Mehrheit in Norditalien für mehr Autonomie
Venetien und Lombardei wollen vor allem höheren Steueranteil behalten – Referenden rechtlich nicht bindend
ROM - Bei nicht bindenden Referenden in den beiden wohlhabenden norditalienischen Regionen Venetien und Lombardei haben sich die Wähler mit überwältigender Mehrheit für mehr Autonomie ausgesprochen. Nach Auszählung fast aller Stimmen am Montag stimmten in der Lombardei 95 Prozent der Teilnehmer für eine größere Unabhängigkeit von Rom, in Venetien waren es 98 Prozent.
Die Wahlbeteiligung lag nach Auszählung fast aller Stimmen in der Lombardei bei 40 Prozent. In Venetien lag sie demnach bei 57 Prozent und damit über dem notwendigen Quorum von 50 Prozent. Die Abstimmungen waren nicht mit dem illegalen Referendum über die Unabhängigkeit in Katalonien vergleichbar. Die Präsidenten beider Regionalregierungen distanzierten sich zugleich von Unabhängigkeitsbestrebungen wie in Katalonien. Dennoch ist das Ergebnis für die sozialdemokratische Regierung in Rom eine Herausforderung.
„Roma ladrona“, auf Deutsch „Rom stiehlt“, war jahrzehntelang das Motto der Partei Lega Nord, die hinter den Referenden steht und auch die beiden Regionalpräsidenten stellt. Sie sieht sich jetzt als großer Gewinner. Vordringlichstes Ziel der beiden Referenden in Norditalien war es, den Regionalregierungen mehr politisches Handlungsgewicht gegenüber der Regierung in der Hauptstadt Rom zu geben. Man ist der Meinung, dass die Hauptstadt gierig das im Norden hart verdiente Geld verschlingt. Und das soll sich künftig ändern, Venetien und der Lombardei geht es vor allem um die Steuern. Sie sollen nicht in römischen Kassen versacken, wie die Aussagen deutlich machen. „Wir wollen mehr Kompetenzen in Sachen Steuern von Rom übertragen bekommen“, erklärte am Montag Roberto Maroni, Governeur der Lombardei in Mailand. Parteichef Salvini wird noch deutlicher. „Was hier erwirtschaftet wird, soll auch hier bleiben und nicht in Regionen abgeführt werden, in denen deutlich weniger gearbeitet wird.“Luca Zaia, Präsident der Region Venetien, erklärte am Montag, dass „wir mindestens 90 Prozent unseres regionalen Steueraufkommens bei uns behalten wollen, weil es uns gehört und weil es von unserer Hände Arbeit geschaffen wurde“.
In der Tat sitzt im Norden das Geld. 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden in Venetien und der Lombardei erwirtschaftet. Zusammen sind es pro Jahr mehr als 70 Milliarden Euro. Banken, Industrie, Modeunternehmen und deutsche Firmen wie Siemens haben ihren Sitz in den Regionen.
Lega-Nord-Chef Matteo Salvini steht mit seinen Autonomiebestrebungen in der Tradition von Parteigründer Umberto Bossi. Doch im Gegensatz zu diesem will Salvini keine radikale politische Abspaltung vom italienischen Nationalstaat. „Was wir wollen“, so Salvini, „ist eine Autonomie, wie sie etwa Südtirol und die Region Aostatal besitzen.“Forderungen wie sie ein großer Teil der Katalanen vorbringen, werden in Norditalien nicht erhoben.
In der Verfassung verankert
Die Regierung in Rom äußerte sich nicht offiziell zum Ausgang der beiden Autonomiereferenden. Landwirtschaftsminister Maurizio Martina erklärte allerdings, dass „diese Abstimmungen unsinnig seien und zu nichts führen werden“. Regierungschef Paolo Gentiloni schweigt. Ebenso Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella. Verhandlungen der Nationalregierung mit den regionalen Autoritäten über mehr Autonomie sind sowieso in der Verfassung verankert. „Das Ergebnis vom Sonntag ändert also nichts an den gültigen Rahmenbedingungen“, sagte Jörg Buck, Geschäftsführer der deutschen Außenhandelskammer in Mailand. Die Referenden seien vor allem ein politisches Mittel. „Es ändert sich gar nichts“, sagte auch der Staatssekretär für die Regionen, Gianclaudio Bressa.
Die beiden Regionalpräsidenten Maroni und Zaia wollen bereits in den nächsten Tagen die Regierung in Rom kontaktieren, um, wie es heißt, mit ersten Gesprächen zu beginnen. Wie die Regierung darauf reagieren wird, ist noch unklar.
Silvio Berlusconi und Beppe Grillo von der Protestbewegung Movimento 5 Stelle begrüßten hingegen den Ausgang der Referenden. Beide erklärten, dass sie, sollten sie im kommenden Frühjahr die anstehenden Parlamentswahlen gewinnen, umgehend der Lombardei und Venetien die gewünschten Autonomierechte verleihen werden.