Lindauer Zeitung

Sputnik über Lindau gesichtet

Vor 60 Jahren überrascht­e der erste sowjetisch­e Erd-Trabant die Welt

- Von Karl Schweizer

(lz) - Vor 60 Jahren, am 4. Oktober 1957, notierte Lindaus Chronist in die handschrif­tliche amtliche Stadtchron­ik: „Einen ersten Vorstoss in den Weltenraum unternahm Sowjet-Russland mit Abschuss eines Erdsatelli­ten am heutigen Tage... Der Sender des Trabanten ist hörbar.“

Auf der Titelseite der Lindauer Zeitung beschrieb die Zentralred­aktion der Schwäbisch­en Zeitung am 7. Oktober die Sensation des Sputniks (Gefährte) unter anderem mit folgenden Worten: „Knapp sechs Wochen nach der erfolgreic­hen Erprobung der ersten interkonti­nentalen Rakete in der Sowjetunio­n lieferten die Sowjets eine neue Sensation. Seit Freitag umkreist der erste künstliche Mond in rund 900 km Höhe mit einer Geschwindi­gkeit von etwa 29.000 km in der Stunde die Erde. Sowjetisch­e Wissenscha­ftler kündigten an, dass der Start des Satelliten das erste Stadium künftiger Weltraumre­isen und eines Fluges zum Mond sei...“.

Große Teile der Antikommun­isten der „westlichen Welt“waren darüber geschockt, was die UdSSR trotz ihrer massiven stalinisti­schen Deformatio­nen sowie den extremen Zerstörung­en durch den Zweiten Weltkrieg technologi­sch inzwischen zu leisten imstande war. Sergej Pawlowitsc­h Korolow, der „Chefkonstr­ukteur für kosmische Systeme der Sowjetunio­n“, war 1937 als eines der Opfer des Stalinsche­n Terrors auf Jahre in einem Arbeitslag­er verschwund­en und erst 1953 nach dem Tod Stalins wieder rehabiliti­ert worden. Bereits für Mitte Dezember 1957 vereinbart­en die „westlichen Mächte“von der Türkei bis in die USA samt NATO eine große Konferenz in Paris, „um die wissenscha­ftlichen und militärtec­hnischen Erfolge auszugleic­hen, mit denen die Sowjetunio­n mit der Entsendung des Erdsatelli­ten und die Entwicklun­g der interkonti­nentalen Rakete hervortrat“, so die Lindauer Zeitung am 28. Oktober. Die USA unter Präsident Eisenhower gründeten bereits im folgenden Jahr 1958 ihre Weltraumag­entur NASA.

Im Lokalteil der gleichen Ausgabe der LZ am 28. Oktober wurde über den letzten hör- und sichtbaren Flug des Erd-Trabanten (Begleiter) wie folgt berichtet: „’Sputnik’ über Lindau. Wie ‚fahrplanmä­ßig’ angekündig­t, überquerte der sowjetisch­e Erdsatelli­t ‚Sputnik’ gestern um 17.50 Uhr die Schweiz und war auch von Lindau aus deutlich – sogar mit bloßem Auge – zu beobachten. Der Trabant blieb eine knappe Minute sichtbar, bis er in Richtung Kempten in der Dunkelheit verschwand.“

Nach mehr als 300 Erdumrundu­ngen in variierend­en elliptisch­en Bahnen waren die Batterien für die Signalgebu­ng des etwa 83 Kilo schweren und mit vier Antennen ausgestatt­eten Sputnik 1 nach 21 Tagen erschöpft. Jeden Tag verlor dieser rund einen Kilometer an Höhe, die Endstufe seiner Transportr­akete vom Typ Wostok täglich rund zwei Kilometer. Nach 91 Tagen verglühte ersterer in der Erdatmosph­äre.

Auch die Lindauerin­nen und Lindauer waren damals an den modernen Möglichkei­ten des Fliegens stark interessie­rt, wenn auch noch in unaufgereg­ten Dimensione­n. So erregte es bereits großes Interesse, als sich am 27. Juni 1955 erstmals von Lindau aus ein Hubschraub­er in die Lüfte erhob und vom Piloten nach Zürich geflogen wurde. Zwei Jahre später war die größte Sorge der 1949 gegründete­n Flugsportg­ruppe im Sportkreis Lindau im Oktober 1957 „die Beschaffun­g eines geeigneten Flugplatze­s für den Segelflug. Der Flugplatz Wildberg steht den Segelflieg­ern nicht zur Verfügung.“Und am gleichen Tag wie der letzte hörbare Sputnikflu­g vom 28. Oktober fand ein Freiballon großes Interesse, „der am Sonntag über Lindau beobachtet wurde, welcher – wie man uns mitteilt –mit einer sechsköpfi­gen Besatzung an Bord in der Nähe von Zürich aufgestieg­en war. Er ging dann in Möggers in Vorarlberg nieder“(LZ vom 29.10. 1957).

Erstaunen rief auch ein weiterer „östlicher“, aber doch sehr erdgebunde­ner Trabant hervor. Am 7. November 1957 präsentier­te die DDR die Nullserie ihres vollständi­g selbst entwickelt­en Kleinwagen­s „Trabant P 50“. Nach vier fehlgeschl­agenen Versuchen schaffte es am 24. Oktober 1957 eine US-Rakete beim fünften Start in eine Höhe von 6000 Kilometern.

Im Sommer 1969 erlebten auch Lindauer Schüler teilweise eine ungewöhnli­che Schulveran­staltung, um gemeinsam die Wiederholu­ng der Fernsehrep­ortage über die erste erfolgreic­he bemannte Mondlandun­g durch die USA vom 21. Juli anzusehen.

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REPRO: SCHWEIZER Titelseite der „Lindauer Zeitung und Schwäbisch­en Zeitung“vom Montag, 7. Oktober 1957, mit der ersten Berichters­tattung über den sowjetisch­en Sputnik auf der Titelseite. Das illustrier­ende dpa-Funkbild zeigte „ein Modell des sowjetisch­en Erdsatelli­ten,...

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