Thierschbrücke gehört zum alten Eisen
In mühevoller Kleinarbeit reißen Arbeiter das Bauwerk am Wochenende ab.
LINDAU (cf) - Ein enges Zeitfenster haben die Arbeiter gehabt, die der Ära Thierschbrücke am Wochenende das endgültige Ende bereiteten. Seit Montagmorgen vier Uhr rollen wieder die Züge zum Lindauer Hauptbahnhof. Ähnlich dem filigranen Eisenskelett, das diese Brücke 116 Jahre lang getragen hat, gestaltete sich auch der Abbruch.
Andreas Buchegger findet keine Ruhe an diesem Wochenende. Denn für den 30-jährigen Bauleiter, dem das Projekt Abbruch Thierschbrücke anvertraut worden war, ist es die erste Brücke dieser Art. Da ist dann schon Aufregung und Angespanntheit dabei. Doch da ist er nicht allein. Seine Mitarbeiter sind genauso mit ganzem Herzen dabei. „Ich hatte keinerlei Probleme, Mitarbeiter für dieses Wochenende zu bekommen“, erzählt er. Eine Eisenbrücke dieser Art kann man nicht alle Tage abbrechen, da ist jeder gerne dabei.
In der Nacht zum Freitag begannen die ersten Vorbereitungen an der Brücke. Auf der Westseite konnte schon mit dem Abbruch des Betons auf der Brücke begonnen werden. Damit die darunterliegenden Gleise unbeschädigt blieben, wurden sie mit Holzbohlen, Vlies, Folie und Gerüstdielen abgedeckt. Am Freitag gingen die Arbeiten auf und neben der Brücke weiter. Das Schutzgerüst, das unter der Brücke die Oberleitungen schützen soll, wurde schon teilweise zusammengeschraubt. Auch konnten die Geländer teilweise schon herausgetrennt und vorsichtig gelagert werden. „Die sind das Heiligtum der Stadt“, meint einer der Arbeiter lachend. Doch nicht nur die Stadt interessiert sich für die Geländer, auch viele Bürger löchern die Arbeiter mit Fragen nach der Zukunft dieser Geländer, auch in der LZ-Redaktion wird angefragt.
Die Nacht zum Samstag ist für weitere Vorbereitungsarbeiten reserviert. Nachdem der letzte Zug den Bahnhof und die Insel verlassen hat, wird der Strom der Oberleitungen abgeschaltet und diese von ihren Befestigungen an der Thierschbrücke gelöst. Außerdem werden die Kabel etwas nach unten gezogen, damit die Schutzdecke eingezogen werden kann, die Gleise und Stromleitungen schützen soll. Auf der Brücke selber sind zwei Bagger einträchtig nebeneinander und hämmern den Beton von den Eisenteilen der Brücke.
Geplatzter Reifen führt zu Verzögerung
Auch der gesamte Samstag steht ganz im Zeichen der beiden Bagger, die nach und nach das Skelett der Brücke freilegen. Derweil erläutert Buchegger: „Erste Überlegungen, die Brücke von West nach Ost abzubrechen, haben wir schnell verworfen.“Denn hier handle es sich um eine so genannte Gerberträgerbrücke, eine im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert verbreitete Form von Brückenkonstruktion. „Wenn wir am Brückenende beginnen würden, bestünde die Gefahr, dass der Rest der Brücke einfach umknickt“, so der Bauleiter. Daher sollten zuerst aus dem Mittelteil die fünf Trägerelemente entnommen werden, bevor die Randteile und die filigranen Stützpfeiler, die von einem Mitarbeiter scherzhaft als „Micky-Maus-Stelzen“bezeichnet wurden, wegkommen.
Gesagt – und fast getan. Wie immer bei solchen Vorhaben gibt es Unwägbarkeiten, die den Zeitplan in Bedrängnis bringen können. Am Sonntagmorgen sollten eigentlich die ersten Elemente entnommen werden, doch bei den Vorbereitungen für den Kranaufbau platzte bei dem Sattelschlepper, der die Krangewichte unten an die Brücke bringen sollte, ein Reifen. Das brachte eine Verzögerung von mehreren Stunden, sodass der mittlere der fünf Eisenträger aus dem Mittelteil erst nach elf Uhr am Haken hängend in die Luft entwich. Zahlreiche Zuschauer verfolgten das Spektakel, das sich dann den ganzen Tag noch hinziehen sollte. Eine Hauptrolle spielten dabei die beiden Schweißer, die mit Schneidbrennern die Eisenteile so losschneiden mussten, dass sie sich beim Versuch des Heraushebens nicht verhaken konnten – eine schwierige Aufgabe. Wog das erste Element, das versuchsweise einzeln herausgehoben wurde, noch 6,5 Tonnen, musste der Kran beim zweiten Mal schon 19 Tonnen durch die Luft befördern: Zwei Elemente zusammen und noch etwas Beton, der daran festhielt, machten das Mehrgewicht aus. Insgesamt wird der Kran 650 Tonnen wegtragen, so viel wird das Brückenskelett wiegen, meint Buchegger. Das bedeutet, dass der gesamte Abbruch locker über 1000 Tonnen wiegen wird.
Dass das kein alltägliches Projekt ist, zeigte auch die Ausdauer Christian Wenzliks, Bucheggers Chef, der einen Großteil seines Wochenendes an der Baustelle verbrachte. Buchegger selbst wird keine Zeit zum Entspannen haben, denn unter der Woche ist er wieder an seiner eigentlichen Baustelle am Langenweg eingespannt. Aber diese Erfahrung will er nicht missen. Aber abschließend fragt er den Fragesteller zurück, ob dieser die neue Brücke schon gesehen habe und meint dann: „Ich denke, sie wird den Leuten gefallen. Aber diese alte Brücke, mit der ästhetisch verzierten Technik, die gefällt mir selbst schon besser.“