Mit „Charme“das Publikum bezirzt
Brasilianisches Tanzensemble „Balé Teatro Guaira“zu Gast in Lindau
LINDAU - Es war getanzte Avantgarde, was das brasilianische Ensemble im Stadttheater geboten hat. Im Rahmen eines Kooperationsabkommens zur Förderung des künstlerischen Austausches erarbeiteten die aus Deutschland stammenden Choreografen Christoph Winkler, Katja Wachter und Roberto Scafati mit den brasilianischen Tänzern das Projekt „Balé Teatro Guaira tanzt Wachter – Winkler – Scafati“, mit dem die Tanz-Kompanie jetzt auf Europatournee unterwegs ist.
In den drei Choreografien verschmolz zeitgenössischer Tanzstil mit politischer Aussage, innerer künstlerisches Diskurs wurde mit akrobatisch-exakter Tanztechnik dargestellt. Zwischenmenschliche Beziehungen, Nähe und Distanz zeigten die fantastischen Tänzer anmutig und grazil, mit einem Augenzwinkern und leidenschaftlicher Lebensfreude. Höhepunkt des Ballettabends und vom Publikum lautstark gefeiert war die Choreografie „Charme“des mehrfachen Wettbewerbspreisträgers Roberto Scafati. Im Takt der Uhr, im aufsteigenden Bühnennebel zeigte das Ensemble gemeinsam oder paarweise spielerisch und grandios die Kraft der gegenseitigen Anziehung und Abstoßung – ein Tanz der Elektronen und Positronen um den magnetischen Kern. Keck und verführerisch umwarb sie ihn, er sie, er ihn und sie sie; mal erfolgreich, mal allein zurückgelassen. Als alles durchdringendes Element wurde Charme plastisch, greifbar, begreifbar als ein Konglomerat bezaubernder Eigenschaften und unwiderstehlicher Verhaltensweisen.
Lechzen nach Anerkennung
In „I share“von Katja Wachter wurde das Bedürfnis, ständig im Netz Kontakt zu haben, entlarvt. Das überaus wichtige „liken“und „disliken“ führt zu anonymen Freundschaften, hinter der die eigentliche Person roboterhaft verschwindet. Mit stereotypen Bewegungen symbolisierten die Tänzer das Lechzen nach Anerkennung, an deren Ende Konformität steht. „Ich teile, also bin ich“entpuppte sich als Illusion gefühlter Gemeinsamkeit, tänzerisch faszinierend umgesetzt. Die sich verändernde Beziehung zwischen Choreograf und Ensemble schließlich thematisierte Christoph Winkler mit „Lost my Choreographer on the Way to the Dressing Room“. In dieser überaus kräftezehrenden Darbietung dominierten stakkatohafte, vereinzelte Bewegungen, die die Suche nach einem möglichen Kollektiv beinhaltete. Wenn auch schwerer zugänglich als die anderen Stücke, schätzte das Publikum die Leistung und bedankte sich mit großem Applaus beim „Balé Teatro Guaira“für den außergewöhnlichen Tanzabend.