Brutales Kammerspiel
Kathryn Bigelows „Detroit“ist ein Film über die Perversion von Recht und Gesetz
Der Film „Detroit“, das neueste Werk der Hollywood-Regisseurin Kathryn Bigelow, rekonstruiert ein empörendes historisches Ereignis und verdichtet es zur Metapher über die Lage der Schwarzen in Amerika und die Perversion von Recht und Gesetz.
Herzschlagkino. Rauchwolken. Eine Stadt im Aufstand. Eine Kriegszone. Polizisten schießen auf Bürger, Bürger schießen auf Polizisten. Weiße schießen auf Schwarze. Am Ende gibt es 43 Tote und weit mehr als 1000 Verletzte.
Dies ist kein Science-FictionFilm. Es ist auch kein Drama aus einer Diktatur irgendwo weit hinter der Türkei. Sondern es ist ein vergessenes Stück aus der Geschichte der westlichen Demokratien: Detroit, im Nordosten der USA, vor gut 50 Jahren im Sommer 1967. Zu Beginn des Films erinnern kurze Texttafeln an die Geschichte der amerikanischen Schwarzen seit der Sklavenbefreiung des 19. Jahrhunderts: die Migration von den Südstaaten in den Norden, von den Baumwollfeldern in die Fabriken der Industrie, die Verdrängung in die Ghettos, die Marginalisierung, die Segregation. In Bussen, Kneipen, Restaurants herrschte Rassentrennung, in den Stadtvierteln Aggression und Verbrechen.
Menschliche Abgründe
Irgendwann in diesem Sommer eskaliert eine Polizeirazzia in einer Bar der Schwarzen, und die lang aufgestaute Wut bricht aus. Der Protest der Bevölkerung gerät aus den Fugen, und auf der Straße geben bald die niederen Instinkte den Ton an. Feuerwehrleute werden angegriffen, Geschäfte geplündert, Unbewaffnete erschossen. Angefacht wird alles durch die Provokationen der Polizei, ihren offenen Rassismus, ihre hemmungslosen Knüppelattacken sowie durch die Gleichgültigkeit der Politiker und ihrer Unterstützer im weißen Establishment. Archivdokumente mischen sich hier mit inszenierten Szenen.
Dies ist wie gesagt kein ScienceFiction-Film. Dies ist auch kein Dokumentarfilm, obwohl alles, was hier zu sehen ist, genauestens recherchiert wurde. Es ist eher ein Horror- film: Einmal mehr, nach „Zero Dark Thirty“, ihrem Film über die Jagd nach Osama Bin Laden, erzählt Kathryn Bigelow – sie gehört zu den besten, die in Hollywood Regie führen – von Folter, von menschlichen Abgründen, von historischen Vorgängen. Sie tut dies in Gestalt einer antiken Tragödie: Episch und getragen, letztlich unheroisch, aber sehr moralisch. Ein Drama der menschlichen Abgründe.
Denn irgendwann, während dieser vier, fünf Tage, an denen Detroit Kopf stand und Anarchie herrschte, bevor Präsident Lyndon B. Johnson die Nationalgarde schickte und mehr schlecht als recht mit Gewalt für Ordnung sorgte, irgendwann unternahm ein Haufen wildgewordener Polizisten eine Razzia in einem Hotel. Sie nahmen ein Dutzend junger schwarzer Männer und zwei weiße Frauen gefangen, die mit einem von ihnen auf dem Zimmer waren. Über viele Stunden wurden sie körperlich wie psychisch gequält und gefoltert, am nächsten Morgen waren drei von ihnen tot.
Bigelow schildert das alles atemlos, voller Dynamik, mit bewegter, sehr naher, subjektiver Kamera und schnellen Schnitten. Bewusst hat Bigelow auf Stars und bekannte Darsteller verzichtet. Es sind tolle Unbekannte, die hier große Auftritte bekommen, wie John Boyega („Star Wars“) und Will Poulter („The Revenant“).
„Detroit“ist ein brutales Kammerspiel, dem öffentliche Aufklärung und Gerichtsprozess wie ein Epilog folgen, der vor allem dazu dient zu zeigen, dass die Täter auch vor Gericht nicht verurteilt wurden. Und zwar obwohl die Polizeiführung genau wusste, was ihre Leute getan haben, und die Täter danach aus dem Verkehr zog. „Detroit“ist insofern in seinem Zentrum ein Film über die Perversion von Recht und Gesetz.
Indem sie diese empörenden Vorgänge in all ihren schockierenden Details nacherzählt, hat Bigelow ei- nen antirassistischen Film gedreht. Dies ist zudem ein Film, der haargenau in unsere Zeit passt. Denn er befasst sich mit jenem Rassismus, der nicht nur in den USA bis heute Alltag ist, sondern der auch in Europa und Deutschland sehr schnell abrufbar ist, wenn es um dunklere Hautfarben, um andere Religionen geht, und zum Beispiel darum, „unsere deutschen Frauen“vor „denen“zu schützen. Zugleich versucht Bigelow jenseits des Spannungskinos und seiner Gesetze, ihrem Publikum auch Raum dafür zu lassen, um einige Seiten der genuin schwarzen Kultur zu entfalten.
Es ist ein herausragend inszenierter, überaus dichter Film geworden. Hart und mitunter schwer erträglich – aber eben auch eindringlich und nachwirkend. Ein Meisterwerk der Inszenierung.