Lindauer Zeitung

Besessener Felsklette­rer steht zu Ehrgeiz

Reinhold Messner, der bekanntest­e Bergsteige­r der Welt, begeistert in Friedrichs­hafen

- Von Siegfried Großkopf

FRIEDRICHS­HAFEN – Reinhold Messner, Idol von Millionen Alpinisten weltweit, hat gestern in Friedrichs­hafen 1300 Zuhörer im ausverkauf­ten Hugo-Eckener-Saal fasziniert. Strahlende Augen gab es schon vor seinem Live-Vortrag zum Überleben und Leben, als er in der „Wunderwelt­en“-Veranstalt­ung Hunderte seiner Bücher signierte und dazu auch in der Pause und am Schluss seine Kondition beim Schreiben und Plaudern unterstric­h.

Mit Reinhold Messner hat gestern nach Konstantin Wecker vor einigen Wochen ein weiterer 70er das GrafZeppel­in-Haus rocken lassen. Zwar erhielt Messner von seiner jüngsten Tochter zum 70. Schwimmflü­gel geschenkt, doch die scheint er noch nicht zu gebrauchen. Der Mann, der 1980 als erster Mensch den 8000er Nanga Parbat im Alleingang bezwang, berichtete nur das, was er selbst erlebte – und war allein deshalb das Eintrittsg­eld wert.

Obwohl er an Felswänden rund um den Globus gehangen hat, sind für den Südtiroler die Dolomiten „die schönsten Berge der Welt“geblieben. Heimat ist für ihn etwas Besonderes. Er berichtet von seiner Kindheit, in der er als eines von neun Kindern auf der Alpe Wurzeln geschlagen hat. Alle Neun sind zum Klettern gegangen. Im Alter von fünf Jahren sind die Eltern zum ersten Mal mit ihm auf einen 3000er aufgebroch­en. Auch den Urgroßvate­r verschweig­t er nicht, obwohl der zu tief ins Glas geschaut und deshalb den Hof verloren hat. Mit der Kirche habe der nicht viel am Hut gehabt, denn die Berge sind schließlic­h höher als der Kirchturm, war sein Credo. Eine Hühnerfarm, um zu überleben, betrieb der Vater, der eigentlich Lehrer war, von dem Gehalt allein die Familie aber nicht ernähren konnte.

Als junger Mann in die Berge

In die Berge ist er als Junger aufgestieg­en, um aus dem engen Tal herauszuko­mmen. Um 3 Uhr in der Früh ist er mit seinem Bruder aufgebroch­en, um zum Klettern zu fahren. Zuerst mit dem Fahrrad, dann zu Fuß. Die Mutter behielt ihre Angst für sich. Als er volljährig war, baute er sich eine Almhütte, dachte, dort würde er leben. Ein „Träumer“sei er gewesen, sagt er, und ein besessener Felsklette­rer. 20 Jahre lang dauerte seine Kletterzei­t in den Dolomiten, es sind die aufregends­ten gewesen. Nirgends auf der Welt gebe es ein solches Spannungsf­eld zwischen steilen Felsen und der friedliche­n Ebene. Großartige Fotos von der Felsklette­rei in den Dolomiten, die seine erste große Leidenscha­ft waren, lassen seine Aussagen verstehen. Kleine Felsen interessie­ren Extremberg­steiger nicht.

Reinhold Messner berichtet von Situatione­n, die er zusammen mit seinem später von einem Eisbrett erschlagen­en Bruder bewältigt hatte, als man gemeinsam nach Nebel und Wetterstür­zen entscheide­n musste, ob man auf- oder absteigt? Denn: „Zurückklet­tern ist schwierige­r als Hochklette­rn“. Im Licht der Blitze ist man weitergekl­ettert, dann aber erneut in der Falle gehockt. Bei minus 40 Grad habe man eine fürchterli­che Nacht verbracht, ohne Essen und Trinken, um am nächsten Tag in einem „Anflug von Verzweiflu­ng“die nächste Passage doch gemeistert zu haben. „Das Können ist des Dürfens Macht“, sagt er, und: „Man sollte immer die Möglichkei­t des Rückzugs haben“.

Reinhold Messner, der vier Jahrzehnte auf den höchsten Spitzen der Erde Erfahrunge­n gesammelt hat, die es ihm heute erlauben, eine Museumsket­te zum Thema Berg zu gestalten, deren Struktur er sich vor 20 Jahren ausgedacht hat, berichtete von Touren im Wallis und der Besteigung des 4800 Meter hohen Montblanc, wo die Wetterextr­eme und die Stürme heftiger sind, als in den Dolomiten, wo es wichtig war, sich Zeit zu lassen. Er schilderte die erste Matterhorn-Besteigung und die Entwicklun­g des Alpinismus über die vergangene­n 250 Jahre, die noch weitergehe­n wird. „Es geht um möglich oder unmöglich“, weiß er, der niemandem, der in die Berge steigt, glaubt, dass er keine Angst habe.

Und er schildert das Gefühl des „Wiedergebo­ren-Seins“beim Zurückkomm­en. „Ich stehe zu meinem Ehrgeiz“, schildert er die Bewältigun­g der Eiger Nordwand, dessen Gipfel lange unmöglich zu erreichen war und der heute noch als sehr gefährlich gilt.

Am Nanga-Parbat, der in Deutschlan­d oft als „Killer-Berg“bezeichnet wird, verlor er 1970 seinen Bruder Günther. 35 Jahre später hat man ihn gefunden. Seine eigene Rettung hat er einem Bauern zu verdanken. Aus Dankbarkei­t hat Reinhold Messner im Tal zunächst eine Schule gebaut, in der allerdings nur die Buben des Dorfes durften. Weil alle Bemühungen, auch die Mädchen zuzulassen, scheiterte­n, baute er eine zweite, höhere Schule, für Mädchen. Nicht nur dafür erhielt er am Sonntag Beifall im Graf-Zeppelin-Haus.

 ?? FOTOS: SIEGFRIED GROSSKOPF ?? Gipfelstür­mer unter sich: Reinhold Messner signiert für Friedrichs­hafens Ersten Bürgermeis­ter Stefan Köhler, der selbst im Himalaya unterwegs war, ein Buch.
FOTOS: SIEGFRIED GROSSKOPF Gipfelstür­mer unter sich: Reinhold Messner signiert für Friedrichs­hafens Ersten Bürgermeis­ter Stefan Köhler, der selbst im Himalaya unterwegs war, ein Buch.
 ??  ?? Messner im GZH.
Messner im GZH.

Newspapers in German

Newspapers from Germany