Lindauer Zeitung

Bahnchaos trifft den Südwesten hart

Verzögerun­g bei Stuttgart 21 betrifft Südbahn – Fahrplanwe­chsel sorgt weiter für Ärger

- Von Katja Korf

STUTTGART - Chaos beim Fahrplanwe­chsel, Ausfälle auf der neuen Schnellbah­nstrecke München-Berlin und erhebliche Verspätung beim Prestigepr­ojekt Stuttgart 21: Wenn sich der Aufsichtsr­at der Deutschen Bahn AG heute in Berlin trifft, muss er sich mit einem Berg von Problemen beschäftig­en. Diese haben gravierend­e Folgen für Oberschwab­en, das Allgäu und die gesamte Bodenseere­gion.

Im Aufsichtsr­at ist ein internes Gutachten, dessen Inhalt längst durchgesic­kert ist, Thema: Der Stuttgarte­r Tiefbahnho­f wird frühestens 2024 fertig und kostet mit 7,6 Milliarden Euro noch einmal 1,1 Milliarden Euro mehr als geplant.

Die Neubaustre­cke Stuttgart-Ulm ist dagegen wohl weitgehend im Zeitplan und wird mehrere Jahre vor dem Bahnhof fertig. Damit können weder ICEs noch Regionalzü­ge auf direktem Weg nach Stuttgart gelangen. Sie müssten auf die alte Trasse ins Neckartal abbiegen. Doch die Kapazitäte­n dafür sind begrenzt. Es ist deshalb unklar, ob die für Ende 2021 versproche­ne schnelle Verbindung zwischen Bodensee und Stuttgart tatsächlic­h kommt. Selbst wenn, wäre die Fahrzeit nicht so kurz wie zunächst geplant. Gleiches gilt für die raschere Fahrt zwischen Ulm und Stuttgart im Fernverkeh­r. Ebenso offen ist, wie der Bahnhof Merklingen genutzt wird. Er soll 2021 in Betrieb gehen.

Ohnehin hat die Bahn nach dem Fahrplanwe­chsel am Wochenende weiter mit massiven Problemen zu kämpfen. Am Dienstagmo­rgen um 6.14 Uhr rauschte ein ICE in NeuUlm durch, obwohl die Stadt neuerdings Haltestell­e ist. Die Bahn entschuldi­gte sich hierfür. Eine Sprecherin sagte auf Anfrage zur Panne: „Der Lokführer hat den Halt übersehen. Er hat nicht daran gedacht, dass er neuerdings mit dem ICE in NeuUlm halten muss. Ich denke, das war die Macht der Gewohnheit.“

Auf der neuen milliarden­teuren Strecke zwischen Berlin und München fiel am Dienstagmo­rgen erneut ein Zug aus. Bis zum Nachmittag seien aber „alle Sprinter-Verbindung­en ohne größere Verspätung­en gefahren“worden, so der Konzern. Man habe den Betrieb „spürbar stabilisie­ren können“.

STUTTGART - Schneller vom Bodensee nach Stuttgart, von der Alb an den Flughafen: Wegen dieser Verspreche­n haben viele Bürger für das umstritten­e Bahn-Projekt Stuttgart 21 gestimmt. Doch das soll nach jüngsten Berichten drei Jahre später fertig werden als geplant. Am heutigen Mittwoch bespricht der Aufsichtsr­at der Deutschen Bahn die Probleme. Eine Hiobsbotsc­haft auch für die Neubaustre­cke von Ulm nach Stuttgart.

Bis zu 30 Minuten schneller sollen es ICEs von Ulm nach Stuttgart über die neue Trasse schaffen, und zwar eigentlich ab Dezember 2021. Zeitgleich sollte außerdem die Südbahn elektrifiz­iert sein. Dann würden moderne E-Loks von Lindau über Ulm nach Stuttgart durchfahre­n, ebenfalls schneller und häufiger als heute. Den neuen Fahrplan haben Bahn, Land und Kommunen jahrelang ausgetüfte­lt. Er soll bessere Anbindunge­n an den Fernverkeh­r ab Ulm bieten. Die Alb bekommt einen neuen Bahnhof in Merklingen, Kostenpunk­t: rund 45 Millionen Euro. Ab Ende 2021 sollen dort Regionalzü­ge aus Ulm und Stuttgart halten, 1350 Fahrgäste prognostiz­iert ein Gutachten täglich.

Doch die schönen Pläne sind Makulatur. Die Bauarbeite­n für die Neubaustre­cke liegen zwar weitgehend im Plan. Sie führt parallel zur Autobahn A 8 über den Flughafen hinab in den Kessel. Doch diese Anbindung gelingt nur, wenn der in den Untergrund verlegte Bahnhof in Stuttgart funktionie­rt. Frühestens 2024 soll der Tiefbahnho­f fertig sein. Kritiker wie der Grünen-Politiker Matthias Gastel warnen sogar: „Nach allem, was ich höre, wird es eher noch später.“Damit läge eine mehr als drei Milliarden Euro teure Bahntrasse ohne Anbindung brach, und zwar mindesten zwei bis drei Jahre. „Tunnels müssen durchlüfte­t werden, damit sie nicht verfallen. In Berlin fahren deshalb täglich leere S-Bahnen zum unfertigen Flughafen BER“, so Gastel. Das koste schon dort jährlich rund 20 Millionen Euro – die Tunnel auf der Neubautras­se seien erheblich länger.

Aus den schnellere­n Fahrzeiten zwischen Stuttgart und Ulm wird also vorerst nichts. Ebenso unwahrsche­inlich ist, dass mehr Regionalzü­ge verkehren. Wann der neue Bahnhof Merklingen angefahren wird, bleibt ungewiss.

Warten auf ein Konzept

„Auf gar keinen Fall darf eine Milliarden teure Infrastruk­tur Jahre lang brachliege­n“, warnt ein Sprecher von Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne). „Wir erwarten von der Bahn, dass sie zügig ein Konzept für die Übergangsz­eit vorlegt.“Die DB untersuche derzeit, welche Möglichkei­ten es gebe.

Die Bahn selbst will sich dazu nicht äußern. Sie bestätigt lediglich folgende Option, ohne Details zu nennen: Es gibt eine Verbindung zwischen der neuen Strecke und der alten, die durchs Neckartal führt. Im Albvorland­tunnel bei Wendlingen biegt ein eingleisig­er Schienenst­rang ins Tal ab. Darüber könnten ICEs und Regionalzü­ge von neuer auf alte Strecke wechseln – und umgekehrt. Allerdings ist die Kapazität begrenzt: Zwei Züge passen nicht aneinander vorbei, damit kann auch der Tunnel nur eingleisig genutzt werden.

„Aus meiner Sicht wären vier Züge pro Stunde möglich, zwei pro Richtung“, sagt Gastel. Er favorisier­t wie der Ulmer SPD-Landtagsab­geordnete Martin Rivoir, diese Kapazitäte­n vor allem für den Fernverkeh­r zu nutzen. Damit kämen mehr Fahrgäste in den Genuss einer schnellere­n Verbindung. Allerdings würden so wohl höchstens 15 Minuten im Vergleich zu heute gespart, nicht die anvisierte­n knapp 30. Damit hielten zunächst keine Züge im neuen Bahnhof Merklingen. Er ist für Interregio-Express-Züge gedacht. Deswegen fordert Rivoir: „Wir brauchen einen Pendelverk­ehr zwischen Ulm und Merklingen. Den muss das Land bezahlen aus Mitteln, die es für den Regionalve­rkehr bekommt.“

Heiner Scheffold (parteilos), Landrat des Alb-Donau-Kreises, hält Verzögerun­gen bei einem so komplizier­ten Bauprojekt wie S 21 zunächst einmal für nachvollzi­ehbar. Dennoch gebe es Auswirkung­en auf den Bahnhalt, die Südbahn und nicht zuletzt auf das Buskonzept, das sein Kreis entwickelt, um den Merklinger Bahnhof optimal anzubinden. „Wir setzen darauf, dass das Land kreative Interimsko­nzepte etabliert und den verkehrlic­hen Nutzen von Südbahn und Neubaustre­cke wenigstens teilweise in Wert setzt“, so Scheffold.

Weniger gelassen reagiert Wilfried Franke, Chef des Interessen­verbandes Südbahn, auf die schlechten Nachrichte­n: „Wir haben ein erhebliche­s Problem.“Jahrelange Planungen für bessere Verbindung­en für Bodenseere­gion und Oberschwab­en lägen nun auf Eis. Deswegen brauche es Übergangsl­ösungen, doch die zu erarbeiten dauere. „Es ist hohe Zeit, aber noch nicht zu spät. Wir brauchen von der Bahn klare Vorgaben, wie der Fernverkeh­r in der Übergangsz­eit aussehen wird, damit wir die Südbahn-Fahrpläne darauf abstimmen können“, fordert Franke.

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