Lindauer Zeitung

Bis hinter den Mond und wieder zurück

Raumschiff Orion soll zum Mond fliegen – In Bremen leisten Ingenieure dafür Präzisions­arbeit

- Von Irena Güttel

BREMEN (dpa) - Auf dem Mond war die Menschheit schon. Dahinter aber noch nicht. Dorthin soll das Raumschiff Orion Ende 2019 starten. Gebaut wird es in den USA und in Bremen.

Im Inneren von Europas modernstem Raumschiff sieht es wüst aus. Kabelsträn­ge in vielen unterschie­dlichen Farben winden sich aus Wänden, dazwischen verlaufen unzählige Rohre und Leitungen. Auf drei Ebenen gleichzeit­ig arbeiten Monteure, um die vielen Tausend Einzelteil­e einzubauen. Wie sie dabei den Überblick behalten, erscheint Außenstehe­nden wie ein Wunder. In naher Zukunft soll das Raumschiff die Menschheit so weit ins All bringen wie noch nie. Da muss jede Schraube sitzen.

„Die Sicherheit der Astronaute­n steht an vorderster Stelle“, sagt Chefingeni­eur Matthias Gronowski. Er leitet beim Raumfahrtk­onzern Airbus in Bremen den Bau des Europäisch­en Servicemod­uls (ESM), das zusammen mit der Astronaute­nkapsel die künftige US-Raumfähre Orion bildet. Es erfüllt fünf Aufgaben zugleich – ist der Antrieb, reguliert die Temperatur im Inneren der Kapsel, sorgt für Strom, Wasser und die Luft zum Atmen. Voraussich­tlich Ende 2019 soll Orion nach den Plänen der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa zu einem ersten unbemannte­n Testflug ins All starten – und zwar zum Mond. Die Mission soll das Raumschiff bis zu 64 000 Kilometer hinter den Erdtrabant­en führen. „Dort war noch kein Mensch“, sagt Gronowski. Für die Ingenieure ist das eine besondere Herausford­erung, denn das Raumschiff wird in den Mondschatt­en fliegen, wo es extrem kalt ist.

Ein paar Meter von dem Servicemod­ul entfernt baumelt eine Box an einem schweren Haken. Eine Ingenieuri­n schneidet an einem Tisch Klebeband zurecht, zupft es mit der Pinzette vorsichtig ab und reicht es einer Technikeri­n. Diese befestigt damit Thermalfol­ie an der Box, die die sensible Elektronik im Inneren vor Hitze und Kälte schützen soll.

Noch am selben Tag wollen Monteure die Box im Mittelteil des Raumschiff­s einbauen. „Es ist etwas hektisch heute“, sagt Gronowksi. In ein paar Tagen wollen die Ingenieure einen Drucktest machen – also schauen, ob die Schweißnäh­te und Leitungen des Antriebssy­stems dicht halten. „Kurz vor Weihnachte­n wollen wir anfangen, dem ESM Leben einzuhauch­en.“Das heißt: Strom fließt, Datenverbi­ndungen stehen und die Sensoren können arbeiten.

2021 erstmals Astronaute­n an Bord

Im nächsten Jahr wird Airbus das fertige Servicemod­ul an die Nasa liefern. Ende 2019 soll Orion zum Mond fliegen und nach 21 Tagen zur Erde zurückkehr­en. Während das Servicemod­ul in der Erdatmosph­äre verglühen wird, soll die Astronaute­nkapsel gebremst von Fallschirm­en sicher auf dem Meer landen.

„Alles hängt von diesem Start ab. Damit können wir beweisen, dass Reisen ins tiefe All möglich sind“, sagt die Nasa-Direktorin Ellen Ochoa, als sie sich bei einem Besuch in Bremen über den Baufortsch­ritt informiert. Die Zusammenar­beit mit der europäisch­en Schwestero­rganisatio­n Esa, in deren Auftrag Airbus das Servicemod­ul für 390 Millionen Euro entwickelt und baut, sieht sie als einen ersten Schritt. Bemannte Missionen zum Mond oder Mars seien nur als internatio­nale Kooperatio­n möglich, betont sie.

Voraussich­tlich 2021 soll Orion erstmals Astronaute­n befördern. Zur Besatzung könnte die Nasa-Astronauti­n Nicole Mann gehören, die Ochoa nach Bremen begleitet hat. Mehr als 150 Ingenieure und Techniker arbeiten bei Airbus an dem Servicemod­ul. Viele von ihnen sind gekommen, um den beiden Frauen in einem großen Konferenzr­aum zuzuhören. In blauer Nasa-Jacke steht Mann vor ihnen und strahlt begeistert. „Wir können so weit von der Erde wegfliegen wie noch nie“, sagt sie und gibt zu, dass sie aufgeregt wäre: „Mein Herz wird klopfen. Aber ich weiß, dass Sie alles tun werden, damit wir sicher sind.“

Ein wenig Recycling

Doppelt hält besser – das ist beim Servicemod­ul die Devise. Alle wichtigen Systeme haben eine Absicherun­g, falls mal etwas ausfällt. Sollte zum Beispiel das Haupttrieb­werk im All nicht mehr funktionie­ren, können acht kleinere Triebwerke übernehmen. Auch wegen der Sicherheit haben sich die Ingenieure dafür entschiede­n, dass das Servicemod­ul am Ende seiner Mission verglühen soll. Das war schon beim inzwischen eingestell­ten europäisch­en Raumtransp­orter ATV so, auf dessen Technik das Servicemod­ul basiert.

„Die Erfahrunge­n vom US-Spaceshutt­le haben gezeigt, dass die Wiederverw­endung der Technik nicht ganz so sicher und vor allem nicht wirtschaft­lich ist“, sagt Airbus-Chefingeni­eur Gronowski. Nach dem Flug ins All müsste das komplette Raumschiff auseinande­rgebaut, jede Komponente getestet, defekte Teile ausgetausc­ht und dann alles wieder zusammenge­setzt werden.

Ein bisschen Recycling und ein Stück Raumfahrtg­eschichte werden beim ersten Orion-Flug aber dabei sein: Das Haupttrieb­werk stammt von einem ehemaligen Spaceshutt­le. Noch steht es in Folie verpackt in der Bremer Werkshalle. Fest steht aber jetzt schon: Sein erster Einsatz in einem Orion-Raumschiff wird auch der letzte sein.

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FOTO: DPA Ingenieure arbeiten bei Airbus in Bremen am Servicemod­ul für das US-Raumschiff Orion. Dieses soll Ende 2019 ins All fliegen. Das Servicemod­ul ist der Antrieb der Raumkapsel, es reguliert die Temperatur in ihrem Inneren und sorgt für Strom, Wasser und...

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