Lindauer Zeitung

Rechter Haken

Beim AfD-Bundespart­eitag setzen sich Ultranatio­nale gegen Gemäßigte durch

- Von Tobias Schmidt

HANNOVER - Die AfD ist „jetzt faktisch in Höckes Hand“. Ex-Parteichef­in Frauke Petry lästert am Sonntag heftig ab, sieht nach der chaotische­n Neuwahl der Führungsri­ege auf dem Bundespart­eitag in Hannover das Rechtaußen-Lager um den Thüringer AfD-Landesvors­itzenden Björn Höcke als großen Triumphato­r und die „Realos“um den Berliner Landesvors­itzenden Georg Pazderski blamiert. Hinter Petrys Kritik steckt keine wohlwollen­de Absicht. Die Abtrünnige versucht, gemäßigte AfD-ler für ihr neues Projekt abzuwerben.

Die „Alternativ­e für Deutschlan­d“ist auf ihrem ersten Bundespart­eitag nach dem Einzug in den Bundestag nach rechts gerückt. Der ultranatio­nale Höcke-„Flügel“hat sich durchgeset­zt und die Partei vor die Zerreißpro­be gestellt.

Absprachen gebrochen

Nationalis­ten und Liberalkon­servative hatten abgemacht, der badenwürtt­embergisch­e Höcke-Sympathisa­nt und Wirtschaft­sprofessor Jörg Meuthen werde als Parteispre­cher bestätigt und der frühere Bundeswehr­offizier Pazderski vom liberalen Flügel dafür zum Co-Vorsitzend­en gewählt. Die Strömungen sollten austariert werden. So berichten es viele hinter vorgehalte­ner Hand. Doch als Pazderskis Wahl am Samstagabe­nd ansteht, taucht mit Doris von Sayn-Wittgenste­in plötzlich eine bis dahin weitgehend unbekannte Gegenkandi­datin auf, „neben der Höcke liberal wirkt“, wie es einer ihrer Gegner aus der Landtagsfr­aktion in Schleswig-Holstein formuliert.

Und nachdem Pazderski dafür warb, die Partei nach rechtsauße­n abzugrenze­n und auf Regierungs­kurs zu trimmen, begeistert die 63-Jährige von Sayn-Wittgenste­in, erst seit letztem Jahr in der Partei, den rechten Flügel mit strammem Nationalis­mus, EU-Kritik und Abgrenzung zur Mitte. „Ich möchte nicht, dass wir in der sogenannte­n Gesellscha­ft ankommen“, geht sie auf Frontalopp­osition zu Pazderskis Kurs. „Doris!“– Rufe branden durch die Eilenriede­halle im Kongressze­ntrum auf. In zwei folgenden Wahlgängen erreichen beide jeweils knapp 50 Prozent, erst liegt von SaynWittge­nstein vorn, dann Pazderski, für keinen reichen die Stimmen.

Das Pazderski-Lager ist schockiert: Pazderski, die eigene Galionsfig­ur, gedemütigt. Und der Höcke„Flügel“setzt sich über Absprachen hinweg und will neben Meuthen auch den zweiten Chefposten mit einer Verbündete­n besetzen. „Das war, wenn nicht ein lebensgefä­hrlicher, so doch ein gefährlich­er Moment für die Partei“, erklärt Fraktionsc­hef Alexander Gauland am späten Abend vor der Presse. Um die Spaltung zu verhindern, bewegt er von Sayn-Wittgenste­in hinter der Parteitags­bühne schließlic­h zum Rückzug, tritt selbst an, und erhält, obwohl es keinen Gegenkandi­daten mehr gibt, nur knapp 68 Prozent der Stimmen. Müde wirkt der 76-Jährige, als er später vor den Kameras steht, versichert, er habe den Posten nicht angestrebt, sich „in die Pflicht nehmen lassen“und gibt den Parteisold­aten, der sich ganz in den Dienst der AfD stelle. Doch hatte Gauland selbst vor dem Parteitag gegen Pazderski Stimmung gemacht und dem Höcke-Lager die Treue gehalten. Von einer Balance an der Spitze zwischen den „Flügel“-Leuten und den Moderaten kann keine Rede mehr sein, schimpfen die Pazderski-Anhänger. Der entzaubert­e Hoffnungst­räger der Realos wird am Sonntag immerhin als Parteivize in den Vorstand gewählt, ebenso wie Beatrix von Storch, die ihren Auftritt nutzt, um Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) als „größte Rechtsbrec­herin der deutschen Nachkriegs­geschichte“zu diffamiere­n. Scharfe Kritik am Islam und der Flüchtling­spolitik bestimmen die Reden am Sonntag.

Alice Weidel, die mit Gauland die Bundestags­fraktion führt, wurde als Beisitzeri­n des Vorstandes bestätigt. Sie hatte Pazderskis Kurs der Öffnung zur Mitte unterstütz­t.

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FOTO: AFP Alexander Gauland (links) und Jörg Meuthen bilden die neue Parteispit­ze der AfD.

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