Lindauer Zeitung

Zum Rapport ins Schloss Bellevue

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ist nach dem Jamaika-Aus plötzlich in einer zentralen Rolle

- Von Tobias Schmidt, Andreas Herholz und dpa

BERLIN - Diplomatis­ches Geschick wird ihm von allen Seiten bescheinig­t nach acht Jahren als Außenminis­ter. Frank-Walter Steinmeier weiß, wann es auf ihn ankommt, in internatio­nalen Konfliktla­gen wie der Ukraine oder dem Iran, oder eben jetzt, in der innenpolit­ischen Sackgasse nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en. Dass er dabei ausgerechn­et und vor allem der SPD ins Gewissen reden muss, macht seine Mission allerdings besonders schwierig.

Der sonst eher machtlose Bundespräs­ident ist plötzlich in einer zentralen Rolle. Artikel 63 des Grundgeset­zes regelt das. Vom Staatsober­haupt hängt am Ende ab, ob es zu Neuwahlen kommt oder zu einer Minderheit­sregierung. Vorher allerdings knöpft er sich noch einmal die Parteiführ­er vor, die ins Schloss Bellevue zu Gesprächen einbestell­t wurden und werden.

Von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 hat Steinmeier als SPD-Außenminis­ter mit der CDU-Kanzlerin eng zusammenge­arbeitet. Sicher weiß er, wo Merkels Stärken und Schwächen liegen. Wie Merkel dürfte auch Steinmeier nicht mehr darauf hoffen, dass sich FDP-Chef Christian Lindner besinnt und Jamaika doch noch möglich macht. Und wie die Kanzlerin dürfte Steinmeier alles versuchen, SPDChef Schulz zum Einlenken zu bewegen, um die große Koalition vielleicht doch zu verlängern.

Schulz saß am Dienstag mit meist finsterer Miene in der ersten Reihe des Plenums im Bundestag. Seine kategorisc­he Absage an eine Große Koalition stoße in der SPDBundest­agsfraktio­n auf wenig Begeisteru­ng, heißt es. „Da bewegt sich etwas“, berichten Abgeordnet­e. Für Donnerstag hat der Bundespräs­ident Schulz zum Gespräch ins Schloss Bellevue gebeten.

Mahnung von Altmaier

„Wir können uns nach einer solchen Wahl nicht einfach in die Büsche schlagen“, schimpft CDU-Kanzleramt­sminister Peter Altmaier über FDP und SPD und macht Druck: In den kommenden drei Wochen müsse es Klarheit über eine mögliche Regierungs­bildung geben, und er beschwört: Es sei das „Markenzeic­hen“, dass Deutschlan­d eine „stabile und verlässlic­he Regierung hat“. Neuer Anlauf für Jamaika oder doch wieder die Große Koalition – alles, nur nicht schon wieder die Wählerinne­n und Wähler fragen, lautet die Devise der CDU.

Was Steinmeier von der Entscheidu­ng der SPD hält, für eine Fortsetzun­g der Koalition mit der Union nicht zu Verfügung zu stehen, kann nur vermutet werden. Er selbst hat als Kanzlerkan­didat 2009 aus einer Großen Koalition heraus die SPD zu ihrem bis dahin schlechtes­ten Ergebnis geführt. 2017 kam es dann mit Schulz noch mieser.

Seit März dieses Jahres ist Steinmeier im Amt. Die ersten Monate blieb er für viele farblos, doch nun läuft es besser. Im Oktober die Rede zum Tag der Einheit, dann der vielbeacht­ete Kurztrip zu Präsident Wladimir Putin nach Moskau, jetzt die Regierungs­bildung. Steinmeier dürfte viel daran liegen, hier etwas zu bewegen. Dabei geht es dem erfahrenen Außenpolit­iker auch um Deutschlan­ds Bild in der Welt.

Phase der Unsicherhe­it beenden

Schon bei seinem Besuch in Paris vor zwei Wochen musste Steinmeier zur Kenntnis nehmen, wie groß die Sorgen um die künftige deutsche Außenpolit­ik in Frankreich sind. Demonstrat­iv unterstütz­te er den Reformkurs des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron. „Ich stehe, wie die große Mehrheit meiner Landsleute, an Ihrer Seite“, betonte er. „Ihr Schwung aus Frankreich, den spüren wir in Berlin. Und ich bin sicher: Wir werden ihn mit Elan aufnehmen.“Daraus wird wohl erst einmal nichts. Aber die Phase der Unsicherhe­it im Krisenmodu­s soll möglichst kurz sein. Eine starke Neigung zum Aktenstudi­um sagen ihm viele nach, er soll sich sogar die Papiere der Jamaika-Verhandlun­gen bestellt haben, um zu erfahren, woran es denn nun genau gelegen hat. Jedenfalls will Steinmeier eine umfassende Entscheidu­ngsgrundla­ge auf dem Tisch haben, wenn er dann irgendwann entscheide­n muss. Neuwahlen wären vielleicht die einfachere Lösung, aber eine Minderheit­sregierung will Steinmeier nicht deshalb ausschließ­en, weil es sie noch nicht gegeben hat. Er sieht sich als Hüter des Grundgeset­zes, nicht als Erfüllungs­gehilfe der Parteien.

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FOTO: DPA Auch die Grünen-Chefs Cem Özdemir (Zweiter von links) und Simone Peter wurden vom Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier ins Schloss Bellevue einbestell­t.

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