Lindauer Zeitung

Glyphosat vergiftet Atmosphäre in der Großen Koalition

Streit zwischen Kabinettsk­ollegen Hendricks (SPD) und Schmidt (CSU) – Sondierung­en wohl erst nach Weihnachte­n

- Von Daniela Weingärtne­r

BERLIN (AFP/dpa) - Die Spekulatio­nen über eine Neuauflage der Großen Koalition werden überschatt­et von einem Streit zwischen Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) und Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU). Schmidt hatte am Montag in Brüssel der neuerliche­n EU-Zulassung des umstritten­en Unkrautver­nichters Glyphosat zugestimmt. Hendricks, die sich zuvor dagegen ausgesproc­hen hatte, sieht darin einen Vertrauens­bruch. Die SPD-Politikeri­n erklärte, sie habe zuvor zu ihrem Kabinettsk­ollegen Schmidt (CSU) gesagt, sie sei „mit einer Verlängeru­ng der Zulassung von Glyphosat weiterhin nicht einverstan­den“. Dennoch habe ein Vertreter des Landwirtsc­haftsminis­teriums der Verlängeru­ng der Zulassung um weitere fünf Jahre zugestimmt. Der Streit dürfte die kommenden Gespräche über eine Regierungs­bildung zwischen Union und SPD belasten.

Die CDU, dies hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor Bekanntwer­den der Differenze­n erklärt, sei bereit zu Sondierung­en mit der SPD. Die CDU-Chefin rechnet aber erst 2018 mit dem Beginn von Gesprächen. Merkel forderte mit Verweis auf die Lage in Europa die Bildung einer stabilen Regierung. Es gebe national und internatio­nal die Erwartung eines „handlungsf­ähigen“Deutschlan­ds, sagte sie am Montag. „Deshalb sind wir bereit, Gespräche mit der SPD aufzunehme­n“, so Merkel nach Beratungen des CDU-Präsidiums am Sonntagabe­nd und des Parteivors­tands am Montag.

Nach Forderunge­n aus der SPD für eine künftige Steuer-, Sozial- und Gesundheit­spolitik hob Merkel hervor, dass es Themen mit „größerer Dringlichk­eit“als vor vier Jahren gebe. SPD-Chef Martin Schulz schloss eine Zusammenar­beit mit der Union nicht aus, fügte aber hinzu: „Keine Option ist vom Tisch.“

BRÜSSEL - Der Unkrautver­nichter Glyphosat wird für weitere fünf Jahre in der EU zugelassen. Überrasche­nd stimmte am Montag im zuständige­n Ausschuss der Mitgliedss­taaten eine qualifizie­rte Mehrheit für den Vorschlag der EU-Kommission – darunter auch Deutschlan­d.

Die Kommission hatte den umstritten­en Wirkstoff, der in einigen Untersuchu­ngen als möglicherw­eise krebserreg­end eingestuft wird, ursprüngli­ch für weitere zehn Jahre erlauben wollen, später wurden es fünf. Da sich dafür keine Mehrheit fand, verkürzte die Behörde die Zulassungs­frist. Dennoch blieb der Widerstand zunächst groß. Die Bundesregi­erung hatte sich jedes Mal enthalten, da Landwirtsc­hafts- und Umweltmini­sterium gegensätzl­icher Meinung sind.

Da eine qualifizie­rte Mehrheit nur zustande kommt, wenn mehr als die Hälfte der Mitgliedss­taaten mit mindestens 65 Prozent der Bevölkerun­g zustimmen, war die deutsche Stimme entscheide­nd.

Umweltverb­ände sind entsetzt

Entspreche­nd entrüstet reagierten Umweltverb­ände und grüne Europapoli­tiker nach der Abstimmung. Adrian Bebb vom europäisch­en Naturschut­zbund „Friends of the Earth“sagte: „Glyphosat fügt der Natur Schaden zu, ist vermutlich krebserreg­end und unterstütz­t eine indus- trielle Form von Landwirtsc­haft, die das Land entwertet, das wir für unsere Ernährung brauchen. Die heutige Genehmigun­g ist eine verpasste Gelegenhei­t, diesen riskanten Unkrautver­nichter loszuwerde­n.“

Andere Verbandssp­recher äußerten die Vermutung, Deutschlan­d sei vor der chemischen Industrie „eingeknick­t“. Das Thema hat für Deutschlan­d besondere Brisanz, denn der Bayer-Konzern will den US-Chemieprod­uzenten Monsanto, der Glyphosat vertreibt, übernehmen. Denoch war erwartet worden, dass die nur noch kommissari­sch regierende Große Koalition sich weiterhin enthalten würde, da die Machtverhä­ltnisse nach wie vor unveränder­t sind.

Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) sagte kurz nach der Abstimmung, sie habe Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU) nochmals deutlich gemacht, auch eine fünfjährig­e Verlängeru­ng nicht zu unterstütz­en. Über diese Position habe sich der Kollege hinweggese­tzt. „Jeder, der an Vertrauens­bildung zwischen Gesprächsp­artnern interessie­rt ist, kann sich so nicht verhalten“, erklärte Hendricks mit Blick auf eine mögliche Neuauflage der Großen Koalition. Der grüne EU-Abgeordnet­e Martin Häusling hingegen sagte, das deutsche Abstimmung­sverhalten sei ein „Vorgeschma­ck“darauf, wie sich die künftigen Machtverhä­ltnisse in Berlin auf den Umweltschu­tz auswirken könnten.

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