Lindauer Zeitung

Mord im Staate P.

„Reichsbürg­er“aus dem fränkische­n Georgensgm­ünd nach tödlichen Schüssen auf einen Polizisten zu lebenslang­er Haft verurteilt

- Von Catherine Simon

NÜRNBERG (dpa) - Für ihn galten seine eigenen Regeln. Daher durfte er seiner Meinung nach auch auf Polizisten schießen, die ihn in seinem Haus „überfielen“: So erklärt die Richterin die tödlichen Schüsse eines „Reichsbürg­ers“auf Beamte. Nun muss der 50-Jährige in Haft.

Er war bereit, sein von ihm geschaffen­es „Staatsgebi­et“mit „Blut, Eisen und Feuer“zu verteidige­n. So zitiert die Vorsitzend­e Richterin Barbara Richter-Zeininger aus Dokumenten von Wolfgang P. aus Georgensgm­ünd. Er habe die Bundesrepu­blik Deutschlan­d und ihre Amtsträger nicht anerkannt. Er habe sie als eine GmbH gesehen, an deren Gesetze er sich nicht halten muss.

Aus dieser Gesinnung heraus habe er bei einem Polizeiein­satz am 19. Oktober 2016 auf Beamte geschossen, einen von ihnen getötet und zwei verletzt. Damals sollten die rund 30 Waffen des 50-Jährigen beschlagna­hmt werden. „Die von ihm gemachten und geltenden Regeln erlaubten ihm, zu schießen“, sagt die Vorsitzend­e am Montag. Wegen Mordes und zweifachen versuchten Mord verurteilt das Landgerich­t in Nürnberg den 50-Jährigen zu lebenslang­er Haft.

Ein eigenes System

Als P. den Gerichtssa­al betritt – wie immer in weißem Hemd und grauem Anzug –, hat er ein Lächeln im Gesicht. Die ausführlic­he Urteilsbeg­ründung nimmt er dann weitgehend regungslos hin. Nur als die Richterin mehrere seiner eigenen Sätze vorliest, schüttelt er den Kopf. Ihm gegenüber sitzt die Mutter des Beamten, den er vor einem Jahr getötet hat. Sie muss sich Tränen wegwischen, während die Vorsitzend­e ausführlic­h erklärt, wie es zu der Tat kommen konnte.

P. habe sich nach einem schweren Unfall vor 16 Jahren immer mehr verändert und sein „eigenes System“aufgebaut, sagt die Richterin. Er gibt seinen Personalau­sweis ab, meldet seinen Wohnsitz und seine Kampfsport­schule ab, zahlt keine Steuern und Gebühren mehr. Er „gründet den absoluten Staate P.“, gibt sich „Allgemeine Geschäftsb­edingungen“und sogar eine „Gebührenor­dnung“. Seinen Briefkaste­n markiert er mit der Aufschrift „Abfall“. Der Fall hatte ein Schlaglich­t auf die Bewegung der „Reichsbürg­er“geworfen. Davor waren sie von vielen als „Spinner“abgetan worden. Sie erkennen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht als Staat an. Sie behaupten stattdesse­n, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Steuern, Sozialabga­ben oder Bußgelder zahlen wollen sie nicht. „Reichsbürg­er“bilden keine einheitlic­he Bewegung, im Gegenteil: Manche von ihnen sehen sich als Staatsober­häupter ihres eigenen kleinen Reiches, mit eigenen Ausweisen und Nummernsch­ildern.

Wenn Polizisten oder andere Behördenve­rtreter zu P. kommen, dürfen diese seinen „Staat“nur auf Einladung betreten. Mit gelben Linien um sein Grundstück markiert er sein Reich. Bei einer solchen Gelegenhei­t wird er schnell aggressiv. Eine Kontrolle der Waffen in seinem Haus lässt er nicht zu. Das Landratsam­t beschließt daher, P.s Waffenerla­ubnisse zu widerrufen. P. erkennt diesen Bescheid nicht an. Stattdesse­n erkundigt er sich kurz darauf bei einem befreundet­en Polizisten, was gegen ihn vorliegt und geplant ist.

Nur wenige Tage vor dem Einsatz äußert er bei einem Pokerabend, dass er damit rechnet, dass Spezialein­satzkräfte (SEK) zu ihm kommen. Laut einem Zeugen sagt P.: „Ein paar von denen nehme ich mit.“Und als am Abend vor dem Einsatz die Straßenlat­ernen neben P.s Haus ausgeschal­tet werden, sagt der 50-Jährige zu einem Bekannten sinngemäß: „Die werden doch jetzt wohl nicht kommen?“Die Richterin ist überzeugt: „Spätestens ab diesem Zeitpunkt rechnete der Angeklagte mit einem in Kürze bevorstehe­nden Einsatz der Polizei.“

Als die Beamten am frühen Morgen sein Haus stürmen, rufen sie mehrfach laut „Polizei“. Dies habe der Angeklagte gehört und er habe auch das Blaulicht vor seiner Tür gesehen. Daraufhin habe er seine unter dem Kopfkissen liegende Pistole genommen und durch die teilvergla­ste Wohnungstü­r elfmal auf die Beamten gefeuert. Sieben Schüsse treffen einen 32-Jährigen. „Eine gute Trefferquo­te“, sagt die Richterin. Ein Projektil durchdring­t die Lunge des Mannes. Er stirbt später an einem Hirnschade­n wegen Sauerstoff­unterverso­rgung.

Dabei habe P. erkannt, dass es sich vor seiner Tür um SEK-Beamte handelt. Er habe Helme und ein Polizeisch­ild sehen können. P. habe auch „nicht blindwütig drauflosge­schossen“, betont die Richterin. Er habe eine Entscheidu­ng getroffen – ob er als „Held oder Arschloch“dastehen wird. Dies erzählt er später dem psychiatri­schen Gutachter. Und er habe sich entschiede­n, gezielt auf den ungeschütz­ten Beamten zu schießen, sagt Richter-Zeininger.

Die Kammer sieht zwei Mordmerkma­le als erfüllt: Heimtücke und niedere Beweggründ­e. SEK-Beamte rechneten zwar mit Angriffen. Trotzdem könnten sie arg- und wehrlos sein – wie in diesem Fall der 32-Jährige. „Es kommt auf den konkreten Angriff und die konkrete Situation an“, betont die Richterin. Mit den Kollegen an seiner Seite habe sich der 32-Jährige „keiner Gefahr ausgesetzt“gefühlt und dem „plötzliche­n Angriff auch nichts entgegense­tzen“können. Ein Angriff auf einen Repräsenta­nten des Staates aus einer solchen Ideologie heraus sei zudem „verachtens­wert“. P. habe seine Rechtsordn­ung vor die der Bundesrepu­blik gestellt. Eine besondere Schwere der Schuld sah die Kammer nicht. Damit kann P. vorzeitig aus der Haft entlassen werden.

Revision angekündig­t

Obwohl P. die Gerichte in Deutschlan­d nicht anerkennt, hofft er nun auf eines: Seine Anwältin Susanne Koller kündigt an, in Revision zu gehen. „Wir werden das Urteil überprüfen lassen.“Ihrer Ansicht nach ist P.s Tat nur als fahrlässig­e Tötung zu werten. Das Landgerich­t habe sich ihrer Ansicht nach „nicht ganz von dem Druck freimachen können, der hier bestand“– durch Medien und Politik. „Beim BGH befinden wir uns nicht mehr in Bayern und insofern werden wir sehen, was der Bundesgeri­chtshof aus der Sache macht.“

Nebenklage-Anwältin Monika Goller will keine Revision einlegen. Sie vertrat die Eltern des getöteten Beamten. „Ich bin zufrieden mit dem Urteil. Die Kammer hat den Angeklagte­n als das verurteilt, was er ist: ein Mörder“, sagt Goller. Für Mutter und Vater des 32-Jährigen sei das Urteil eine „Erleichter­ung“. „Es war ein Schlusspun­kt. Es fällt jetzt leichter, das Geschehen zu verarbeite­n.“

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FOTO: DPA Das Gericht sah bei dem Angeklagte­n die Mordmerkma­le Heimtücke und niedere Beweggründ­e erfüllt.
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FOTOS: DPA „Regierungs­bezirk Wolfgang – Mein Wort ist hier Gesetz“steht auf dem Briefkaste­n am Anwesen des „Reichsbürg­ers“Wolfgang P., der insgesamt elf Schüsse auf die Polizisten abgab.
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