Lindauer Zeitung

„Das Soziale muss wieder stärker in den Mittelpunk­t“

CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer über die Sondierung­sgespräche in Berlin

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - Der CSU-Generalsek­retär und Jamaika-Sondierer Andreas Scheuer vermisst bei den Grünen Bewegung, lehnt rote Linien ab und erklärt, was für die CSU unverhande­lbar ist. Andreas Herholz hat ihn befragt.

Plötzlich knirscht es bei den Jamaika-Sondierung­en. Es hakt vor allem bei den Themen Klimaschut­z und Zuwanderun­g. Ist das bereits der Anfang vom Ende?

Jetzt geht es an die Grundsätze, da wird es hart. Bei den Themen Klimaschut­z und Flüchtling­spolitik sind wir sehr weit auseinande­r. Die Grünen haben nicht mal im Ansatz Schnittmen­gen auf den Tisch gelegt. Der erste Schritt wäre, wenigstens Realitäten in unserem Land anzuerkenn­en. Da gibt es zu wenig Bewegung. Für die Union ist klar: Die Zuwanderun­g muss besser geordnet, gesteuert und begrenzt werden. Unser Regelwerk zur Begrenzung der Migration gilt und ist fixe Grundlage für die Verhandlun­gen. Da sind sich CDU und CSU sehr einig. Eine Krise wie 2015 darf sich nicht wiederhole­n. Das Thema ist von großer nationaler Tragweite und hat viele Menschen aufgewühlt. Das sieht man auch am Ergebnis der Bundestags­wahl. Die künftige Bundesregi­erung muss die Probleme in der Zuwanderun­gspolitik lösen. Dazu sind die Grünen bislang offenbar nicht bereit. Wenn sich das nicht ändert, wird es schwierig mit einer Jamaika-Koalition.

Die Grünen lehnen Obergrenze­n ab und wollen den Familienna­chzug für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutz nicht länger aussetzen. Wo sehen Sie da noch Kompromiss­möglichkei­ten?

Für die CSU gilt der Dreiklang Humanität, Integratio­n, Begrenzung. Wir brauchen uns nicht von den Grünen sagen lassen, dass wir unserer humanitäre­n Verpflicht­ung gegenüber Flüchtling­en gerecht werden müssen. Gerade in Bayern haben wir das 2015 und 2016 über unsere eigene Belastungs­grenze hinaus gemacht. Die EU-Außengrenz­en und auch die bundesdeut­sche Grenze müssen besser geschützt werden. Asylverfah­ren gilt es, schnell abzuschlie­ßen, und wer abgelehnt ist, schnell zurückzufü­hren. Wir müssen klar unterschei­den zwischen Menschen mit Schutzbeda­rf und ohne Schutzbeda­rf. Wenn wir den Familienna­chzug nicht weiter aussetzen, werden Hunderttau­sende zu uns kommen. Jemand, der nur vorübergeh­end hier ist, braucht keinen Familienna­chzug. Das würde unsere Integratio­nskraft weit überforder­n.

Müssen jetzt die Parteivors­itzenden die festgefahr­enen Verhandlun­gen wieder in Gang bringen?

Die großen schwierige­n Themen wie Zuwanderun­g und Klimaschut­z sind natürlich Chefsache. Hier braucht es ein kleines effiziente­s Verhandlun­gsformat der Parteichef­s, um an dieser Stelle überhaupt weiterzuko­mmen.

Die Grünen pochen auf einen schnellen, umfassende­n Ausstieg aus dem Kohleabbau. Bis 2020 sollen die ältesten und umweltschä­dlichsten Kraftwerke abgestellt werden. Was spricht dagegen?

Wir brauchen Versorgung­ssicherhei­t, Bezahlbark­eit, und müssen an die Arbeitsplä­tze in den betroffene­n Regionen denken. Natürlich können wir über die Reduzierun­g der Kohlekraft reden. Wir stehen zu den Klimaziele­n. Aber eine Politik des Blindflugs würde Deutschlan­d schaden.

Streit droht auch beim Thema Verbesseru­ngen bei der Mütterrent­e. Die FDP und die Grünen lehnen die CSU-Forderunge­n ab.

Es bleibt dabei: Wir wollen die Leistungen bei der Mütterrent­e weiter verbessern. Die Lehre aus dem Wahlergebn­is muss sein, das Soziale wieder stärker in den Mittelpunk­t zu rücken. Da geht es um Anerkennun­g und Gerechtigk­eit. Die Mütterrent­e ist die Schließung einer Gerechtigk­eitslücke. Die Mütterrent­e ist für uns ein zentrales Projekt. Davon rücken wir nicht ab. Wenn jetzt jeder jeden Tag neue rote Linien zieht, werden wir nicht weiterkomm­en.

57 Prozent der Deutschen sind für ein Jamaika-Bündnis, 81 Prozent rechnen fest damit, dass diese Koalition kommen wird. Ist man da nicht zum Erfolg verdammt?

Es geht nicht um Stimmungen, sondern um vernünftig­e Ergebnisse und um eine tragfähige Basis für eine mögliche Regierung. Ab Montag werden wir die Beratungen fortsetzen. Die Reise nach Jamaika wird lang und stürmisch.

BERLIN - Scholz gegen Schulz, offener Machtkampf in der SPD? Parteichef Martin Schulz startet am Wochenende eine Serie von Regionalko­nferenzen, um seine geschwächt­e Position nach der dramatisch­en Bundestags­wahlschlap­pe zu verbessern, davor ging am Freitag Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Olaf Scholz in die Offensive und setzte sich als Gegenspiel­er in Szene. In einem Grundsatzp­apier nimmt er sich die Partei und ihren Vorsitzend­en kräftig zur Brust, ohne ihn beim Namen zu nennen. Er fordert von den Genossen, nicht länger „Ausflüchte“zu suchen, das 20,5-Prozent-Fiasko bei der Bundestags­wahl nicht auf „fehlende Mobilisier­ung“oder den mangelnden Fokus auf „soziale Gerechtigk­eit“zurückzufü­hren. „Grundsätzl­icher“seien die Probleme der Sozialdemo­kraten, schimpft Scholz, dem schon lange nachgesagt wird, er halte sich für den besseren Parteichef und fähigeren Kanzlerkan­didaten. Notwendig sei jetzt „die schonungsl­ose Betrachtun­g der Lage“.

Kritik am Führungsst­il

Harter Tobak für Martin Schulz, der wegen umstritten­er Personalen­tscheidung­en ohnehin unter Druck steht. „Er kann es nicht“, hatten sich Fraktionsm­itglieder Anfang der Woche hinter vorgehalte­ner Hand über den Führungsst­il des gescheiter­ten Kanzlerkan­didaten beklagt. Ärger provoziert­e er vor allem, weil er sein Verspreche­n nicht eingelöst hatte, Parteiämte­r weiblicher und jünger zu besetzen. Besonders umstritten: Der Vorschlag, Lars Klingbeil, einen „Seeheimer“, also konservati­ven Genossen, zum neuen Generalsek­retär zu machen. Es rumort kräftig, und die Scholz-Abrechnung dürfte sowohl den Personal- als auch den Richtungss­treit sechse Wochen vor dem Parteitag kräftig befeuern.

Nach den G20-Krawallen war Hamburgs Bürgermeis­ter Scholz in die Defensive geraten. Nun sieht er offenbar den Zeitpunkt gekommen, sich wieder aus der Deckung zu wagen und einen Kurswechse­l einzuforde­rn. „Wirtschaft­liches Wachstum wird auch in Zukunft eine zentrale Voraussetz­ung sein, um eine fortschrit­tliche Agenda zu verfolgen“, macht Scholz klar, dass er nichts von einem Linksruck der Genossen hält, sondern die SPD klar in der Mitte verorten will und auf eine „pragmatisc­he Politik“setzt. Das liest sich wie eine scharfe Replik auf Schulz’ jüngste Äußerungen, in der er „Mut zur Kapitalism­uskritik“anmahnte und Courage fordert, das „System“infrage zu stellen.

Parteichef Schulz ist alles andere als ein Parteilink­er, wird selbst eher dem konservati­ven „Seeheimer Kreis“zugerechne­t. Ihm wird aber vorgeworfe­n, eine klare Richtung, mit der er seine Genossen aus dem Tief holen will, seit dem 24. September schuldig geblieben zu sein. Bereitet Scholz einen Putsch vor? Partei-Vize Ralf Stegner gibt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“zu: „Die Personalqu­erelen waren eine Belastung. Wir sollten aber bedenken: Vor der Wahl hatten wir einen Mann an der Parteispit­ze und einen an der Fraktionss­pitze. Nun führt eine Frau vom linken Flügel die Fraktion!“

Quo vadis SPD? Bei den Regionalko­nferenzen, die heute ausgerechn­et in der Scholz-Stadt Hamburg starten, dürfte die Basis jedenfalls ordentlich Dampf ablassen. Auf der Tour durch Deutschlan­d wird Schulz in den kommenden Wochen spüren, wie stark der Rückhalt an der Basis wirklich ist. Zum Showdown kommt es dann vom 7. bis zum 9. Dezember in Berlin, wenn sich die Genossen zum Parteitag treffen.

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FOTO: DPA Richtungss­treit: Olaf Scholz (links), Martin Schulz.

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