Mario Stiebler dirigiert von Disneysongs bis Operette
63 Musiker der Musikkapelle Unterreitnau demonstrieren ihre musikalische Bandbreite
LINDAU - Mit einem bunt gemischten Adventskranz hat die Musikkapelle Unterreitnau musikalisch am Abend vor dem ersten Advent die Vorweihnachtszeit und damit die „ruhige Zeit“eingeläutet. Dirigent Mario Stiebler stellte dazu ein Programm zusammen, mit dem seine Kapelle die ganze musikalische Bandbreite demonstrieren konnte.
So unspektakulär Stiebler seit nunmehr 18 Jahren die Unterreitnauer dirigiert, mit seinen sparsamen Bewegungen und Anweisungen hat er die 63 Musiker im Griff. Man mag es kaum glauben, dass dieses große Blasorchester aus dem kleinen Lindauer Ortsteil nur vier Gastmusiker für diesen Abend verpflichtet hat, so groß ist die Musikkapelle mittlerweile. Dass eine ganze Reihe von Musikern nicht in Unterreitnau leben, sondern nur gerne hier mitspielen, zeugt von der soliden Arbeit und einem guten Miteinander abseits des Notenpults.
Schon mit dem Eröffnungsstück, dem Konzertmarsch Arsenal von Jan van der Roost, lässt die Kapelle aufhorchen, was die dynamische Bandbreite betrifft. Wie ein einziger Klangkörper folgen die Musiker von lauten Momenten in leise Passagen.
Mit der „Pique Dame“-Ouvertüre aus der Feder des als Vater der Wiener Operette bekannten Komponisten Franz von Suppé schlug Mario Stiebler eine andere musikalische Seite seiner Kapelle auf. Er mag keine musikalischen Themenabende, er liebt die Abwechslung, mal schmissig, dann wieder höchst anspruchsvoll, mal fast romantisch, dann wieder rockig. Diese Abwechslung hat er im Adventsprogramm sehr gut eingebracht. So gehört „Pique Dame“eindeutig zu den anspruchsvollen Stücken des Abends, das für Blasorchester umgearbeitet worden war. Auch hier war von Nervosität oder Überforderung im Orchester nichts zu spüren, bis auf wenige Ausnahmen stimmt auch da die Intonation. Diese Ausnahmen beschränkten sich während des Abends auf einige einfach klingende, aber höchst heikle Solopassagen. Mario Stiebler gibt diese gerne jungen Musikern, denn diese sollen ja auch Erfahrungen sammeln und lernen, ihre Angst vor dem Betreten der Bühne in den Instrumentenkoffer zu schließen, denn eigentlich können sie ihre Partien. Und das Publikum ist wohlgesonnen, selbst die vom Vorsitzenden Stefan Grimmer humorig als „Jury wie bei Deutschland sucht den Superstar“begrüßten Kollegen von anderen Musikvereinen freuen sich auf den Musikabend.
Gletscher schmelzen
Klanglich ebenfalls anspruchsvoll schlossen sich die schmelzenden Riesen an die Ouvertüre an, ein Werk, das den Klimawandel und damit das Abschmelzen der Gletscher und des Polareises musikalisch umsetzt. Entsprechend wenig optimistisch die Klänge, die sich aus den tiefen Registern nach oben aufbauen und immer weiterfließend das schmelzende Eis darstellen. Wenngleich Andrea Müller, die wieder mit Informationen zu den Stücken unterhielt, meinte, mit dem schnelleren Mittelteil sei ein Hundeschlittenrennen vertont, man könnte es auch als hektisch herabplätschernde Schmelzwasserbäche interpretieren, was dann die Flöten abbremsen und in einen choralartigen Schlusschoral lenken, der den Abgesang auf die schmelzenden Riesen bedeuten kann, oder ein versöhnliches Ende darstellen soll. Nichtdestotrotz, richtig versöhnlich und routiniert vorgetragen begleitete der „Kaiserin Sissi Marsch“von Timo Dellweg das wieder frohgestimmte Publikum in die Pause.
Wieder anspruchsvoll anschließend „Beauty and the Beast“, Musik zum Walt-Disney-Film und dem Musical, das 1994 die Broadway-Bühnen eroberte. Hier glänzten wieder etliche Musiker mit Solopassagen, jetzt hatten sie ihre Nervosität in der Pause hinter der Bühne liegen lassen.
Der junge Schlagzeuger Pascal Platen hatte seinen Auftritt am Xylofon bei der Erinnerung an Zirkus Renz, mit dem er das Publikum begeisterte.
Die gesamte Schlagzeugertruppe bildete dann auch das Rückgrat beim Deep-Purple-Medley, mit dem die Unterreitnauer Kapelle zeigte, dass sie nicht nur Märsche und Musical beherrscht, sondern sich auch durchaus in der Rockmusik wohlfühlt. Vom Rock zu Calypso-Rhythmen ist es nicht weit, von Unterreitnau aus sowieso nicht, obwohl das Konzert traditionell in der Festhalle in Oberreitnau stattfand. „Mary’s Boy Child“– Marias kleiner Junge, ist die im Calypso vertonte Weihnachtsgeschichte von Harry Belafonte, die später von Boney M. noch einmal aufgegriffen und jetzt von den Unterreitnauern interpretiert wurde. Ausgehend von Bassklarinette und Klarinetten baut sich ein sich ständig wiederholendes Motiv auf, das nach und nach von allen übernommen und weiterentwickelt wird, aber immer wieder zu den beiden Stimmen zurückkehrt und entsprechend einen wenig spektakulären, aber absolut überzeugenden Schlusspunkt unters Programm setzt, was folgerichtig zu Zugaben führte. Mit dem opulenten Hit „Music“von John Miles aus den 1970er-Jahren rockte die Unterreitnauer Musikkapelle noch einmal richtig ab und lud mit dem „Marsch Salemonia“ihr Publikum ein, noch etwas in der Halle zu bleiben und mit den Musikern zu feiern. Dabei dankte der Vorsitzende Stefan Grimminger schon mal vorab Karl Schober und der Stadt dafür, dass ab kommendem Jahr eigene Bühnenpodeste die Bühne der Oberreitnauer Halle erweitern können, um die immer weiter wachsende Kapelle aufnehmen zu können. Seit Jahren sind da die Unterreitnauer auf Leihgaben aus Hergensweiler angewiesen.