Glyphosat vergiftet Atmosphäre in der Großen Koalition
Streit zwischen Kabinettskollegen Hendricks (SPD) und Schmidt (CSU) – Sondierungen wohl erst nach Weihnachten
BERLIN (AFP/dpa) - Die Spekulationen über eine Neuauflage der Großen Koalition werden überschattet von einem Streit zwischen Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Schmidt hatte am Montag in Brüssel der neuerlichen EU-Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat zugestimmt. Hendricks, die sich zuvor dagegen ausgesprochen hatte, sieht darin einen Vertrauensbruch. Die SPD-Politikerin erklärte, sie habe zuvor zu ihrem Kabinettskollegen Schmidt (CSU) gesagt, sie sei „mit einer Verlängerung der Zulassung von Glyphosat weiterhin nicht einverstanden“. Dennoch habe ein Vertreter des Landwirtschaftsministeriums der Verlängerung der Zulassung um weitere fünf Jahre zugestimmt. Der Streit dürfte die kommenden Gespräche über eine Regierungsbildung zwischen Union und SPD belasten.
Die CDU, dies hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Bekanntwerden der Differenzen erklärt, sei bereit zu Sondierungen mit der SPD. Die CDU-Chefin rechnet aber erst 2018 mit dem Beginn von Gesprächen. Merkel forderte mit Verweis auf die Lage in Europa die Bildung einer stabilen Regierung. Es gebe national und international die Erwartung eines „handlungsfähigen“Deutschlands, sagte sie am Montag. „Deshalb sind wir bereit, Gespräche mit der SPD aufzunehmen“, so Merkel nach Beratungen des CDU-Präsidiums am Sonntagabend und des Parteivorstands am Montag.
Nach Forderungen aus der SPD für eine künftige Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik hob Merkel hervor, dass es Themen mit „größerer Dringlichkeit“als vor vier Jahren gebe. SPD-Chef Martin Schulz schloss eine Zusammenarbeit mit der Union nicht aus, fügte aber hinzu: „Keine Option ist vom Tisch.“
BRÜSSEL - Der Unkrautvernichter Glyphosat wird für weitere fünf Jahre in der EU zugelassen. Überraschend stimmte am Montag im zuständigen Ausschuss der Mitgliedsstaaten eine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der EU-Kommission – darunter auch Deutschland.
Die Kommission hatte den umstrittenen Wirkstoff, der in einigen Untersuchungen als möglicherweise krebserregend eingestuft wird, ursprünglich für weitere zehn Jahre erlauben wollen, später wurden es fünf. Da sich dafür keine Mehrheit fand, verkürzte die Behörde die Zulassungsfrist. Dennoch blieb der Widerstand zunächst groß. Die Bundesregierung hatte sich jedes Mal enthalten, da Landwirtschafts- und Umweltministerium gegensätzlicher Meinung sind.
Da eine qualifizierte Mehrheit nur zustande kommt, wenn mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten mit mindestens 65 Prozent der Bevölkerung zustimmen, war die deutsche Stimme entscheidend.
Umweltverbände sind entsetzt
Entsprechend entrüstet reagierten Umweltverbände und grüne Europapolitiker nach der Abstimmung. Adrian Bebb vom europäischen Naturschutzbund „Friends of the Earth“sagte: „Glyphosat fügt der Natur Schaden zu, ist vermutlich krebserregend und unterstützt eine indus- trielle Form von Landwirtschaft, die das Land entwertet, das wir für unsere Ernährung brauchen. Die heutige Genehmigung ist eine verpasste Gelegenheit, diesen riskanten Unkrautvernichter loszuwerden.“
Andere Verbandssprecher äußerten die Vermutung, Deutschland sei vor der chemischen Industrie „eingeknickt“. Das Thema hat für Deutschland besondere Brisanz, denn der Bayer-Konzern will den US-Chemieproduzenten Monsanto, der Glyphosat vertreibt, übernehmen. Denoch war erwartet worden, dass die nur noch kommissarisch regierende Große Koalition sich weiterhin enthalten würde, da die Machtverhältnisse nach wie vor unverändert sind.
Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte kurz nach der Abstimmung, sie habe Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) nochmals deutlich gemacht, auch eine fünfjährige Verlängerung nicht zu unterstützen. Über diese Position habe sich der Kollege hinweggesetzt. „Jeder, der an Vertrauensbildung zwischen Gesprächspartnern interessiert ist, kann sich so nicht verhalten“, erklärte Hendricks mit Blick auf eine mögliche Neuauflage der Großen Koalition. Der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling hingegen sagte, das deutsche Abstimmungsverhalten sei ein „Vorgeschmack“darauf, wie sich die künftigen Machtverhältnisse in Berlin auf den Umweltschutz auswirken könnten.