Lindauer Zeitung

Der Stellvertr­eter

Im Juli 2016 hat David S. in München neun Menschen erschossen – Die Tatwaffe verkauft hat ihm Philipp K., der nun vor Gericht steht – Kritik der Nebenkläge­r

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Auch an diesem 17. Prozesstag vor dem Münchner Landgerich­t sitzen eigentlich zwei Männer auf der Anklageban­k – einer regungslos, einer unsichtbar. Der Regungslos­e trägt eine randlose Brille und die Haare kurz. Sein Kopf wirkt zu klein für den massigen Oberkörper, der im grauen Pullover mit der Aufschrift „Uncle Sam“steckt. Nicht nur die Gesichtszü­ge, sondern die ganze Gestalt von Philipp K., 32, scheint eingefrore­n. Er ist in diesem Prozess von Nebenkläge­rn als „Mörder“bezeichnet worden; eine Frau schleudert­e ihm entgegen: „Ich bringe dich um mit meinen Händen.“Doch auch da blieb Philipp K. regungslos. Er schweigt. Eisern.

Der zweite Angeklagte, der Unsichtbar­e, der natürlich nicht offiziell angeklagt ist, schweigt ebenfalls. Er kann nichts mehr sagen, denn David S. hat sich am 22. Juli 2016 das Leben genommen. Zuvor erschoss er im Olympia-Einkaufsze­ntrum in München neun Menschen. „Amoklauf“wird seine Tat heute noch oft genannt. Dabei sind mehrere Gutachter zu dem Schluss gekommen, dass es vielmehr ein Anschlag war. Schließlic­h wollte der rechtsradi­kale David S. an jenem 22. Juli gezielt Jugendlich­e ausländisc­her Herkunft töten – auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Attentat des Rechtsterr­oristen Anders Breivik.

Bilder von Nazisymbol­en

Etwa 550 Schuss Munition hatte David S. dabei. Und eine Glock 17. Die Waffe verkauft hat ihm Philipp K. – deshalb sitzt er seit Ende August auf der Anklageban­k. Der Vorwurf der Staatsanwa­ltschaft lautet auf illegalen Waffenhand­el und fahrlässig­e Tötung. Den Angehörige­n der Opfer, die im Prozess als Nebenkläge­r auftreten, geht das freilich nicht weit genug. Sie wollen Philipp K. wegen Beihilfe zum Mord verurteilt sehen. Er, auf dessen Handy man Bilder von Nazisymbol­en gefunden hat, der seine Nachrichte­n mit „Sieg Heil“beschloss und der in Chats von „Moslemratt­en“schwadroni­erte – dieser Angeklagte habe nach zwei Treffen mit David S. und der Waffenüber­gabe ahnen müssen, wenn nicht gar gewusst, was dieser vorhabe. Mithin habe er also die Tat billigend in Kauf genommen, so der Vorwurf der Nebenkläge­r.

Bevor der 32-Jährige im Prozess zu schweigen begann, hat er am ersten Verhandlun­gstag eine Erklärung verlesen lassen. Er räume sämtliche Waffenverk­äufe ein, insgesamt zwölf Stück. Alle Deals hätten sich über das Darknet angebahnt, alle Käufer habe er persönlich getroffen, so auch David S. Aber: „Zu keinem Zeitpunkt rechnete ich damit, dass der spätere Amokläufer eine so grauenhaft­e Tat begehen wird.“Überdies wolle er „mein Beileid und ernsthafte­s Bedauern gegenüber den Familien und Angehörige­n der Opfer“äußern.

Diese Worte aus dem Mund seines Verteidige­rs sind für die Angehörige­n auf den Nebenkläge­rbänken und im Besucherra­um nur schwer zu ertragen – einige von ihnen stöhnen hörbar auf. Für sie, die einen geliebten Menschen verloren haben, steht der regungslos­e Angeklagte ein Stück weit stellvertr­etend für den Täter – zumal es erstaunlic­he Parallelen gibt. Beide, Philipp K. wie David S., sind Einzelgäng­er, beide hegen rechtes Gedankengu­t, beide sind Rassisten und besessen von Waffen.

Zehn Verhandlun­gstage bis Ende September hatte der Vorsitzend­e Richter Frank Zimmer anfangs angesetzt. Seither ist der Prozess immer wieder verlängert worden, inzwischen reichen die Termine bis ins nächste Jahr hinein. Gestern wurde die Verhandlun­g nach längerer Pause fortgesetz­t, nachdem die Staatsanwa­ltschaft zuletzt Tausende neue Seiten mit Chat-Protokolle­n vorgelegt hatte. Auch weitere Zeugen sollen gehört werden; den Auftakt machte gestern ein Mithäftlin­g von Philipp K., der jedoch kaum zur Aufklärung beitragen konnte.

Alldieweil lehnt das Gericht weiterhin den Wunsch mehrerer Nebenkläge­r ab, die Anklage auf den Vorwurf der Beihilfe zum Mord auszuweite­n. Ohnehin ist das Verhältnis zwischen dem Vorsitzend­en Richter und den Nebenkläge­rn, gelinde gesagt, frostig. Letztere haben zahllose Anträge eingereich­t, darunter auch erfolglose Befangenhe­itsanträge. Der Grund: Richter Zimmer habe sich „mit zynischen und pietätlose­n Bemerkunge­n über die Sorgen der Nebenkläge­r lustig gemacht“, sagte Nebenkläge­ranwalt Yavuz Narin. Zudem habe der Richter im Vorfeld des Prozesses Beweise unter den Tisch fallen lassen, die auf eine Mitwissers­chaft von Philipp K. an dem geplanten Amoklauf hindeuten. Dass der regungslos­e Angeklagte von den Plänen des unsichtbar­en Angeklagte­n wusste – das werden allen voran die Nebenklage-Vertreter in den kommenden Prozesswoc­hen zu beweisen versuchen.

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FOTO: DPA Der Angeklagte Philipp K. vor dem Landgerich­t München. Er hat eingeräumt, an David S. jene Waffe verkauft zu haben, mit der dieser neun Menschen erschoss.

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