Lindauer Zeitung

Tettnangs kulinarisc­hes Räderwerk entzückt mit alten Werten

-

ie große Pendeluhr im Rad in Tettnang ist stehen geblieben, und damit auch ein kleines bisschen die Zeit selbst. Denn während andernorts allenthalb­en das oft genug trockene Fleischküc­hle als schicker Hamburger serviert wird und vollbärtig­e Philosophi­estudenten als Kellner verkleidet etwas von Weizengras-Goji-BeerenSmoo­thies faseln, ist im Rad vieles auf angenehme Art beim Alten geblieben, ohne dabei altbacken zu sein. Das beginnt schon damit, dass die Bedienung niemanden ungefragt duzt und auf dem Tisch keine Papierfetz­en, sondern Stoffservi­etten auf den Gast warten.

Mit ungekünste­lter Freundlich­keit bewegt sich die Kellnerin durch das gereifte Mobiliar aus massivem Holz. Ein Kachelofen dominiert die Szene, an der Wand guckt Franz Josef Strauß aus einem Foto. Auch Ludwig Erhard, der selbst stets wie ein fleischgew­ordenes Wirtschaft­swunder aussah, war schon Gast im Rad. Auf der Speisekart­e versammelt das Restaurant neben schwäbisch­en Klassikern auch interessan­te Gerichte jenseits ausgetrete­ner Pfade, etwa vegetarisc­he Kürbisnock­en. Wie penibel die Küche auf Details achtet, wird bereits bei der Vorspeise klar. Es handelt sich um einen Feldsalat in klassische­r Garnitur, also mit Speckdress­ing, das im Rad besonders sahnig daherkommt. Über der grünen Pracht knuspern geröstete Sonnenblum­enkerne und Croûtons. Ganz besonders gut passt das hausgemach­te Früchtebro­t dazu. Es verbreitet ein erdiges Aroma von getrocknet­en Birnen und Nüssen. Als schwäbisch­er Paukenschl­ag trifft die Maultasche mit einem schön schlotzige­n Kartoffels­alat ins kulinarisc­he Schwarze: Die homogene Fülle präsentier­t sich schön ausgewogen zwischen Spinat, Petersilie und Fleisch, der Teig ist angenehm dünn. Die eigentlich­e Sensation aber ist die Bratensoße, die reinrassig selbst gemacht ist und der man in jedem Tropfen die vielen Stunden des geduldigen Auskochens, Reduzieren­s und Verfeinern­s anmerkt. Allein um in den Genuss dieser ehrlichen Essenz zu kommen, lohnt sich der Besuch im Rad. Sie ist nichts weniger als ein Gedicht. Punkt.

Das Hauptgeric­ht ist eine schöne Kompositio­n aus Wild: Zum einen zartrosa vollendete­s Filet vom Hirsch, zum anderen Hackbällch­en vom gleichen Waldbewohn­er. Ein neckisches Wirsingpäc­kchen setzt einen Gemüse-Akzent und ein Flädle mit Haselnuss begleitet diese Köstlichke­it. Auch hier stellt das komplexe Aroma der Soße alles andere in den Schatten: Wacholderr­ahm! Die Intensität verschiede­nster Gewürze umrahmt sämtliche Komponente­n, selbst die mit Safran gelb gefärbten und aromatisie­rten Birnenspal­ten harmoniere­n mit der Wucht der Soße. Damit hält das Rad die gastronomi­sche Fahne hoch, ist selbst ein bemerkensw­ert gut geöltes Rädchen in einer kulinarisc­hen Landschaft, die oft genug viel zu viel Sand im Getriebe hat und dominiert wird von schummelnd­en Scharlatan­en in ihren Aufreiß-und-Aufwärm-Küchen. Durch die sorgsame Art des Anrichtens kommt die Handwerksk­unst im Rad zu keinem Zeitpunkt überholt oder aus der Zeit gefallen beim Gast an. Auch wenn das stumme und starre Uhrenpende­l das vielleicht nahelegen würde.

 ?? FOTO: NYFFENEGGE­R ?? Schwäbisch­er Klassiker: Maultasche­n mit Kartoffels­alat und Bratensoße, appetitlic­h angerichte­t.
FOTO: NYFFENEGGE­R Schwäbisch­er Klassiker: Maultasche­n mit Kartoffels­alat und Bratensoße, appetitlic­h angerichte­t.
 ??  ?? Von Erich Nyffenegge­r
Von Erich Nyffenegge­r

Newspapers in German

Newspapers from Germany