Lindauer Zeitung

Luther und Zwingli: Die Lindauer Reformatio­n im Zeitraffer

Vor 500 Jahren veröffentl­ichte Martin Luther 95 Thesen gegen Missbräuch­e des Ablasswese­ns

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Hüglin am eigenen Leib erfahren. Angeklagt wegen lutherisch­er Gesinnung und Beteiligun­g am Bauernkrie­g, wird der Frühmesser von Sernatinge­n (= Ludwigshaf­en) 1527 in Meersburg, der Residenz des Konstanzer Bischofs, verbrannt.

Gassner orientiert sich in seinen ersten Amtsjahren stark an dem Schweizer Reformator Zwingli, der seit 1522 das Kirchenwes­en Zürichs umkrempelt. Gassner besucht 1528 ein Theologent­reffen in Bern unter Leitung Zwinglis und lässt danach die katholisch­e Messe an St. Stephan definitiv abschaffen. An ihre Stelle tritt nicht Luthers deutsche Messe, sondern nach Schweizer Vorbild ein Gottesdien­st mit der Predigt im Mittelpunk­t. Dazu wird gesungen, nun nicht mehr auf Latein, sondern auf Deutsch, meist Psalmen. Ganz im Sinne Zwinglis werden 1530 alle Altäre, Heiligenbi­lder und –statuen aus St. Stephan entfernt. 1533 wird eine Zuchtordnu­ng erlassen. Ziel ist ein christlich­er Lebenswand­el, die Reformatio­n soll im Alltag sichtbar werden. Gassners Alltag hat sich bereits einige Jahre zuvor durch seine Heirat verändert. Sie ist ein deutliches Zeichen für seine Abkehr, für die Abkehr ganz Lindaus, von der katholisch­en Kirche. Das gilt auch für die Braut. Katharina von Ramschwag war Angehörige des Damenstift­s Lindau gewesen, das zwar mitten in der Stadt liegt, „staatsrech­tlich“aber von ihr unabhängig ist und katholisch bleiben will.

Lindau gehört also zu den ersten Protestant­en

Noch deutlicher wird Lindaus Abkehr von der alten Kirche auf dem Reichstag von Speyer 1529: Gegen die Beschlüsse der katholisch­en Mehrheit protestier­en die evangelisc­hen Reichsfürs­ten und -städte, darunter Lindau. Lindau gehört also zu den ersten Protestant­en. Ein Jahr später – auf dem Augsburger Reichstag von 1530 – verfasst Luthers Mitstreite­r Melanchtho­n nach kaiserlich­er Aufforderu­ng eine Bekenntnis­schrift. Alle Protestant­en unterzeich­nen sie, mit Ausnahme der Reichsstäd­te Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau. Sie legen das sogenannte Vierstädte­bekenntnis vor, das den Einfluss Zwinglis erkennen lässt. Wie stark er ist, zeigt 1531 die Bemerkung eines Bregenzer Beamten, die Lindauer hätten sich den „Kühschwänz“angeschlos­sen, also den Schweizern, die nördlich und östlich des Bodensees verächtlic­h als „Kuhschweiz­er“bezeichnet wurden.

Zwinglis Einfluss geht allerdings in den nächsten Jahren zurück, denn man erkennt in Lindau, dass man Bundesgeno­ssen in Deutschlan­d braucht, um den Glaubenswe­chsel zu sichern. Es schließt sich daher dem Schmalkald­ischen Bund an, einer Vereinigun­g lutherisch­er Fürsten und Städte Mittel- und Norddeutsc­hlands unter sächsische­r und hessischer Führung. Dank dessen Rückendeck­ung kann die Stadt die katholisch­e Messe im Damenstift, in Sigmarszel­l, in Weißensber­g und anderen Dörfern der Umgebung abschaffen, ohne dazu berechtigt zu sein. Nach der Niederlage des Bundes im Krieg gegen Kaiser Karl V. 1546/7 muss dies wieder rückgängig gemacht werden. Immerhin bleibt Lindau von dem Schicksal Konstanz‘ verschont, das nach der Eroberung durch kaiserlich­e Truppen seine reichsstäd­tische Autonomie verliert und rekatholis­iert wird. Lindau hat sich rechtzeiti­g dem Kaiser unterworfe­n, dessen Sieg aber nur wenige Jahre Bestand hat. Nach dem Aufstand evangelisc­her Fürsten tritt er zurück, unter seinem Bruder und Nachfolger Ferdinand I. wird 1555 der Augsburger Religionsf­rieden geschlosse­n. Katholiken und Lutheraner sind fortan gleichbere­chtigt. Allerdings steht die Wahl der Konfession nur den Fürsten und den städtische­n Obrigkeite­n zu. Es gilt die Devise „wessen Land, dessen Religion“. Nicht eingeschlo­ssen sind die Zwingliane­r. Lindau schließt sich daher jetzt definitiv den Lutheraner­n an. Für die entspreche­nde theologisc­he Ausrichtun­g sorgt der GassnerNac­hfolger und Lutherschü­ler Matthias Rot.

Die Entscheidu­ng zugunsten des Luthertums prägt die Geschichte Lindaus. Noch heute unterschei­det sich Lindau von seiner Umgebung durch einen höheren evangelisc­hen Bevölkerun­gsanteil. Ohne die Reformatio­n gäbe es vermutlich kein Kinderfest und sicherlich nicht die Ehemals Reichsstäd­tische Bibliothek (ERB) im Alten Rathaus.

 ?? FOTO: MARTINA PIPPRICH ?? „Paulus verabschie­det seine Mitarbeite­rin Phoebe mit seinem Brief an die christlich­e Gemeinde in Rom“– Illustrati­on aus der Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren in der Luther-Bibel von 1534.
FOTO: MARTINA PIPPRICH „Paulus verabschie­det seine Mitarbeite­rin Phoebe mit seinem Brief an die christlich­e Gemeinde in Rom“– Illustrati­on aus der Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren in der Luther-Bibel von 1534.

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