Ein Porträtfoto wie vor 170 Jahren
Markus Drischl fotografiert in Lindau mit der uralten Kollodiumfotografie
LINDAU - Ein Porträtfoto wie vor bald 170 Jahren, wer will denn in Zeiten der Digitalfotografie so etwas. Und vor allem: Wer macht denn überhaupt so etwas noch oder wieder? Wer tut sich das an, minutenlang Licht und die zu porträtierende Person einzustellen und anschließend erst einmal in der Dunkelkammer zu verschwinden, um eine Aluminiumplatte herzurichten, auf der schlussendlich das Foto erscheinen wird?
Das klingt alles wie aus dem Museum oder einer Abhandlung über die Entstehung der Fotografie, da passt es auch hin. Und doch, es gibt auch heute noch eine kleine weltweit vernetzte Community, die sich dieser Art von Fotografie verschworen hat, die sich Kollodium-Nassplattenfotografie nennt.
Einer von vielleicht 50 in Deutschland aktiven ist Markus Drischel in Lindau. Der ehemalige Werbefotograf bei BMW hatte irgendwann die Nase voll von der immer beliebiger werdenden Digitalfotografie und stieg aus. Die Liebe führte den gebürtigen Weißenburger nach Lindau, wo er begann, sich den Anfängen der Fotografie zuzuwenden als Kontrapunkt zur digitalen Massenknipserei.
Wer aber ist die andere Seite der Kamera, wer will sich denn so altertümlich fotografieren lassen? Nun, das Spektrum ist breit gefächert. Zwei Beispiele aus der Porträtaktion, die Drischel am vergangenen Sonntag im Café gleichen Namens, das er vor Jahren eröffnete, startete und am dritten Adventssonntag noch einmal durchführt:
Da wäre zunächst der Lehrer, der in Lindau unterrichtet und dafür aus Bad Waldsee herfährt. Also zum Unterrichten. Der passionierte Hobbyfotograf und Sammler alter SchwarzWeiß-Fotos erfährt durch Zufall von der Aktion und meldet sich sofort. Denn ein Unikat von Foto, noch dazu mit dem eigenen Konterfei, zu besitzen, das reizt.
Die Tiefenschärfe reicht nicht für das ganze Gesicht
Für das Foto hat er sich ein kleingemustertes Jackett mitgebracht und eine blaue Schirmmütze, die farblich vielleicht nicht ideal zur Jacke in Brauntönen passen mag, aber es geht hier um ein Schwarzweißfoto. Das Licht rund um den Hocker des Modells ist grell, trotzdem wird es gut fünf Sekunden stillhalten müssen, denn die Empfindlichkeit in der Kollodiumfotografie liegt bei ISO 1. Das schafft keine Digitalkamera. Auch die Tiefenschärfe wird nicht reichen, das Gesicht von der Nasenspitze bis zu den Ohren scharf abzubilden, dazu reichen die fünf Zentimeter nicht. Aber das macht ja auch den Reiz aus.
Da Hubertus Kirchner das erste Mal Collodium erlebt, geht er mit in die Dunkelkammer und lernt das Verfahren kennen. Drischel lässt zunächst die Kollodiumlösung über die 13 mal 18 Zentimeter messende Aluminiumplatte laufen und fängt die ablaufende Flüssigkeit wieder auf. Die Platte kommt nun in eine Silbernitratlösung, in der sie einige Minuten baden darf, bis sich die Iodsalze in Silberiodid und Silberbromid umgewandelt haben. Dies alles geschieht bei Rotlicht, denn für Rot ist die Kollodiumschicht blind. Während dieses Prozesses geht sich ein Espresso für Kirchner aus, bevor die Platte in der lichtdichten Kassette verschlossen ist und in der Kamera darauf wartet, belichtet zu werden. Also schnell auf den Hocker gesetzt, Haltung einnehmen und den Kopf an die hinten stehende Kopfstütze lehnen, letzte Kontrolle wegen des Lichtes und eventueller Reflexionen in der Brille kontrolliert, dann heißt es: „Jetzt so bleiben!“Drischel nimmt die Kappe vom Objektiv und beginnt zu zählen: „einundzwanzig, zweiundzwanzig“und so weiter, bis die fünf Sekunden verstrichen sind. Dies alles muss relativ zügig vonstattengehen, denn die Aluplatte darf nicht trocken werden.
Wieder geht es zurück in die Dunkelkammer, die Platte kommt aus der Kassette und wird mit einer Mischung von Eisensulfat und zitronensaurer Silberlösung übergossen. Und das Mysterium beginnt, das die gesamte analoge Fotografierkunst auszeichnet. Denn auf der Platte beginnt sich das Abbild Kirchners abzuzeichnen, wenn auch als Negativ. Das heißt, dunkle Partien erscheinen hell und umgekehrt. Zurück geht es ins Café, das zum Teil als Studio dient. Hier wartet das Fixierbad. In dieses wird das Porträt nun getaucht, und durch die Glasplatte kann man genau verfolgen, wie das Negativ ins Positiv umschlägt. Abschließend wird der gesamte Prozess noch gestoppt und später über Nacht in Firnis getaucht. Sonst verhielte sich das Foto wie Silberbesteck: Es würde anlaufen, da es ein reines Silberbild ist.
Hubertus Kirchner verfolgt den gesamten Prozess staunend, aber auch glücklich. Denn er ist mit seinem Foto sehr zufrieden.
Ein alter Hase ist hingegen Rob Carroll. In San Francisco geboren, lebt er seit zweieinhalb Jahren mit
Markus Drischl fordert die zu Porträtierenden auf, sich fünf Sekunden lang nicht zu bewegen und zählt laut:
seiner New Yorker Frau und mittlerweile dem ersten Kind hier in Lindau und steht bereits zum vierten Mal vor der antiken Kamera. „Ich dachte, es sei besser für Kinder hier in Deutschland“, erzählt er lachend. Und die politische Entwicklung in den Staaten gebe ihm recht, bekräftigt er. Der ITFachmann hat mittlerweile bei der Telekommunikation Lindau Arbeit gefunden und strahlt sein Glück in die Kamera.
Durch die Isle of Music sei er auf das Lokal hier gestoßen und habe von der Collodiumfotografie erfahren, erzählt er. Er hat sich extra fürs Foto den Bart wachsen lassen, eine gewisse Ähnlichkeit zu mittelalterlichen Christusabbildungen lassen sich nicht leugnen. Auch Rob ist glücklich über sein Foto und freut sich schon jetzt auf seine nächste Fotosession mit Markus Drischel und dessen Nassplatten, dann wieder mit seiner Frau. Das Kind wird wohl noch zu unruhig sein für die fünf Sekunden Ruhe im grellen Licht.
„Jetzt so bleiben!“ „Einundzwanzig, zweiundzwanzig ...“