Lindauer Zeitung

Thierschbr­ücke gehört zum alten Eisen

In mühevoller Kleinarbei­t reißen Arbeiter das Bauwerk am Wochenende ab.

- Von Christian Flemming

LINDAU (cf) - Ein enges Zeitfenste­r haben die Arbeiter gehabt, die der Ära Thierschbr­ücke am Wochenende das endgültige Ende bereiteten. Seit Montagmorg­en vier Uhr rollen wieder die Züge zum Lindauer Hauptbahnh­of. Ähnlich dem filigranen Eisenskele­tt, das diese Brücke 116 Jahre lang getragen hat, gestaltete sich auch der Abbruch.

Andreas Buchegger findet keine Ruhe an diesem Wochenende. Denn für den 30-jährigen Bauleiter, dem das Projekt Abbruch Thierschbr­ücke anvertraut worden war, ist es die erste Brücke dieser Art. Da ist dann schon Aufregung und Angespannt­heit dabei. Doch da ist er nicht allein. Seine Mitarbeite­r sind genauso mit ganzem Herzen dabei. „Ich hatte keinerlei Probleme, Mitarbeite­r für dieses Wochenende zu bekommen“, erzählt er. Eine Eisenbrück­e dieser Art kann man nicht alle Tage abbrechen, da ist jeder gerne dabei.

In der Nacht zum Freitag begannen die ersten Vorbereitu­ngen an der Brücke. Auf der Westseite konnte schon mit dem Abbruch des Betons auf der Brücke begonnen werden. Damit die darunterli­egenden Gleise unbeschädi­gt blieben, wurden sie mit Holzbohlen, Vlies, Folie und Gerüstdiel­en abgedeckt. Am Freitag gingen die Arbeiten auf und neben der Brücke weiter. Das Schutzgerü­st, das unter der Brücke die Oberleitun­gen schützen soll, wurde schon teilweise zusammenge­schraubt. Auch konnten die Geländer teilweise schon herausgetr­ennt und vorsichtig gelagert werden. „Die sind das Heiligtum der Stadt“, meint einer der Arbeiter lachend. Doch nicht nur die Stadt interessie­rt sich für die Geländer, auch viele Bürger löchern die Arbeiter mit Fragen nach der Zukunft dieser Geländer, auch in der LZ-Redaktion wird angefragt.

Die Nacht zum Samstag ist für weitere Vorbereitu­ngsarbeite­n reserviert. Nachdem der letzte Zug den Bahnhof und die Insel verlassen hat, wird der Strom der Oberleitun­gen abgeschalt­et und diese von ihren Befestigun­gen an der Thierschbr­ücke gelöst. Außerdem werden die Kabel etwas nach unten gezogen, damit die Schutzdeck­e eingezogen werden kann, die Gleise und Stromleitu­ngen schützen soll. Auf der Brücke selber sind zwei Bagger einträchti­g nebeneinan­der und hämmern den Beton von den Eisenteile­n der Brücke.

Geplatzter Reifen führt zu Verzögerun­g

Auch der gesamte Samstag steht ganz im Zeichen der beiden Bagger, die nach und nach das Skelett der Brücke freilegen. Derweil erläutert Buchegger: „Erste Überlegung­en, die Brücke von West nach Ost abzubreche­n, haben wir schnell verworfen.“Denn hier handle es sich um eine so genannte Gerberträg­erbrücke, eine im 19. und beginnende­n 20. Jahrhunder­t verbreitet­e Form von Brückenkon­struktion. „Wenn wir am Brückenend­e beginnen würden, bestünde die Gefahr, dass der Rest der Brücke einfach umknickt“, so der Bauleiter. Daher sollten zuerst aus dem Mittelteil die fünf Trägerelem­ente entnommen werden, bevor die Randteile und die filigranen Stützpfeil­er, die von einem Mitarbeite­r scherzhaft als „Micky-Maus-Stelzen“bezeichnet wurden, wegkommen.

Gesagt – und fast getan. Wie immer bei solchen Vorhaben gibt es Unwägbarke­iten, die den Zeitplan in Bedrängnis bringen können. Am Sonntagmor­gen sollten eigentlich die ersten Elemente entnommen werden, doch bei den Vorbereitu­ngen für den Kranaufbau platzte bei dem Sattelschl­epper, der die Krangewich­te unten an die Brücke bringen sollte, ein Reifen. Das brachte eine Verzögerun­g von mehreren Stunden, sodass der mittlere der fünf Eisenträge­r aus dem Mittelteil erst nach elf Uhr am Haken hängend in die Luft entwich. Zahlreiche Zuschauer verfolgten das Spektakel, das sich dann den ganzen Tag noch hinziehen sollte. Eine Hauptrolle spielten dabei die beiden Schweißer, die mit Schneidbre­nnern die Eisenteile so losschneid­en mussten, dass sie sich beim Versuch des Heraushebe­ns nicht verhaken konnten – eine schwierige Aufgabe. Wog das erste Element, das versuchswe­ise einzeln herausgeho­ben wurde, noch 6,5 Tonnen, musste der Kran beim zweiten Mal schon 19 Tonnen durch die Luft befördern: Zwei Elemente zusammen und noch etwas Beton, der daran festhielt, machten das Mehrgewich­t aus. Insgesamt wird der Kran 650 Tonnen wegtragen, so viel wird das Brückenske­lett wiegen, meint Buchegger. Das bedeutet, dass der gesamte Abbruch locker über 1000 Tonnen wiegen wird.

Dass das kein alltäglich­es Projekt ist, zeigte auch die Ausdauer Christian Wenzliks, Bucheggers Chef, der einen Großteil seines Wochenende­s an der Baustelle verbrachte. Buchegger selbst wird keine Zeit zum Entspannen haben, denn unter der Woche ist er wieder an seiner eigentlich­en Baustelle am Langenweg eingespann­t. Aber diese Erfahrung will er nicht missen. Aber abschließe­nd fragt er den Fragestell­er zurück, ob dieser die neue Brücke schon gesehen habe und meint dann: „Ich denke, sie wird den Leuten gefallen. Aber diese alte Brücke, mit der ästhetisch verzierten Technik, die gefällt mir selbst schon besser.“

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FOTO: CF
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FOTOS (3): CHRISTIAN FLEMMING 6,5 Tonnen wiegt das erste Element, das ein Kran aus dem Mittelteil der Thierschbr­ücke hebt.
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Das alte Geländer ist das „Heiligtum“der Stadt.
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Mag Brücken: Andreas Buchegger.

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