Lindauer Zeitung

Auch ohne Haushaltsg­esetz bleibt Deutschlan­d handlungsf­ähig

Bundestags­abgeordnet­er Martin Gerster beruhigt: Angst vor einem Chaos ist unbegründe­t

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Kurz vor Weihnachte­n häufen sich die Anfragen beim SPDHaushal­tsexperten Martin Gerster. Immer mehr Vereine und Hilfswerke, Kommunen, Bürgermeis­ter und Personalrä­te, die Zuschüsse vom Bund bekommen, wollen eines wissen: Erhalten sie das Geld auch im Januar, läuft alles weiter wie bisher?

Der Biberacher Abgeordnet­e Martin Gerster kann die Fragenden beruhigen. Nach jeder Bundestags­wahl gab es Koalitions­verhandlun­gen und es hat immer bis Frühjahr gedauert, bis der Haushalt beschlosse­n war. „Das ist auch diesmal so, es könnte aber zwei Monate länger dauern.“

Doch Martin Gerster weiß: Aus Fragezeich­en werden Sorgen, aus Sorgen Panik und die Angst, dass nichts mehr funktionie­re. Doch diese Angst sei unbegründe­t. Es gibt eine geschäftsf­ührende Regierung und die kann Gesetzentw­ürfe erarbeiten und Verwaltung­sverordnun­gen erlassen. Theoretisc­h kann sie sogar einen neuen Bundeshaus­halt in den Bundestag einbringen. Allerdings hat sie im Bundestag keine Koalition mehr hinter sich. Doch Verhältnis­se wie in den USA, wo der Haushaltsn­otstand ausbricht und dann Angestellt­e auf der Straße sitzen, können in Deutschlan­d nicht eintreten. Das Grundgeset­z schreibt vor, dass alle rechtliche­n Verpflicht­ungen erfüllt werden müssen. Auch bereits 2017 bestellte, aber erst 2018 gelieferte Fahrzeuge und Ausrüstung dürfen bezahlt werden. Es muss auch kein Baustopp oder ähnliches verhängt werden. Und auch alle sonst üblichen Beschaffun­gen dürfen wenigsten bis zu 45 Prozent getätigt werden. Mit Genehmigun­g des Finanzmini­steriums auch darüber hinaus.

Was aber ist mit neuen Ideen und Reformen, die Geld kosten? Theoretisc­h könnte der Bundestag auch solche Beschlüsse fassen. Das geschieht ja auch, siehe Auslandsei­nsätze der Bundeswehr. Aber im Großen und Ganzen ist der Bundestag natürlich zurückhalt­end mit neuen Verpflicht­ungen, um einer kommenden Regierung nicht vorzugreif­en.

Die Abgeordnet­en freuen sich aber, wenn statt des jetzt amtierende­n Hauptaussc­husses, der über alle Themen berät, im Januar ganz normal wieder die Fachaussch­üsse gewählt werden. Spannend ist natürlich, wer dann Vorsitzend­er im Haushaltsa­usschuss wird. Der Vorsitz steht traditione­ll der größten Opposition­spartei zu – das wäre derzeit die SPD. Die Abgeordnet­e Bettina Hagedorn steht hier schon bereit.

In der Zeit bis zur neuen Regierung könnte es allenfalls Schwierigk­eiten bei der Bewilligun­g neuer Vorhaben, wie z.B. das 2017 noch von schwarz-rot geplante „Prävention­sprogramm Islamistis­cher Extremismu­s“geben. Auch was zum Beispiel die Beschaffun­g von 2300 Bodycams für die Bundespoli­zei angeht, muss Martin Gerster erst noch einmal nachfragen. Doch es sei beschlosse­n, dass die Bodycams eingesetzt werden, „das wird auch kommen“, so Gerster.

In den allermeist­en Fällen aber kann Entwarnung gegeben werden, so Gerster. Über „nötige Ausgaben“darf ohnehin entschiede­n werden. Deshalb schreiben die Haushälter jetzt einen Brief an alle Kollegen, in dem sie all das schildern. Damit diese Caritas und Diakonie, Technische­s Hilfswerk und weitere Organisati­onen beruhigen können, dass zwar noch keine Regierung da ist, die Finanzen aber bis dahin sicher bleiben.

Keine Gesetze, keine Bürokratie

Für die neue Regierung haben schon viele Organisati­onen und Behörden ihre Wunschzett­el vorgelegt. Auf Martin Gersters haushaltsp­olitischem Wunschzett­el steht die Solidarren­te, die Entlastung unterer und mittlerer Einkommen und mehr Geld für die Pflege.

Neben den Ängsten gibt es allerdings auch die umgekehrte Blickricht­ung. Manche in der Wirtschaft freuen sich, wenn keine neuen Gesetze erlassen werden: Das sei in der Regel billiger, weil keine neue Bürokratie kommt. Fast triumphier­end wird von manchen Wirtschaft­svertreter­n berichtet, dass die belgische Wirtschaft gerade in den 589 Tagen ohne Regierung besonders stark wuchs.

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FOTO: PRIVAT Martin Gerster kümmert sich für die SPD um haushaltsp­olitische Fragen.

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