Lindauer Zeitung

Konzentrat­ion aufs Kern-Geschäft

Die ganze Welt hat Appetit auf Cashew-Nüsse – Das befreit Bauern in Afrika aus der Armut – Auch Bill Gates hat dabei seine Finger im Spiel

- Von Philipp Hedemann

Diese Bäume haben mein Leben verändert. Sie haben mich zu einer glückliche­n Frau gemacht. Victoria Ataa, Cashew-Bäuerin in Ghana Mama, pflanze mehr Cashew-Bäume. Ihnen gehört die Zukunft. Von ihrem Sohn hat Victoria Ataa den richtigen Tipp bekommen

Diese Bäume haben mein Leben verändert. Sie haben mich zu einer glückliche­n Frau gemacht“, sagt Victoria Ataa und tätschelt liebevoll die Rinde des Baumes, der ihr in der Mittagshit­ze Schatten spendet. Die ghanaische Bäuerin sitzt im Dorf Congo unter einem Cashew-Baum. Seine süßen Früchte haben sie nicht nur aus bitterer Armut befreit, sie haben sie auch zu einem Vorbild für Tausende andere Bäuerinnen und Bauern in Afrika gemacht. Jetzt wollen deutsche Entwicklun­gshelfer und die Stiftung von Software-Milliardär Bill Gates dafür sorgen, dass weitere Hundertaus­ende afrikanisc­he Bauern vom globalen CashewBoom profitiere­n.

Vor 14 Jahren saß Victoria Ataa am Straßenran­d und verkaufte in Plastikbeu­tel abgefüllte­s Wasser. Ein unwürdiger Job für eine Bäuerin, fand die stolze Frau, doch ihre Felder gaben einfach nicht genug her. Immer häufiger blieb der Regen aus, immer niedriger fielen die Ernten aus. Nur den Bäumen mit den seltsamen nierenförm­igen Kernen schien die Trockenhei­t nichts anzuhaben. Doch dort, wo schon Victoria Ataas Großvater das Feld mit Yams, Maniok und Mais bestellt hatte, wusste niemand etwas mit den sonderbare­n Früchten anzufangen. Nur ein paar „komische Inder“kauften den Kindern die Nüsse für einen Spottpreis ab. Während „die komischen Inder“mit dem Export der Nüsse in ihre Heimat reich wurden, hatten Bäuerinnen wie Victoria Ataa kaum etwas vom Cashew-Hunger der Inder.

Als sie am Straßenran­d wieder einmal darüber nachdachte, wie sie ihre fünf Kinder satt kriegen und zur Schule schicken konnte, sprach ein Mann sie an. „Eine Frau wie Du sollte nicht hier rumsitzen. Eine Frau wie Du sollte Cashew-Nüsse anbauen“, sagte der Kunde. Er war der Vorsitzend­e der Vereinigun­g der ghanaische­n Cashew-Bauern. Er berichtet ihr, dass die weltweite Nachfrage jedes Jahr um rund zehn Prozent steige, die Preise sogar noch viel schneller. Er sagte, dass ein Ende des Booms nicht in Sicht und Ghana eines der besten Anbaugebie­te der Welt sei. Als Victoria Ataa ihm beschrieb, welche Bäume auf ihrem Land wuchsen, sagte der Bauern-Vertreter: „Das sind Cashews.“Seitdem hat die Bäuerin nie wieder mit Wassertüte­n am Straßenran­d gesessen.

Sie versuchte, alles rauszufind­en, was man in Ghana über CashewNüss­e in Erfahrung bringen konnte. Viel war es nicht. Denn vor 14 Jahren gehörte die Bäuerin in ihrem Land zu den Cashew-Pionierinn­en. Die meisten Bauern wussten damals nicht, wie man die Erträge der Bäume steigert, wie man die Nüsse lagert und weitervera­rbeitet. Zudem hatten die schlecht organisier­ten Erzeuger keine Ahnung, an wen sie die Nüsse für welchen Preis verkaufen konnten – und so setzte kaum jemand auf die Kerne, die auch heute noch nicht auf dem ghanaische­n Speiseplan stehen. Doch nicht nur Ghana machte wenig aus seinen Cashew-Bäumen. Auch in vielen anderen afrikanisc­hen Staaten vergammelt­en die Nüsse auf den Feldern, während Nachfrage und Preise weltweit explodiert­en.

Um das riesige, brachliege­nde Potential zu nutzen, wurde 2009 die Competitiv­e Cashew Initiative (ComCashew) ins Leben gerufen. Im Auftrag des deutschen Entwicklun­gshilfemin­isteriums, der Bill & Melinda Gates Stiftung sowie über 30 an zuverlässi­gen Lieferunge­n interessie­rten Firmen wie dem Unnternehm­en KraftHeinz setzt die Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) das fast 50 Millionen Euro schwere Programm in Benin, Burkina Faso, der Elfenbeink­üste, Mosambik und Ghana um.

Das Projekt, das im vergangene­n Jahr mit einem Innovation­spreis der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) ausgezeich­net wurde, zielt auf die gesamte Wertschöpf­ungskette ab: von der Produktion, über die Verarbeitu­ng und die Vermarktun­g bis hin zum Export. „Experten beraten die Bauern unter anderem, wie sie durch verbessert­e Anbau-, Ernteund Lagermetho­den ihre Erträge steigern können. Davon haben in den Teilnehmer­staaten bislang über 400 000 Bauern profitiert. Viele von ihnen konnten ihr Einkommen aus Cashew so verdoppeln. Allein in Ghana können heute rund 75 000 Kleinbauer­n vom Anbau leben“, erklärt Rita Weidinger. Die Passauer Agrarökono­min leitet das Programm in Ghana.

Victoria Ataa hat an mehreren dieser Trainings teilgenomm­en. Mit Erfolg. „Früher habe ich fünf bis acht Säcke geerntet, in diesem Jahr waren es 16“, erzählt die 66-Jährige stolz. Sie hat jetzt nicht nur mehr Nüsse, sie verkauft sie auch zu einem höheren Preis. „Früher haben die Händler uns oft übers Ohr gehauen. Aber jetzt wissen wir, was unsere Nüsse wert sind und lassen uns nicht mehr über den Tisch ziehen“, sagt die Witwe selbstbewu­sst. Während sie heute umgerechne­t bis zu 90 Cent für ein Kilo ungeschält­e Nüsse erhält, waren es vor zehn Jahren noch neun Cent.

Mit dem Geld konnte sie unter anderem ein bescheiden­es Haus bauen, sich mehrere Kühe kaufen und ihren ältesten Sohn auf die Universitä­t in Accra schicken. Dort studierte er Landwirtsc­haft. Mittlerwei­le lehrt er an einer Fachhochsc­hule in der Hauptstadt. So oft wie möglich besucht er seine Mutter in ihrem eine Tagesreise entfernten Dorf. Immer wieder hat er dann den selben Tipp für seine Mutter. „Mama, pflanze mehr Cashew-Bäume. Ihnen gehört die Zukunft.“Victoria Ataa hörte auf ihren Sohn, pflanzte auch auf dem Land ihres Onkels Cashew-Bäume. Dort empfängt sie mittlerwei­le oft Bauern, die von ihr wissen wollen, wie auch sie ihre Ernten steigern können. „Ich habe keine Angst vor Konkurrenz. Es gibt immer noch mehr Nachfrage als Angebot“, sagt die hilfsberei­te Bäuerin.

Die Setzlinge für ihr neues Feld hat sie in der Cashew-Forschungs­station im nahegelege­n Wenchi gekauft. Dort experiment­ieren Arthur Robert und seine 14 Mitarbeite­r wie man die Cashew-Bäume durch Kreuzung noch ertragreic­her und widerstand­sfähiger gegen Dürre und Schädlings­befall machen kann. Die Fortschrit­te sind beeindruck­end. So ist es den Wissenscha­ftlern ganz ohne Einsatz von Gentechnik gelungen, die durchschni­ttliche Ernte pro Baum von vier bis acht auf mittlerwei­le 20 bis 35 Kilo zu steigern. Und Robert ist überzeugt: Es gibt noch viel Luft nach oben. Der Leiter der Forschungs­station: „Durch den Klimawande­l wird es in Ghana in Zukunft wahrschein­lich weniger regnen. Für den Cashew-Baum ist das jedoch kein Problem. Er kommt gut mit Trockenhei­t klar. Unser Ziel ist es daher, Ghana in den nächsten Jahren zu einem der internatio­nalen Top-Produzente­n zu machen.“Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Weltweit werden derzeit rund drei Millionen Tonnen Cashew-Nüsse produziert. Aus Ghana kommen gerade mal 65 000 Tonnen. Der Großteil stammt derzeit aus Indien, Vietnam und Brasilien. In Afrika angebaute und verarbeite­te Nüsse galten lange als internatio­nal nicht konkurrenz­fähig.

Yoseph Yeung will dazu beitragen, dass Ghana den Abstand zu den drei großen Cashew-Nationen weiter verringert. In den letzten zehn Jahren hat sich die Menge der in Ghana verarbeite­ten Nüsse bereits fast verfünffac­ht, knapp 6000 neue Jobs sind so entstanden.

Dazu hat auch Yeung beigetrage­n. Der in Shanghai geborene Manager leitet den zweitgrößt­en Cashew-Betrieb in Ghana. Zu Hochzeiten arbeiten bis zu 1200 Menschen für das dänische Unternehme­n, das von ComCashew beraten wurde. In Handarbeit befreien sie die süßen Kerne aus ihrer harten Schale, schälen die dünne Haut von den Nüssen und verpacken sie für den Export unter anderem in die EU. Als Yeung 2010 die Leitung des Betriebes übernahm, produziert­en seine Arbeiter rund 800 Tonnen pro Jahr, mittlerwei­le sind es knapp 5000. „Wir könnten hier locker 7500 Tonnen schaffen, aber leider fehlt es manchmal an Nachschub“, sagt der Mann, der viele Menschen beschäftig­t, die nie zuvor einen festen Job hatten. 75 Prozent von ihnen sind Frauen.

Ernestina Adu-Gayanfuah ist eine von ihnen. An einem Tisch sortiert sie Kerne nach Größe, Qualität und Farbe. Knapp einen Zentner schafft sie in einer Acht-Stunden-Schicht. „Die Bezahlung ist okay, das kostenlose Mittagesse­n sehr gut, außerdem haben wir 15 Tage bezahlten Urlaub pro Jahr und bekommen unseren Lohn auch, wenn wir krank sind. Trotzdem will ich hier nicht ewig Nüsse sortieren“, sagt die junge Frau, die zwölf Jahre zur Schule ging. Die 22-Jährige möchte Krankensch­wester werden. Doch für die Ausbildung braucht sie Geld, und die Cashew-Fabrik ist für sie die beste Möglichkei­t, die Studiengeb­ühren zu verdienen.

Möglicherw­eise werden bald auch Nüsse, die auf Victoria Ataas neuem Feld wachsen, durch die Finger der Fabrikarbe­iterin gleiten. Die resolute Bäuerin hat sich fest vorgenomme­n, ihre Ernte weiter zu steigern. Victoria Ataa: „Ich wollte früher nicht, dass meine Kinder Bauern werden. Aber seitdem wir Cashew anbauen, habe ich nichts dagegen, dass sie in meine Fußstapfen treten.“

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FOTO: COLOURBOX Cashew-Nüsse sind ein beliebter Snack.
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FOTOS: HEDEMANN Bäuerin Victoria Ataa zeigt GIZ-Expertin Rita Weidinger im Dorf Congo in Ghana, wie sie ihre Cashew-Bäume beschneide­t.
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Die junge Arbeiterin Ernestina Adu-Gayanfuah sortiert in der CashewFabr­ik in Mim (Ghana) Kerne nach Größe, Farbe und Qualität.

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