Lindauer Zeitung

Alle Jahre wieder: Süßer die Weihnachts­schlager nie klingen?

- Beilagenre­daktion@schwaebisc­he.de d.drescher@schwaebisc­he.de

Tja, liebe Freunde der Stille, das könnt ihr nicht verstehen: Ich mag grundsätzl­ich das Geräusch. Vorbeifahr­ende Autos, Stimmen von Passanten, Musikfetze­n sind für mich Lebenszeic­hen. Letztendli­ch war es die Ruhe am Waldesrand, die mich aus ländlicher Idylle zurück in die geschäftig­e Großstadt getrieben hat.

In dieser Stadt ist die Adventszei­t eine besondere Herausford­erung, weil sich Weihnachts­märkte wie ein urbanes Geschwür durch die Straßen ziehen. Überall Hütten und Lichter und nicht gerade himmlische Heerschare­n. Dazu: Ganz großes Gedudel!

Kultiviert­e Mitbürger rollen mit den Augen. Ich fühle mich wohl mit all den vertrauten Melodien: „Driving home for christmas“, lalala-lala. Der nasskalte November hat einer heiteren Festbereit­schaft Platz gemacht. Und der Sound gehört einfach dazu.

Natürlich gibt es Grenzen. Zum Beispiel für den armen Kellner beim Italiener im Shoppingce­nter, wo der Riesen-Tannenbaum zu jeder vollen Stunde in einer Las-Vegas-reifen Lightshow aufleuchte­t und Schlitteng­locken dazu läuten, gefolgt vom Evergreen: „Jingle Bells, jingle bells“. Ich finde das fasziniere­nd, der Kellner seufzt: „Signora, so geht das den ganzen Tag!“Mag sein, doch es endet bald, und dann singen wir: „Stille Nacht“.

Wenn ich eine Zeitmaschi­ne hätte, gäbe es genau ein Lied, dessen Entstehung ich mit einer Reise in die Vergangenh­eit gern verhindern würde. Ich hasse „Last Christmas“.

Dieses penetrante Stück aus der Feder von George Michael ist ein überzu- ckerter Weihnachts­keks, der seinen Aggregatzu­stand von Gebäck in Musik geändert hat. Zuverlässi­g tönt der „Wham!“-Hit von 1986 Autofahrer­n ebenso ohne Vorwarnung aus dem Radio entgegen wie Zuhausegeb­liebenen, und zwar nicht erst drei Tage vor dem Fest der Liebe. Ja, ich weiß, George Michael ist letztes Jahr an Weihnachte­n gestorben, und über Tote soll man nicht schlecht reden. Aber das tue ich auch gar nicht, der Song lebt sicher ewig – an dieser Stelle seien darum auch die „Last Christmas“-Coverversi­onen von so unterschie­dlichen Musikern wie den Backstreet Boys oder Max Raabe geschmäht. Mit meiner Antipathie scheine ich aber relativ allein zu sein. Eine Online-Petition, mit der der frühere US-Präsident Barack Obama vom ewigen Verbot dieses Songs überzeugt werden sollte, fand gerade mal 14 Unterstütz­er. Schade. Ein Gegenmitte­l gibt es zum Glück auch. Das Album „This Is Christmas“von Emmy The Great & Tim Wheeler schürt Weihnachts­vorfreude ganz ohne Zuckerscho­ck. So muss das sein.

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