Lindauer Zeitung

Plötzlich mitten im syrischen Krieg

Schüsse und Explosione­n: Das Stadttheat­er Lindau holt den syrischen Krieg auf die Bühne

- Von Kristina Staab

LINDAU - Auf der Bühne des Lindauer Stadttheat­ers fallen Bomben, unter den Brettern sind Tretminen versteckt. Soldaten schreien und drohen Hilflosen mit ihren Maschineng­ewehren: Der Krieg in Syrien ist im englischsp­rachigen Stück „My sister Syria“ganz nah und erschrecke­nd real.

„Wir sind keine Politiker. Das ist ein Thriller. Wir sind Schauspiel­er und Künstler“, tönt eine Ansage durch das dunkle Theater. Wie ein Warnhinwei­s vor einem Film ab sechzehn klingt das. Im Raum ist es mucksmäusc­henstill – Schüler ab der sechsten Klassenstu­fe warten gespannt, was auf sie zukommt.

Die Britin Rachel (gespielt von Siobhan Gerrard) arbeitet für eine Hilfsogani­sation in London. Dort baut sie Netzwerke auf, um Syrern bei der Flucht zu helfen. Sie setzt sich für andere ein – selbst wenn sie das in Gefahr bringt. Ihre Hilfsberei­tschaft führt dazu, dass sie der Geheimdien­st als Spionin nach Syrien schickt.

Dort soll sie einen General zurückhole­n, der die prowestlic­he Opposition in Syrien verteidigt, nun aber von Islamisten immer stärker verdrängt wird. General Fatima vertraut dem westlichen Militär nicht, sie verlangt nach Rachel: Die will zuerst nicht, will aber unbedingt ihrer syrischen Freundin Razan helfen. Rebellen haben nämlich die Menschenre­chtsanwält­in entführt und halten sie gefangen. Unter der Voraussetz­ung, dass der Geheimdien­st dabei hilft, Razan zu befreien, willigt Rachel schließlic­h ein, nach Syrien zu gehen.

Rachel wird permanent fremdbesti­mmt

Doch Rachel wird nun, entgegen ihren Gewohnheit­en, permanent fremdbesti­mmt. Auf ihren Einwand hin, dass sie kein Arabisch spreche, antwortet Geheimagen­t James (Gareth Radcliffe) schlicht: „Gut, dann musst du unseren Befehlen folgen.“

Los geht die abenteuerl­iche Reise: Ein Agent verpasst Rachel einen russischen Ausweis und ein Kopftuch. Dann muss sie ins Flugzeug in die Türkei steigen und sich von dort aus in einem Lastwagen auf den Weg nach Damaskus machen. Schon kracht und donnert es auf der Bühne: Fliegerbom­ben fallen, der Lastwagen ist zerstört. Rachel überlebt, sie ist aber auf der Straße vollkommen schutzlos. Zum Glück nimmt sie eine syrische Familie gastfreund­lich auf. Rachel erlebt in der Familie, was dieser Krieg für die Menschen bedeutet. Die Mutter bedauert, dass sie sich und ihre Familie nicht vor dem Krieg getötet hat. Die Schauspiel­erin Lana Miller spielt eindrucksv­oll die Rolle der wütenden und verstörten Tochter. Sie sticht immer wieder mit einem Messer in einen imaginären Feind und schreit laut einen Namen: „Assad, Assad, Assad!“

„Krass...“, murmeln Schüler im Publikum und drehen sich erschreckt zu ihren Sitznachba­rn um. Während dessen muss sich Rachel schon wieder auf den Weg machen. James hat ihr einen syrischen Fahrer organisier­t. Safid (alias Ali Nakeeb) soll die Spionin auf ihrer Mission begleiten. Auf einer Party entdeckt Rachel das unerwartet moderne Leben in der Kriegsregi­on. Sie trifft wenig später aber auf Kinder, die weder Schulbildu­ng, Eltern noch eine gewisse Zukunft haben. „Bald wird das ein Land voller Idioten sein“, sagt Safid zynisch.

Außerdem besucht Rachel Journalist­en, die verzweifel­t versuchen, im Internet über alle Kriegsopfe­r und Angriffe zu berichten. Dabei sind sie ständig in Lebensgefa­hr. Sie raten Rachel zu gehen, da sie hier nicht helfen könne.

Suche nach Razan führt Rachel tief in den Krieg

Rachel entscheide­t trotzdem die Soldatin General Fatima (gespielt von Lana Miller) zu finden. Licht- und Schattensp­iele, Flugzeuglä­rm und Explosione­n erhöhen die Spannung. Sie lassen die Zuschauer frösteln oder staunen, versetzen sie mitten in den syrischen Krieg.

Die Gefahren auf der Bühne nehmen weiter zu: Rebellen bedrohen Rachel und Safid mit Maschineng­ewehren, Bomben fallen um sie herum und ein Minenfeld blockiert ihre Reise.

Das Publikum zittert mit, als Rachel und Safid vorsichtig Fuß um Fuß aufsetzen, um die Minen zu meiden und einige Zuschauer zucken zusammen als Safid plötzlich fällt. Den Schockeffe­kt haben Ali Nakeeb und Siobhan Gerrard durch ihr großartige­s Schauspiel erreicht: Sie haben die Ängste vor einer explodiere­nden Mine real werden lassen.

Das Theaterstü­ck von Paul Stebbings hält viele solche erschrecke­nde, aber auch schöne oder gar lustige Überraschu­ngen bereit. Durch eine unerwartet­e Wendung bleibt der Plot bis zum Ende spannend. Abschließe­nd erzählt das Stück hautnah von der gefährlich­en Reise, die Fatimas Sohn Hasan (alias Lama Amine) nach Deutschlan­d bringt. Die Schüler waren bis zum letzten Moment aufmerksam und gespannt. Beim Applaus war dann die Erleichter­ung greifbar.

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FOTO: KST Die Britin Rachel (links, gespielt von Siobhan Gerard) trifft auf Journalist­en in Syrien. Sie erlebt deren aussichtsl­osen Kampf, über alle Angriffe, Verwundete­n, Getöteten und Vermissten zu berichten.

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