„Das Aufwachen am Tag danach war toll“
Fernsehpfarrer Heiko Bräuning aus Wilhelmsdorf setzte sich ein fiktives Sterbedatum
WILHELMSDORF - Heiko Bräuning aus Wilhelmsdorf, bekannt als Fernsehpfarrer im TV-Gottesdienst „Stunde des Höchsten“, hat sich selbst ein fiktives Sterbedatum gesetzt und vier Jahre darauf zu gelebt. Bis zum Sommer war Heiko Bräuning Schulseelsorger am Aulendorfer Schulzentrum gewesen, dann ist er aus dem sicheren Beamtendienst der evangelischen Landeskirche ausgestiegen. Darüber, welche Rolle dabei sein „Deadline-Experiment“gespielt hat, hat Paulina Stumm mit dem Pfarrer a.D. gesprochen. Heiko Bräuning ist 48 Jahre alt lebt mit Frau und vier Kindern in Wilhelmsdorf.
Man könnte es für etwas pietätlos halten, sich ein fiktives Sterbedatum zu geben, der Tod ist für viele Menschen doch eine ernste und traurige Angelegenheit. Wie hat Ihr Umfeld auf das Experiment reagiert?
Als ich erstmals in einer Fernsehpredigt darüber gesprochen habe, war eine Rückmeldung: Das darfst du nicht, denk doch an die Familien und Kinder, denen der Vater tatsächlich plötzlich verstirbt. Mich hat das aber eher bestärkt. Ich wollte so leben, dass ich Zeit habe für das Wesentliche. Und natürlich ist das Fußballspiel mit dem Kind wichtiger als die Arbeit. Diese wiederkehrenden Entscheidungen zwischen einer Arbeitsaufgabe oder der Familie sind mir in Anbetracht meiner ’ablaufenden Zeit’ leichter gefallen. Es gibt übrigens ein altes Gemälde mit dem Titel „Der Totentanz“. Dort fordert der Tod – als Skelett mit weißem Leichentuch – verschiedene Menschen zum Tanz auf. Das ist keine Darstellung des Sterbens, sondern es erinnert an die Sterblichkeit. Das „Deadline-Experiment“gab es also schon vor 800 Jahren.
Ihr fiktives Sterbedatum war der 16. April 2016. Wie ist das Leben danach?
Das Aufwachen am Tag danach war toll: Plötzlich war da keine Lebenszeit mehr, die verrinnt, sondern geschenkte Zeit. Mit dem Gefühl der Dankbarkeit kam das Glück in mein Leben zurück. Mehr als ein Jahr danach kann ich sagen: Die Lebenseinstellung, glücklich sein zu wollen und dankbar zu sein, das ist geblieben.
Haben Sie mit Ihren Schülern über das Experiment gesprochen?
Ja, und das war Religionsunterricht, an dem sich alle beteiligt haben. Die Lehrplaneinheit Tod interessiert sonst niemanden, aber unter der Frage, was wäre, wenn man nur noch drei Jahre zu leben hätte, wird die begrenzte Lebenszeit greifbar. Dann lassen sich Fragen, wie: „Wohin soll meine Lebensreise samt Berufswahl führen?“, thematisieren. Die eigene Sterblichkeit betrifft jeden, auch wenn es manchmal erschreckt.
Welche Rolle hat Ihr „Deadline-Experiment“bei der Entscheidung gespielt, nicht länger verbeamteter Schulseelsorger sein zu wollen?
Eine sehr große. Wenn Sie sich noch vier Jahre Zeit zu leben geben, stellt sich die Frage: Was ist wichtig? Ich habe von Anfang an gemerkt, dass mich der Job unglaublich viel Kraft kostet und mir für andere Dinge in meinem Leben dann Kraftressourcen fehlen. Irgendwann habe ich mich gefragt, ob ich das weiter durchziehen will. Das Jahr 2017 habe ich dann schon ohne die Schulseelsorge geplant. Ich wollte loslassen, was mich überfordert und unglücklich macht. Viele trauen sich nicht, eine Veränderung herbeizuführen und kündigen innerlich, so wollte ich nicht enden.
Welche Erfahrungen nehmen Sie aus der Schulseelsorge in Aulendorf mit?
Dass Religionsunterricht zum schwierigsten Unterricht gehört. Die Schüler werden gezwungen, sich über Religion Gedanken zu machen. Es ist schwer, sie dafür abzuholen. Wenn man Religion vermitteln will, ist viel Beziehungsarbeit nötig. Das war in den paar Stunden, die ich an der Schule war, nicht möglich.
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Die „Zago“-Abendgottesdienste der Zieglerschen habe ich gemeinsam mit der Thomaskirchengemeinde auch für 2018 jeden Monat geplant. Ich bleibe mit 70 Prozent als Pfarrer bei den Zieglerschen angestellt und bin dort vor allem für den Fernsehgottesdienst „Stunde des Höchsten“zuständig. Ich bin zwar aus dem Beamtendienst der Kirche ausgestiegen, durfte aber die Ordinatsrechte und den Pfarrertitel behalten. Die restlichen 30 Prozent meiner Arbeitszeit bin ich selbstständig unterwegs, etwa für Vorträge und Lesungen.
Was ist Ihr Tipp für ein glückliches Leben?
Man sollte Entscheidungen nicht auf die lange Bank schieben. Glücklich bin ich, wenn ich Entscheidungen treffe. Wenn dein Beruf dich unglücklich macht, triff eine Entscheidung und verändere etwas. Ich bin dazu etwas egoistischer geworden und treffe meine Entscheidungen unabhängiger von den Erwartungen anderer und äußerer Zwänge.