Letzte Lebenslust
Die todkranke Gabriele Cillari spürt in Kempten ein „Gefühl von Happy End, bevor der Vorhang fällt“
KEMPTEN/OBERALLGÄU - Gabriele Cillari, 67 Jahre alt, wusste schon vor 25 Jahren: Wenn es soweit ist, dass sie sterben muss, dann im Hospiz. Noch ist es nicht soweit. Doch die kleine zierliche Frau weiß: Sie ist auf der Zielgeraden des Lebens. „Aber“, lächelt sie, „hier muss man sich mit dem Sterben nicht hetzen.“Denn hier, im Allgäu Hospiz in der Madlenerstraße in Kempten, habe sie das „Gefühl von Happy End, bevor der Vorhang fällt“. Das Hospiz ist für Gabriele Cillari nämlich kein Sterbehaus, sondern ein Haus des Lebens. Ein Nest, in dem sie sich geborgen fühle, in dem sie – ganz praktisch – so gut versorgt sei, dass sie sich auf der letzten Wegstrecke des Lebens sicher fühle.
Wie lebt es sich im Hospiz? Darf man diese Frage schwerstkranken Menschen überhaupt stellen? Gabriele Cillari lacht. „Natürlich“, sagt die Starnbergerin, deren „chronisch obstruktive Lungenerkrankung COPD“und der Lungenkrebs sie irgendwann nicht mehr atmen lassen. Die Angst vor dem Ersticken nehmen ihr die Medikamente. Angst vor dem Tod hatte sie nie. Ins Hospiz wollte die Frau, die im Leserservice des Burda-Verlags in München gearbeitet hat, aus verschiedenen Gründen. Weil ihre Angehören die Pflege nicht mehr leisten konnten, sie selbst aus Erschöpfung vieles nicht mehr schafft.
So habe sie sich umgeschaut. Illertissen und München kamen in Frage. Doch in der Landeshauptstadt habe man ihr zu verstehen gegeben: Hospizplatz ja, aber nur drei Monate lang. Eine Aussage, die Gabriele Cillari so interpretierte: Bis dahin habe sie zu sterben. Die 67-Jährige nimmt es mit Humor, wenn sie sagt: Ihr Ende wisse sie ja so genau jetzt doch nicht. Sie weiß nur: In Kempten genieße sie das Dasein im Hospiz sogar.
Dabei gibt es laut Hospiz-Leiterin Susanne Hoffmann für die Gäste, wie sie genannt werden, keinen geregelten Tagesablauf. Wann sie aufstehen, frühstücken, mittagessen, stehe ihnen frei: „Ein kranker Körper hat andere Bedürfnisse als ein gesunder.“16 hauptamtliche Pflegekräfte, zwei Hauswirtschafterinnen und 30 Ehrenamtliche sorgen dafür, dass die Gäste von der Musik über die Kunst, von Spaziergängen bis Vorlesen Abwechslung haben. Damit sie sich wie auf einer Insel fühlen. Das ist es, was Gabriele Cillari schätzt. Es werde einem alles abgenommen, man könne sich darauf konzentrieren, bei sich zu sein.
Wird man da nicht schwermütig auf dem letzten Weg? „Warum denn?“, fragt die zierliche Frau zurück: „Wir sind alle irgendwann auf der Zielgeraden.“Noch kann die Mutter zweier erwachsener Kinder und Oma zweier Enkelkinder stricken, lesen, interessiert sich für das Weltgeschehen. Den Satz „dir kann das doch jetzt alles wurscht sein“, mag sie nicht hören. Auch wenn sie weiß, dass sie vieles nicht mehr erleben wird: Das Aufwachsen ihrer Enkel (7 und 10 Jahre), ob Trump Präsident bleibt (müsse sie nicht mehr wissen) oder die Reise zu den Seychellen, die sie so gern mit ihrer Tochter gemacht hätte. Da wird Cillari dann doch ein wenig wehmütig: „Aber das ist alles kein Drama.“