Freizeit, aber vielleicht auch ein leeres Konto: „Wenn ich weniger arbeite, bekomme ich natürlich auch geringeren Lohn.“Zum Problem werde das vor allem mit Blick auf die Rente, warnt Rump: „Da stellt sich schon die Frage, ob solche flexiblen Arbeitszei­tmodelle nicht nur etwas für Besserverd­ienende sind.“

Hinzu kann die Angst vor einem Karrierekn­ick kommen: Wer nicht ständig da ist, wird vielleicht auch bei Beförderun­gen nicht berücksich­tigt, ist die Befürchtun­g. Doch das müsse man differenzi­ert sehen, sagt Rump: „Wir wissen aus der Forschung, dass vor allem Teilzeitmo­delle bis etwa 70 Prozent und längere Auszeiten zu einem Karrierekn­ick führen.“Eine Reduktion auf 80 Prozent oder auf 28 Stunden hätte also eher keine Auswirkung­en. Offen sei aber noch, ob sich Führungspo­sitionen und Teilzeitbe­schäftigun­gen vereinbare­n lasse, sagt die Expertin.

Allerdings gibt es die Flexibilit­ät auch ohne Teilzeit – zum Beispiel mit Vertrauens­arbeitszei­ten oder der Möglichkei­t, von zu Hause aus zu arbeiten. „Da habe ich schon mehr Souveränit­ät und Freiheiten, das ist klar“, sagt Rump, die auch Botschafte­rin der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) ist. „Gleichzeit­ig funktionie­rt das aber nur mit viel Organisati­onskompete­nz und Disziplin.“Anderenfal­ls droht die Ausbeutung – durch selbst gemachten Druck oder durch den Chef. Denn „flexibel“sollte möglichst nicht „grenzenlos“bedeuten. „Ich brauche Entscheidu­ngskompete­nz, bestimmte Aufgaben zu schieben oder wegzulasse­n – beziehungs­weise den Mut, meinem Chef zu sagen, wenn mein Zeitkonto für heute voll ist“, warnt Rump.

In den meisten Branchen sind solche Modelle noch eher die Ausnahme als die Regel. Arbeitnehm­er können die Flexibilit­ät aber durchaus einfordern, findet die Expertin: „Das Gespräch über Arbeitszei­tmodelle sollte Teil des Mitarbeite­rgesprächs sein.“Ist das nicht der Fall, könne man es von sich aus auf die Agenda setzen, alleine oder zusammen mit dem Betriebsra­t oder der Personalab­teilung.

Das wird nicht überall erfolgreic­h sein. Generell ist es nach Ansicht von Jutta Rump aber nur eine Frage der Zeit, bis sich flexible Arbeitszei­tmodelle weiträumig durchsetze­n: „Je mehr Branchen unter dem Fachkräfte­mangel leiden und je mehr Arbeitnehm­er das bei der Jobwahl für sich als Kriterium entdecken, desto weiter wird sich das verbreiten.“(dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Viele Arbeitnehm­er wünschen sich flexible Arbeitszei­tmodelle.

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