Weiße Arena wird grün
Die Skiregion Flims/Laax/Falera hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben
Niemand will ernsthaft behaupten, dass der Skisport unserer Umwelt sonderlich zuträglich ist. Man denke allein an die Zigtausende Skifahrer, die jetzt wieder jedes Wochenende Richtung Alpen aufbrechen, die Straßen verstopfen und die Luft verpesten. Allerdings hat in manchen Skigebieten ein Umdenken eingesetzt, nachdem nachgewiesen wurde, dass in den letzten 100 Jahren die Temperatur im Alpenraum doppelt so stark gestiegen ist wie im globalen Mittel. Der Klimawandel lässt die Schneedecke immer dünner und die Skisaison immer kürzer werden. Doch kaum einer will auf das große Geschäft verzichten. Ökologie und Ökonomie wieder einmal im Wettstreit also? Das muss nicht zwangsläufig so sein, wie das Beispiel Laax zeigt.
In einem der größten Skigebiete der Schweiz wurde 2010 das Projekt „Greenstyle“ins Leben gerufen mit dem Ziel, nachhaltig zu handeln und zum ersten selbstversorgenden Skigebiet der Welt zu werden. Heute, sieben Jahre später, ist Letzteres bereits erreicht. Die Weiße Arena – ein Zusammenschluss unter anderem aus den Bergbahnen in Flims, Laax und Falera, Skischulen, fünf Hotels und 22 Gastronomiebetrieben – generiert mittlerweile ihren gesamten Strom aus Wasser- und Sonnenenergie dank lokaler Kraftwerke und Photovoltaik-Anlagen auf dem Berg und an den Liftstationen. Demnächst soll ein Windpark auf dem Gletscher gebaut werden, um zusätzlich Strom zu liefern. Die Kasse stimmt außerdem. Denn trotz alternativer Quellen gilt: Energie einzusparen, genießt oberste Priorität. Allein in der Wintersaison 2016/17 wurden unter anderem dank eines ausgeklügelten Beschneiungssystems ähnlich dem in Carezza (siehe Kasten) vier Gigawattstunden Strom weniger verbraucht, anders ausgedrückt etwa 500 000 Schweizer Franken (umgerechnet 430 000 Euro) eingespart. Das entspricht dem durchschnittlichen Verbrauch von 1000 Familienhaushalten. Bis 2030 sollen es sogar 7,6 Gigawattstunden sein.
Der positive Ruf der Nachhaltigkeit lockt nicht nur umweltbewusste Urlauber nach Laax, sondern wird auch weit über die Grenzen Graubündens hinaus vernommen. Es gibt bereits Nachahmer. Und Anerkennung: 2016 erhielt Laax den europäischen Solarpreis, 2017 folgte die Auszeichnung für die zum Unternehmen gehörende Unterkunft Rocksresort als „World’s Best Green Ski Hotel“.
Von den 224 Pistenkilometern der Weißen Arena liegen die meisten über 2000 Metern Höhe, damit ist die bekannte Freestyle-Destination eines der schneesichersten Gebiete der Alpen. Doch selbst hier gilt: Ohne Kunstschnee können keine bestens präparierten, schneeweißen Pisten mehr garantiert werden. Und fanden vor 20 Jahren auf dem Vorabgletscher noch regelmäßig Snowboard-Sommercamps statt, ist das heute unmöglich. Der Gletscher ist massiv zurückgegangen. „Fast nicht mehr vorhanden. Es musste etwas passieren“, sagt Reto Fry, Umweltbeauftragter der Weißen Arena. Der gelernte Metallbauer hat seinen Posten vor sieben Jahren angetreten und behauptet heute stolz: „Wir haben schon viel erreicht. Vor allem auch, weil sich Naturschutz und Ökonomie nicht im Wege stehen. Viele Investitionen haben sich zwischenzeitlich amortisiert.“Aber er gesteht auch: „Das ist der härteste Job, den ich je hatte. Und es war ein langer Prozess, bis ich verstanden habe, wieso das alles Sinn macht.“
Wer in Laax die Skier anschnallt, muss schon genau hinschauen, um Greenstyle zu entdecken. Das beginnt in der Tiefgarage der Gondelbahn zum Crap Sogn Gion, dessen an ein Raumschiff erinnerndes Gipfelrestaurant mit Hostel derzeit unter energetischen Gesichtspunkten zum „GaLAAXy“umgebaut wird. Gleich mehrere Parkplatzreihen sind für EAutos reserviert, die dort (noch umsonst) tanken können, während ihre Insassen einen Skitag in der Weißen Arena genießen. Auf dem Weg zur Gondel und überall im Skigebiet stehen Abfalleimer, die der Mülltrennung dienen, plätschert frisches Bergquellwasser aus Trinkbrunnen, an denen mitgebrachte Flaschen aufgefüllt werden können. Die Wände der neuen Skistationen sind mit Solarpaneelen verkleidet, innerhalb der Weißen Arena großflächige Wildruhezonen ausgewiesen. In den trendigen Läden im Tal werden modische Taschen verkauft, hergestellt aus ehemaligen Werbeplanen, die einst zum Beispiel den Funpark umrahmten. Und in Bergrestaurants und Hotels werden wenn möglich saisonale Produkte aus der Region angeboten und verspeist – unter dem Licht von energiesparenden LEDLampen. Große Fensterflächen wurden im Sinne des Vogelschutzes beklebt. Kleines Detail am Rande: Strohhalme aus Kunststoff sind in vielen Laaxer Lokalitäten tabu.
Schlaues Schneemanagement
Das sind nur einige der offensichtlichen Maßnahmen zur Nachhaltigkeit. Das viel größere Rad in puncto Umweltschutz wird hinter den Kulissen gedreht. Das fängt bei einem ausgeklügelten Schneemanagement an, das darauf abzielt, möglichst wenig Flächen dauerhaft beschneien zu müssen und die Pistenraupen dank neuester Technik effizient einzusetzen. „Die Schneekanonen sind dabei das kleinere Problem“, erklärt Fry. „Den Strom dafür produzieren wir selbst und Wasser haben wir zur Genüge“. Die Speicherbecken auf dem Berg fangen das Regenwasser auf, das spätestens bei der Schneeschmelze wieder dem natürlichen Kreislauf zugeführt wird. Und aus den künstlichen Seen sollen in absehbarer Zeit naturnahe, touristisch attraktive Sommerziele werden. Viel mehr Kopfzerbrechen bereiten Fry die Pistenfahrzeuge, die immer noch mit Diesel betrieben werden. „Dazu gibt es im Moment leider keine Alternative“, erklärt der Umweltbeauftragte. Auch die Busse, Zubringershuttles und Taxen unten im Tal fahren meist mit Diesel. „Obwohl es längst Elektrobusse gibt“, räumt Fry ein. Doch die Verkehrsbetriebe gehören nun mal nicht zum Unternehmen Weiße Arena und sind somit auch nicht an Frys Konzept zur Nachhaltigkeit gebunden. Dafür aber wurden und werden die meisten eigenen Gebäude als Niedrigenergiehäuser erstellt oder entsprechend renoviert und entweder mit Holzpellets oder durch Wärmerückgewinnung beheizt. So will man Heizöl einsparen.
Frys Powerpoint-Präsentation zu Greenstyle umfasst unzählige Folien zu den einzelnen Maßnahmen und schließt mit dem Versprechen, bis 2023 den Müll um 50 Prozent zu reduzieren und bis 2030 Emissionen weitgehendst zu vermeiden, den gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren und lokalen Energien abzudecken und die negativen Einflüsse des Wintersportresorts auf die Umwelt auszugleichen. Fry ist zuversichtlich, diese Ziele zu erreichen. „Die Lösungen sind alle da. Wir müssen es nur wollen“, betont er. Bewusst ist ihm allerdings auch, dass es wenig Auswirkung auf das Weltklima hat, wenn nur Laax ein grünes Gewissen entwickelt.