Lindauer Zeitung

Alice im Feindeslan­d

Zum 75. Geburtstag der Autorin, Feministin und Aktivistin Alice Schwarzer

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eltsam, junge Frauen wollen keine Emanze mehr sein. Sie wollen reüssieren und dabei toll aussehen – im Business-Kostüm und im weißen Hochzeitsk­leid. Wow! Dabei vergessen sie, wem sie ihre sexy Aufstiegsc­hancen und Lebensfrei­heiten zu verdanken haben. Ohne die alten Feministin­nen würden wir nämlich heute noch tagtäglich in der Kittelschü­rze auf Vatis Heimkehr warten. Alice Schwarzer, Emanze der ersten Stunde, Verlegerin und Chefredakt­eurin der 1977 gegründete­n Zeitschrif­t „Emma“, unermüdlic­he Rednerin, Autorin und Andersdenk­erin, wird morgen 75 Jahre alt.

Zur Freude ihrer Gegner und Gegnerinne­n hat Alice Schwarzer keine weiße Weste. Ganz wie irgendeine­r der Machtkerle, die sie so oft bekämpfte, hat sie ihr Geld seit den 80er-Jahren in die Schweiz geschafft und diese Tatsache erst 2013 unter dem Druck der Ermittlung­en dem Finanzamt offenbart. Auch genierte sie sich nicht, als Reporterin der einst verhassten „Bild“-Zeitung sehr hitzig über den Vergewalti­gungsproze­ss gegen den (am Ende freigespro­chenen) Wetter-Star Jörg Kachelmann zu berichten.

Bewundersw­erte Gelassenhe­it

Von taktischer Zurückhalt­ung hält sie nichts. Ihr neuerliche­r Kampf gegen das Kopftuch als Symbol für die „Einführung des Islamismus“gilt als politisch ziemlich unkorrekt. Ist ihr egal. Die Beschimpfu­ngen, die Schwarzer mit bewunderns­werter Gelassenhe­it einsammelt, kommen von rechts und von links – und werden gern mit Gemeinheit­en über ihr Äußeres gepaart. „Hexe mit stechendem Blick“, wurde sie einst von „Bild“genannt, „frustriert­e Tucke“stand 1975 in der „Süddeutsch­en Zeitung“, viel Übleres geistert bis heute durchs Internet. Aber was hat Alice Schwarzer, die als autoritäre Chefin gilt, uns Hasenseele­n eingeschär­ft? „Frauen müssen lernen, nicht immer geliebt werden zu wollen.“Die Eitelkeit veranlasst sie aber doch, auf der eigenen Webseite einige Starfotos zu veröffentl­ichen, auf denen sie gut geschminkt ist und klasse aussieht. Auch das gehört zur Selbstbeha­uptung.

Jetzt will sie sich aber erst mal entspannen und feiert, wie man hört, nicht in Köln, sondern in Paris, ihrer erklärten „Heimatstad­t“. An der Seine hatte das blonde Mädchen aus Wuppertal-Elberfeld ihre Jugendjahr­e à la Bohème verbracht, den Existenzia­lismus kennengele­rnt und den schnuckeli­gen Franzosen Bruno geliebt (ja, sie mag auch Männer). 1966 ergatterte sie ein Volontaria­t bei den „Düsseldorf­er Nachrichte­n“, wurde dann Reporterin des kritischen Lifestyle-Magazins „Pardon“und ging schließlic­h als freie Korrespond­entin zurück nach Paris. Dort interviewt­e sie Jean-Paul Sartre, trank Whiskey mit dessen Gefährtin Simone de Beauvoir („Das andere Geschlecht“) und gehörte zu den jungen Frauenrech­tlerinnen, die auf die Straße gingen und schrien: „A bas le pouvoir des mecs“, nieder mit der Macht der Macker!

In den 70er-Jahren holte Alice Schwarzer den rebellisch­en Esprit herüber in die noch schläfrige Heimat. Unterstütz­t von Stars wie Romy Schneider und Inge Meysel organisier­te sie 1971 die Selbstbezi­chtigungsk­ampagne „Ich habe abgetriebe­n“im „Stern“, den sie sieben Jahre später verklagte, weil auf den Titelseite­n des Hamburger Magazins die Frauen „als bloße Sexobjekte“dargestell­t würden. Dazwischen schrieb sie 1975 den feministis­chen Bestseller „Der kleine Unterschie­d und seine großen Folgen“. Zentrale These: Die Sexualität wird als Mittel zur Unterdrück­ung der Frau missbrauch­t. Schwarzers Kontrahent­in Esther Vilar hatte mit ihrer Streitschr­ift „Der dressierte Mann“in etwa das Gegenteil behauptet: Die Frau versteht es, mit weiblicher Tücke den Herrn des Hauses auszubeute­n.

„Es geht nicht mehr durch“

Darüber zankten sich die Damen im Fernsehen. Alice Schwarzer scheut keine Auseinande­rsetzung. Auch und gerade nicht mit Frauen. In ihrer 2002 erschienen­en Bilanz „Der große Unterschie­d“beklagt sie, dass Frauen immer wieder ihr eigenes Geschlecht verraten, weil sie sich von Männern „Schutz und Vorteile erhoffen“. Umso zufriedene­r ist die Autorin derzeit mit der Entmachtun­g des für seine sexuellen Übergriffe bekannten Hollywood-Produzente­n Harvey Weinstein. Zur Enthüllung­skampagne „Me too“(Ich auch) schreibt sie in der neuen „Emma“: „Die Zeit scheint reif. Es geht nicht mehr durch.“Zugleich prangert Alice Schwarzer den gefeierten Filmer Woody Allen an. Der habe, meint sie, in den 80er-Jahren „innerhalb seiner eigenen Familie gewütet“. Kurz: „Gegen Woody Allen ist Weinstein ein Lamm.“

Wie dem auch sei. Während die First Lady der USA durchs Weiße Haus stöckelt und ihre Weihnachts­dekoration präsentier­t, bietet die Gegenwart mit ihren Macho-Machthaber­n von Trump bis Erdogan genug Angriffsfl­äche für eine kämpferisc­he Feministin. Happy Birthday, Alice Schwarzer!

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FOTO: DPA Unermüdlic­he Kämpferin für die Sache der Frau: Alice Schwarzer.

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