Die SPD hadert und hofft
Diskussionen im Lichte anstehender Gespräche über Regierungsbildung
BERLIN - Die SPD wird gebraucht. „Und das ist kein schlechtes Gefühl“, sagt SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles am frühen Freitagmorgen. Schon am nächsten Mittwoch sollen in Berlin die ersten Gespräche mit der Union stattfinden. Doch viele der Delegierten mahnen, dass die SPD die Erneuerung dabei nicht aus den Augen verlieren darf. Sie sind nach wie vor kampfeslustig, gleich ob es um Europa oder Hartz-IV geht, sie hadern mit ihrem Spitzenpersonal, das bei Wahlen abgestraft wird wie der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz und der Berliner Regierungschef Michael Müller. Sie wollen rote Linien für mögliche Koalitionen einziehen, vom Familiennachzug bis zur Bürgerversicherung.
Die SPD will sich erneuern. Auf Augenhöhe mit den Menschen reden, regionaler werden, sich mehr kümmern. „Wir haben den Anschluss an ganz normale Leute verloren“, sagt die baden-württembergische Landesvorsitzende Leni Breymaier schon am ersten Tag des Parteitags und zeigt in den Saal des City Cube. „Da vorne sitzt der Wolfgang Thierse, der lässt sich irgendwo die Haare schneiden. Und die Gesine Schwan, die lässt sich irgendwo die Schuhe besohlen. Für diese Leute sind wir da. Dafür bin ich in die Politik gegangen“, sagt Breymeier. Sie plädiert für einen Linksrutsch ihrer Partei: „In der Mitte ist es eng geworden. Wenn die SPD glaubwürdig werden will, dann müssen wir Politik links der Mitte machen.“
Doch Breymeier wird zunächst einmal nicht in den Vorstand gewählt, 14 Stimmen fehlen zum Erfolg im ersten Wahlgang. Haben sich die Nordrhein-Westfalen für Angriffe aus Baden-Württemberg auf ihre Kohlepolitik oder die Niedersachsen für Kritik am neuen Generalsekretär Klingbeil revanchiert? Man weiß es nicht. Im zweiten Wahlgang klappt es dann: Breymaier erhält sogar 463 Stimmen von 590 Stimmen. Breymaier ist froh, dass sie künftig ihre „Leidenschaftsthemen“wie Arbeit, Rente und Chancengleichheit in den Vorstand einbringen kann.
Außer Breymaier wurde auch die frühere Landeschefin Ute Vogt erneut in den Vorstand gewählt, während die Parteilinke Hilde Mattheis den Einzug verpasste.
Mehr Beteiligung, auch digital
Lars Klingbeil ist der neue Mann aus Niedersachsen, der neben Parteichef Schulz als Generalsekretär die Erneuerung der Partei vorantreiben soll. Er berichtet, dass er im Wahlkampf viel zu oft gehört habe, dass es den Leuten schwer falle, der SPD zu vertrauen. Er will die Partei ansprechbarer machen, er will mehr Beteiligung durch die digitalen Möglichkeiten und er will mehr Diskussionen. „Nur eine starke Partei traut sich zu diskutieren.“Die SPD müsse wieder Visionen entwickeln, zum Beispiel für die Digitalisierung.
Hier fordert auch Fraktionschefin Andrea Nahles, ehemalige Arbeitsministerin, dass man „dem digitalen Kapitalismus die Regeln der sozialen Marktwirtschaft aufdrücken muss und nicht andersherum“.
Die Themen Arbeit, Rente und Europa stehen auch am zweiten Tag im Mittelpunkt des SPD-Parteitags. Martin Schulz schließt an sein flammendes Plädoyer für Europa vom Vortag an. Alle Diskussionen in Berlin werden begleitet vom Bewusstsein, dass man in der nächsten Woche in Gespräche mit der Union gehen wird. Leni Breymaier meint, es werde nicht leicht, zumal man mit einer geschwächten Angela Merkel verhandeln müsse. Ihre eigene Partei sieht sie nach dem Parteitag dagegen gestärkt. „Die SPD geht auf jeden Fall klar in die Verhandlungen“, sagt sie.