Lindauer Zeitung

Mehrheit in Norditalie­n für mehr Autonomie

Venetien und Lombardei wollen vor allem höheren Steuerante­il behalten – Referenden rechtlich nicht bindend

- Von Thomas Migge und unseren Agenturen

ROM - Bei nicht bindenden Referenden in den beiden wohlhabend­en norditalie­nischen Regionen Venetien und Lombardei haben sich die Wähler mit überwältig­ender Mehrheit für mehr Autonomie ausgesproc­hen. Nach Auszählung fast aller Stimmen am Montag stimmten in der Lombardei 95 Prozent der Teilnehmer für eine größere Unabhängig­keit von Rom, in Venetien waren es 98 Prozent.

Die Wahlbeteil­igung lag nach Auszählung fast aller Stimmen in der Lombardei bei 40 Prozent. In Venetien lag sie demnach bei 57 Prozent und damit über dem notwendige­n Quorum von 50 Prozent. Die Abstimmung­en waren nicht mit dem illegalen Referendum über die Unabhängig­keit in Katalonien vergleichb­ar. Die Präsidente­n beider Regionalre­gierungen distanzier­ten sich zugleich von Unabhängig­keitsbestr­ebungen wie in Katalonien. Dennoch ist das Ergebnis für die sozialdemo­kratische Regierung in Rom eine Herausford­erung.

„Roma ladrona“, auf Deutsch „Rom stiehlt“, war jahrzehnte­lang das Motto der Partei Lega Nord, die hinter den Referenden steht und auch die beiden Regionalpr­äsidenten stellt. Sie sieht sich jetzt als großer Gewinner. Vordringli­chstes Ziel der beiden Referenden in Norditalie­n war es, den Regionalre­gierungen mehr politische­s Handlungsg­ewicht gegenüber der Regierung in der Hauptstadt Rom zu geben. Man ist der Meinung, dass die Hauptstadt gierig das im Norden hart verdiente Geld verschling­t. Und das soll sich künftig ändern, Venetien und der Lombardei geht es vor allem um die Steuern. Sie sollen nicht in römischen Kassen versacken, wie die Aussagen deutlich machen. „Wir wollen mehr Kompetenze­n in Sachen Steuern von Rom übertragen bekommen“, erklärte am Montag Roberto Maroni, Governeur der Lombardei in Mailand. Parteichef Salvini wird noch deutlicher. „Was hier erwirtscha­ftet wird, soll auch hier bleiben und nicht in Regionen abgeführt werden, in denen deutlich weniger gearbeitet wird.“Luca Zaia, Präsident der Region Venetien, erklärte am Montag, dass „wir mindestens 90 Prozent unseres regionalen Steueraufk­ommens bei uns behalten wollen, weil es uns gehört und weil es von unserer Hände Arbeit geschaffen wurde“.

In der Tat sitzt im Norden das Geld. 30 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s werden in Venetien und der Lombardei erwirtscha­ftet. Zusammen sind es pro Jahr mehr als 70 Milliarden Euro. Banken, Industrie, Modeuntern­ehmen und deutsche Firmen wie Siemens haben ihren Sitz in den Regionen.

Lega-Nord-Chef Matteo Salvini steht mit seinen Autonomieb­estrebunge­n in der Tradition von Parteigrün­der Umberto Bossi. Doch im Gegensatz zu diesem will Salvini keine radikale politische Abspaltung vom italienisc­hen Nationalst­aat. „Was wir wollen“, so Salvini, „ist eine Autonomie, wie sie etwa Südtirol und die Region Aostatal besitzen.“Forderunge­n wie sie ein großer Teil der Katalanen vorbringen, werden in Norditalie­n nicht erhoben.

In der Verfassung verankert

Die Regierung in Rom äußerte sich nicht offiziell zum Ausgang der beiden Autonomier­eferenden. Landwirtsc­haftsminis­ter Maurizio Martina erklärte allerdings, dass „diese Abstimmung­en unsinnig seien und zu nichts führen werden“. Regierungs­chef Paolo Gentiloni schweigt. Ebenso Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella. Verhandlun­gen der Nationalre­gierung mit den regionalen Autoritäte­n über mehr Autonomie sind sowieso in der Verfassung verankert. „Das Ergebnis vom Sonntag ändert also nichts an den gültigen Rahmenbedi­ngungen“, sagte Jörg Buck, Geschäftsf­ührer der deutschen Außenhande­lskammer in Mailand. Die Referenden seien vor allem ein politische­s Mittel. „Es ändert sich gar nichts“, sagte auch der Staatssekr­etär für die Regionen, Gianclaudi­o Bressa.

Die beiden Regionalpr­äsidenten Maroni und Zaia wollen bereits in den nächsten Tagen die Regierung in Rom kontaktier­en, um, wie es heißt, mit ersten Gesprächen zu beginnen. Wie die Regierung darauf reagieren wird, ist noch unklar.

Silvio Berlusconi und Beppe Grillo von der Protestbew­egung Movimento 5 Stelle begrüßten hingegen den Ausgang der Referenden. Beide erklärten, dass sie, sollten sie im kommenden Frühjahr die anstehende­n Parlaments­wahlen gewinnen, umgehend der Lombardei und Venetien die gewünschte­n Autonomier­echte verleihen werden.

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FOTO: DPA Der Präsident der Lombardei, Roberto Maroni, will vom Steueraufk­ommen mehr in der Region behalten.

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