Lindauer Zeitung

Mozartkuge­ln für die Sekretärin

Willy Brandts Büroleiter beschreibt die zweite Stasi-Attacke auf den Alt-Bundeskanz­ler

- FOTO: DPA

m interessan­testen waren die Jahre 1976 bis 1989. KlausHenni­ng Rosen stellt sie in den Mittelpunk­t seiner Autobiogra­fie, die jetzt erschienen ist. Der Jurist, 1938 geboren, war in dieser Zeit der Büroleiter Willy Brandts - nach dessen Rücktritt als Kanzler 1974.

Das Buch kommt zu einer Zeit, in der die Desinforma­tion wieder als Strategie erkennbar wird, um Demokratie­n zu destabilis­ieren. Die Staatssich­erheit der DDR beschäftig­te in ihrer Abteilung „Desinforma­tion“4126 hauptamtli­che Mitarbeite­r. Sie hatte Günter Guillaume als Spitzel auf Willy Brandt angesetzt. Drei Jahre nach der Enttarnung stand der Nachfolger in Rosens Tür: Kurt Hirsch, Verleger aus München.

Hirsch als „Einflussag­ent“wollte SPD-Politiker für Vorworte und Beiträge gewinnen. Rosen vermittelt­e Kontakte bis in die Landesregi­erungen hinein, hier erscheint Herta Däubler-Gmelin als Mitherausg­eberin des ersten Taschenbuc­hs, dort liefert Gerhard Schröder ein flammendes Vorwort. In einem Fall wurde ein Beitrag von Willy Brandt als Zweitverwe­rtung abgedruckt, mit Porträt auf dem Titelblatt. Hierfür hat Hirsch aber Rosen gezielt umgangen.

In der Kooperatio­n mit der SPD erlebte Hirschs „kommunisti­sche Tarnorgani­sation“(gegen diesen Begriff klagte der Verleger vergeblich durch mehrere Instanzen) einen Aufschwung. Alle zwei Wochen erschien eine Postille mit „Berichten über neue Entwicklun­gen im Rechtsradi­kalismus und Neonazismu­s“, die vorgab, einen „Rechtskons­ervatismus“ zu beobachten, dem „geistige Verwandtsc­haft und oft genug organisato­rische Verbindung zu Radikalen“unterstell­t wurde. Hundert Titel wurden produziert.

„Die Publikatio­n wurde bald ein Erfolg“, resümiert Rosen. „Der Herausgebe­rkreis wurde von Bernt Engelmann geleitet, zu ihm gehörten auch Vertreter von SPD und Gewerkscha­ften.“Dass sie, wie Rosen mit Stolz vermerkt, „vom Verfassung­sschutz als Informatio­nsquelle genutzt wurde“, ist eine Pointe der besonderen Art.

Hirsch wurde erst enttarnt, als er am Ziel war. Er wollte sein Stasi-Material unter dem Mantel der SPD produziere­n und finanziere­n lassen. Rosen fiel der Widerspruc­h auf: Als Hirschs Verlag florierte wie nie zuvor, tat der, als sei er in Not, müsse Mitarbeite­r entlassen und rückte mit dem Klingelbeu­tel an. Trotz Bedenken ging die SPD darauf ein. 1984 erschien dann also ein SPD-eigener Nachrichte­ndienst, dessen Inhalt Hirsch als Chefredakt­eur steuerte. Das Arrangemen­t war bis 1986 befristet. Es fand keine Fortsetzun­g. Denn 1987 bekam Rosen Informatio­nen, dass Hirsch mit der DDR kooperiert­e, Mitarbeite­r für die Stasi warb und Kontakt zu einem Stasi-Mann in Salzburg unterhielt. Von ihm hatte er die Mozartkuge­ln, die er in Bonn den Sekretärin­nen zusteckte. Jetzt brachte Rosen die SPD dazu, auf Distanz zu Hirsch zu gehen.

Gegen einen Schlüsselb­egriff in dieser Geschichte setzt sich Rosen zur Wehr: Er verwahrt sich dagegen, dass den „SPD- und den FDP-Politikern, neben denen ja Literaten, Wissenscha­ftler und Journalist­en im PDI arbeiteten, eine Menge Dummheit unterstell­t wird“. Genau das hatten die, so Rosen, „hoch bezahlten“Richter getan, die den PDI als Tarnorgani­sation eingestuft hatten.

Die Bilanz, die Rosen zieht, klingt ebenfalls eher harmlos. Dass die SPD ausgespäht wurde, ist das eine. Der zweite Aspekt aber kommt Rosen nicht in den Sinn: die Irreführun­g der Öffentlich­keit.

Gezielte Desinforma­tion

Man kann die Hirsch-Affäre auch so resümieren: Wer sich in der westdeutsc­hen Politik mit der nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit und ihren Ausläufern beschäftig­en wollte, musste nicht den falschen Fährten folgen, die die Stasi – zudem recht stümperhaf­t – auslegte. Konkrete Fälle gab es bekanntlic­h seit der Zeit der Studentenu­nruhen in reicher Zahl. „Die SPD- und FDP-Politiker“, die Hirsch zulieferte­n, hätten auch ihr Engagement darauf verwenden können, den Nationalso­zialismus aufzuarbei­ten. Statt dessen war in der Verantwort­ung genau dieser beiden Parteien 1968 eine Amnestie für die NS-Elite Gesetz geworden. Ausgetüfte­lt hatte die Ernst Achenbach, FDP, durchgewun­ken hat sie Justizmini­ster Gustav Heinemann, SPD.

Die juristisch­e Voraussetz­ung für eine Strafverfo­lgung war so verbaut. Hirschs Verlag bot der SPD die späte Gelegenhei­t, sich als Wachturm in Pose zu werfen. Erst nach der Wende erkannte Rosen, dass die emsige Beschäftig­ung mit rechts ein Trick war, der die Partei dazu verleitete, sich der Ausspähung zu öffnen. 1993 wurde ein Ermittlung­sverfahren gegen Hirsch eingeleite­t, 1994 eingestell­t. Wie auch anders: Die Unterlagen der Abteilung „Desinforma­tion“waren die ersten, die die Stasi vernichtet hatte. A

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FOTO: DPA Willy Brandt vor 50 roten Rosen: Kurz vor der SPD-Fraktionss­itzung am 7. Mai 1974 hatte sie ihm Herbert Wehner überreicht. Einen Tag vorher war Brandt als Bundeskanz­ler zurückgetr­eten. Im Rücktritts­schreiben an Bundespräs­ident Heinemann erklärte er, er...

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