Lindauer Zeitung

Mehr als nur eine Autogramms­ammlung

Goldene Bücher sind Prestigeob­jekte, fungieren aber auch als Zeitzeugni­sse

- Von Marco Krefting

MÜNCHEN (dpa) - Sie sind fester Bestandtei­l offizielle­r Stadtbesuc­he von Prominente­n – doch in der öffentlich­en Wahrnehmun­g sind sie meist nur eine Randnotiz mit Foto. Dabei bergen Goldene Bücher einen historisch­en Schatz.

60 Zentimeter hoch, 42 Zentimeter breit, in weißes Schweinsle­der gebunden und mit Beschlägen in Goldblech: Das Goldene Buch der Stadt München ist Requisit zahlreiche­r prominente­r Empfänge im Rathaus. Erzbischof Reinhard Marx hat sich ebenso eingetrage­n wie Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier. Heutzutage haben fast alle Kommunen und ebenso die Bayerische Staatsregi­erung Goldene Bücher für herausrage­nde Persönlich­keiten und Anlässe. „Es wird immer individuel­l angefertig­t und sieht nicht überall gleich aus“, erklärt die stellvertr­etende Chefin des Protokolls der Stadt München, Gabriele Höber.

Mit den Autogramme­n werden Goldene Bücher zu schweigend­en Zeitzeugen. Ihre Seiten spiegeln historisch­e Ereignisse: ausländisc­he Staatsgäst­e, erfolgreic­he Sportler, weltberühm­te Musiker, zurückgeke­hrte Raumfahrer – sie alle dürfen sich hier verewigen. Seine Signatur auf dem Büttenpapi­er zu hinterlass­en, gilt als Ehre. Eine erhabene Form von „Ich war da“. Statt Kneipenklo­Wandgekrit­zel ist es wohl vielmehr ein Zeugnisabl­egen über die eigene Anwesenhei­t.

Der historisch­e Ursprung ist nicht ganz klar. Hinweise reichen ins Mittelalte­r, als italienisc­he Städte Adelsverze­ichnisse anlegten. Genannt: Libro d’Oro. Heute verweisen die Besitzer meist auf goldene Verzierung­en am Einband oder den Goldschnit­t des Papiers – also den gefärbten, hauchdünne­n Rand, der nur beim Blick auf das zugeklappt­e Buch von der Seite richtig zur Geltung kommt. Das ab 1888 geführte Gästebuch der bayerische­n Landeshaup­tstadt hieß zunächst auch bloß „Fremdenbuc­h“. Der Begriff „Goldenes Buch“taucht erst 1963 auf.

Goldene Bücher sind auch Zeitzeugni­sse, die nicht nur Schönes widerspieg­eln. Aus der Münchner Verwaltung heißt es etwa: „Für die gesamte Zeit des Nationalso­zialismus gibt es keinen Eintrag, da die entspreche­nden Seiten offensicht­lich von Unbekannt entfernt wurden.“In Frankfurt am Main sind die Einträge von NS-Größen wie Adolf Hitler, Hermann Göring und Heinrich Himmler dagegen noch enthalten. Es geht aber erst nach mehreren leeren Seiten weiter – um Abstand zu diesem Kapitel der Geschichte zu wahren.

Janosch zeichnet

Die Einträge selbst in den güldenen Wälzern reichen vom einfachen Namenszug bis hin zu politische­n Aussagen. So notierte Kaiser Wilhelm II. am 8. September 1891 in München: „Suprema lex regis voluntas!“, „Der Wille des Königs ist oberstes Gesetz“. Ein absolutist­ischer Anspruch, der damals mächtig Aufsehen erregte. Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) schrieb im Februar 2009 in das Goldene Buch der Stadt Augsburg: „Die Uni-Klinik kommt!!!“Der Kinderbuch­autor Janosch wiederum zeichnete auf seine Art die Bremer Stadtmusik­anten ins Goldene Buch der Hansestadt.

Kurioses bieten die voluminöse­n Werke natürlich auch: Die Stadt Bonn etwa verrät, dass die Royals nur mit ihrem Vornamen unterschre­iben. „Schließlic­h weiß dann schon jeder, wer da war.“Und in Stadtberge­n (Landkreis Augsburg) unvergesse­n bleibt wohl der Eintrag von Staatssekr­etär Johannes Hintersber­ger ins Goldene Buch: mit vier Grammatiku­nd Rechtschre­ibfehlern in sechs Zeilen. Wenige Tage später folgte der zweite Eintrag – versehen mit einem Sternchen notierte der CSU-Politiker: „Fehler gemacht, erkannt, verbessert.“

Und was, wenn so ein Buch mal voll ist? Auf Sammel-Geburtstag­skarten im Freundes- und Kollegenkr­eis findet sich immer in irgendeine­r Ecke Platz – das geht in den ehrwürdige­n Kleinoden natürlich nicht. Das Landratsam­t Neuburg-Schrobenha­usen stand jüngst vor diesem Problem – und hat ein neues Goldenes Buch anfertigen lassen.

Der Trend geht zum Schlichten

Im Vorgänger erfolgte Ende September der letzte Eintrag, wie Nicole Rohleder vom Landratsam­t sagt. „Derzeit wird überlegt, die Einträge und vor allem die einleitend­en Texte auf den ersten Seiten, die wunderschö­n mit Zeichnunge­n unterlegt sind, zu digitalisi­eren und der Öffentlich­keit zugänglich zu machen.“Das Buch wird liegend gelagert, das Gewicht würde den Buchrücken sonst in Mitleidens­chaft ziehen. Auf einer Seite des Wälzers ist eine Lücke: Bundespräs­ident Karl Carstens wollte den Landkreis im März 1981 besuchen, erkrankte aber. An der vorbereite­ten Stelle wird nun das Fehlen der Unterschri­ft erklärt. Der Nachfolger hat übrigens keinen Goldschnit­t mehr. „Der Geschmack geht eher wieder zum Schlichten“, sagt Buchbinder­in Heike Jakob, die das Goldene Buch hergestell­t hat. Ein handgemach­ter Goldschnit­t mit Eiweiß und Blattgold, aufpoliert mit Achat, koste gut 300 bis 400 Euro. Allerdings könne ein Goldschnit­t auch günstig maschinell angefertig­t werden. „Das ist wirklich eine Geschmacks­frage.“

Allein schon wegen der Größe und der Dicke seien Goldene Bücher etwas Besonderes. „Da werden sich schon sehr viele Gedanken gemacht“, sagt Jakob. Es gehe ja auch darum zu repräsenti­eren. Ein Trend, dem der Expertin zufolge inzwischen auch kleinere Gemeinden mit wenigen Tausend Einwohnern folgen – und ihr erstes Goldenes Buch anschaffen.

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FOTO: DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier trägt sich vergangene­n April im Münchner Rathaus in das Goldene Buch der Stadt München ein. Im Hintergrun­d stehen Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD), Elke Büdenbende­r und Petra Reiter.

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