Ruheständler ohne Ruhe
Der Unterallgäuer Komponist Kurt Gäble arbeitet ständig an neuen Werken
LAUBEN - Wenn Kurt Gäble ein neues Stück komponiert hat, räumt er die Noten in die Packtaschen seines Fahrrades und radelt – sofern es das Wetter zulässt – rüber zum RundelVerlag nach Rot an der Rot. 28 Kilometer liegt er von Lauben, seinem Unterallgäuer Heimatdorf, entfernt. Thomas und Stefan Rundel freuen sich jedes Mal, wenn sie Besuch von Gäble bekommen. Sie wissen: Gäbles Werke stoßen in Blasmusikkreisen stets auf große Resonanz, ganz egal, ob es sich um eine Polka, ein modernes Kirchenlied, ein Rock-Pop-Medley oder ein Konzertstück handelt. „Kurt Gäble ist eine Ausnahmeerscheinung“, schwärmt Thomas Rundel. „Es gibt nur wenige, die auf seinem Niveau schreiben.“
Und Gäble ist fleißig. Acht neue Stücke hat er sich in den vergangenen zwölf Monaten einfallen lassen. Ein Gutteil davon sind Aufträge von Blasorchestern, nur ein paar schreibt er aus innerem Antrieb nach Lust und Laune. Zeit hätte der 64-Jährige eigentlich, schließlich gab er seinen Beruf als Mittelschullehrer schon vor sechs Jahren auf, und nach 34 Jahren als Leiter der Laub’ner Blasmusik hat er inzwischen auch den Dirigentenstock seiner Heimatkapelle weitergereicht. Doch Gäble ist weiterhin gefragt. Etwa auf dem Friedhof von Lauben. Wenn bei einer Beerdigung Blasmusik erklingen soll, ist er zur Stelle. Außerdem gibt er im ganzen deutschsprachigen Raum Seminare. Derzeit bereitet er zwei Kirchenkonzerte vor (siehe Infokasten).
Mit dem Bleistift am Schreibtisch
Ansonsten sitzt Kurt Gäble daheim am Schreibtisch. Mit dem Bleistift, einem weichen Staedler B3 („der schmiert nicht“), schreibt er auf Notenpapier, was in seinem Kopf an Klängen entsteht. Er kann sich Melodien, Harmonien und Rhythmen bestens vorstellen. Und wenn er doch mal wissen will, wie das klingt, was in seinem Innern tönt, dreht er den Schreibtischstuhl um 90 Grad nach links und greift in die Tasten seines elektrischen Klaviers.
Wer eine Komposition von Gäble haben möchte, muss 2500 Euro hinlegen. Plus sieben Prozent Umsatzsteuer. Soviel kostet ein Werk, egal ob es sich um eine dreiminütige Polka oder ein ausgewachsenes Konzertstück handelt. Freilich kommt nicht jeder in den Genuss einer Gäble-Komposition. Etwa die Hälfte der Anfragen lehnt er ab. Manchmal, weil ihm die Auftraggeber nicht gefallen, manchmal, weil er einfach keine Zeit hat. Der Ruheständler sitzt zwar viel im Arbeitszimmer gleich neben dem Wohnzimmer. Aber wenn einer seiner sechs Enkel zu Besuch kommt, hört er sofort auf. „Sie gehen vor.“
Die Bandbreite seiner Arbeit war auch dieses Jahr groß. Die Blaskapelle von Perg in Niederösterreich ließ sich eine neue Schnellpolka schreiben; sie ist mittlerweile zum Pflichtstück bei einem Wettbewerb mit böhmisch-mährischer Blasmusik in der Schweiz geworden. Die Musikkapelle von Owingen am Bodensee bestellte ein Konzertwerk („Owinia“), in dem nicht nur die Geschichte des Dorfes, geschildert werden sollte, sondern auch die schreckliche Kollision zweier Flugzeuge über dem Ort im Jahr 2002. Hinzu kommen eine Polka, ein Marsch, ein Stück für den ORF in Österreich sowie Bearbeitungen von klassischen Händel-, Regerund Jenkins-Stücken.
Gäble ist ein Komponist mit Anliegen. In vielen seiner Stücke schwingt mehr mit als nur Töne und Klänge. Der christlich-ökologische denkende Gäble will Werte vermitteln: ein einfühlsameres Miteinander, eine gerechtere Welt, ein nachhaltigeres Wirtschaften. Titel wie Der blaue Planet, Symphony of Hope oder Dialog der Generationen drücken dies aus. Gern schreibt der spirituelle Mensch für kirchliche Anlässe.
Geistliche Lieder sind gefragt
So hat er in den vergangenen Jahren seine Sammlung mit Arrangements von neuen geistlichen Liedern ständig erweitert. Als die erste Folge von ihnen vor 30 Jahren auf den Markt kam, gingen die Noten weg wie warme Semmeln. Gäble und sein Verlag Rundel hatten eine Marktlücke gefunden. Seither schiebt Gäble ständig Arrangements nach. Sieben von ihnen hat Rundel nun vom Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg und einem Kölner Chor unter dem Titel „Himmel und Erde“einspielen lassen. Die CD kommt demnächst auf den Markt. Angesichts der vie- len Projekte steht Kurt Gäble eigentlich immer unter Zeitdruck. Aber neben seinen Enkeln gibt es noch eine andere Sache, für die er das Komponieren gerne unterbricht. Gäble gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er davon erzählt. Mit seiner Frau und ein paar Freunden besucht er ab und zu Pflegeheime mit alten, dementen Menschen. Ihnen singen und spielen die acht Männer und Frauen Schlager und Evergreens aus den 1930er bis 1960er Jahren vor. „Wir versuchen, starke Impulse zu wecken, damit sie sich an Freude, Freundschaft und Liebe erinnern“, sagt Gäble.
Mit verblüffendem Erfolg, wie er versichert. Die Zuhörer fühlten ein Licht in ihrer Dunkelheit, öffneten sich, lächelten, berichtet Gäble. „Das weckt die Lebensgeister der Leute und macht sie glücklich.“Dieses Glück strahle zurück auf ihn und seine musizierenden Freunde. „Da sieht man wieder einmal, was Musik bewirken kann.“