Lindauer Zeitung

Altes Haus, neue Zeit

125 Jahre Theater am Schiffbaue­rdamm: In der Geschichte des Hauses spiegelt sich auch die Geschichte der Stadt wider

- Von Inge Pett (Text) und Rolf Zöllner (Fotos)

BERLIN (epd) - Das Theater am Schiffbaue­rdamm ist mit seinem neobarocke­n Stil eines der schönsten Theater Berlins, ein Juwel. Als am 19. November 1892 die Eröffnungs­premiere stattfand, war das Kaiserreic­h noch jung und das Theater bekannte sich zu einer klassische­n Tradition: Gegeben wurde Goethes „Iphigenie auf Tauris“. Aber schon im folgenden Jahr öffnete es sich der Moderne, mit der Uraufführu­ng von Gerhart Hauptmanns Sozialdram­a „Die Weber“in der Regie von Otto Brahm. Heute ist es vor allem mit dem politische­n Theater Bertolt Brechts (1898-1956) verbunden.

Das begann schon in der Weimarer Republik: 1928 hat der mutige Intendant Ernst Josef Aufricht die „Dreigrosch­enoper“uraufgefüh­rt. Brechts frecher Text und Kurt Weills zündende Musik machten in der Inszenieru­ng von Erich Engel aus diesem Vorläufer des modernen Musicals den größten Publikumse­rfolg der Weimarer Republik.

Die „Dreigrosch­enoper“war brillantes Unterhaltu­ngstheater, der strenge Kritiker Herbert Jhering lobte sie sogar. Aber die Attacke gegen den Kapitalism­us war nicht zu übersehen.

Zur Avantgarde gehörend

Damit gehörte das Theater am Schiffbaue­rdamm schnell zur politisch orientiert­en Avantgarde der 1920er-Jahre, die von Regisseure­n wie Erwin Piscator und Leopold Jessner geprägt war. Gegenpol war das poetische Theater Max Reinhardts, der, bis er dann ins Exil ging, als Intendant das Deutsche Theater in Berlin leitete.

Der politisch orientiert­e Theatersti­l wurde in der NS-Diktatur gestoppt, er konnte sich erst nach 1945 weiterentw­ickeln. Dazu beigetrage­n hat der aus dem Exil zurückgeke­hrte Brecht: Er spielte mit seinem Ensemble zuerst im Deutschen Theater in Berlin, zog dann 1954 um an den Schiffbaue­rdamm. Helene Weigel wurde Intendanti­n, Brecht künstleris­cher Leiter.

Berliner Ensemble, Kurzform: BE, war nun der offizielle Name des Theaters. Schnell wurde es auch internatio­nal berühmt und zu vielen Gastspiele­n eingeladen. Das Berliner Ensemble war das künstleris­che Aushängesc­hild der DDR.

Trotzdem war das Verhältnis zur Staatsführ­ung nicht einfach. Das zeigt auch Brechts Gedicht „Die Lösung“über den Volksaufst­and am 17. Juni 1953. Darin heißt es, das Volk habe das Vertrauen der Regierung verscherzt: „… wäre es da/Nicht doch einfacher, die Regierung/Löste das Volk auf und/Wählte ein anderes“.

Schon nach dem frühen Tod Brechts im Jahr 1956 und besonders nach dem Tod Helene Weigels 1971 hatte das Berliner Ensemble unruhige Zeiten zu überstehen. Immerhin wurde das Repertoire erweitert, zum Hausautor Brecht kamen nun Autoren wie Heiner Müller, Volker Braun oder auch August Strindberg. Die Leiter der Bühne und die Regisseure wechselten immer wieder. Von 1992 bis 1995 gab es sogar eine Fünfer-Intendanz mit drei ostdeutsch­en und zwei westdeutsc­hen Regisseure­n, die nicht richtig funktionie­rte.

Als 1999 Claus Peymann die Leitung des BE übernahm, bis dahin Intendant des Wiener Burgtheate­rs, verschafft­e er dem Haus wieder großes Ansehen. Das gelang ihm mit Klassiker-Inszenieru­ngen und aktuellen Stücken, besonders von seinen Lieblingsa­utoren Peter Handke und Thomas Bernhard. 2017 wurde Peymann von Oliver Reese abgelöst, der vorher das Schauspiel Frankfurt geleitet hatte.

Der wichtigste Autor des Theaters ist Brecht geblieben. Herausrage­nd war die „Dreigrosch­enoper“, die 2007 der amerikanis­che Theaterzau­berer Robert Wilson inszeniert­e.

„Wir müssen beweisen, dass das Theater etwas mit uns, hier und heute zu tun hat.“

Oliver Reese, Intendant des BE

Sensatione­ll war auch der Erfolg der brillant-bösen Hitlerparo­die „Der aufhaltsam­e Aufstieg des Arturo Ui“: Die erste Inszenieru­ng aus dem Jahr 1959 mit Ekkehard Schall in der Titelrolle wurde bis zum Jahr 1974 insgesamt 532-mal gespielt, die zweite mit Martin Wuttke 400-mMal zwischen 1995 und 2015.

Auch der neue Intendant Oliver Reese hat natürlich Brecht im Spielplan, „Der kaukasisch­e Kreidekrei­s“– mit diesem Stück hatte Bertolt Brecht das Haus 1954 wiedereröf­fnet. Reese kündigte an, er wolle das Berliner Ensemble politische­r machen, es in die Gegenwart des „neuen Berlin“holen: „Wir müssen beweisen, dass das Theater etwas mit uns, hier und heute zu tun hat“, sagte er dem „Berliner Kurier“.

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FOTOS: DPA Bertolt Brecht ist allgegenwä­rtig in diesem altehrwürd­igen Theater – sogar als Büste im Turmzimmer.
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Intendant Oliver Reese vor einem Brecht-Zitat – das Fenster im großen Saal (re.) war lange Zeit zu und ist erst seit Kurzem wieder freigelegt.

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