Brandstifter muss doch in Psychiatrie
Kemptener Landgericht ordnet Unterbringung des Mannes an.
LINDAU/KEMPTEN - Der Brandstifter vom Berliner Platz muss nun doch in ein psychiatrisches Krankenhaus. Das Kemptener Landgericht hat im Revisionsverfahren am Freitagabend die Unterbringung des 56Jährigen angeordnet. Anwalt Moritz David Schmitt kündigte im Gespräch mit der LZ bereits einen Antrag auf Revision an. Damit würde der Fall zum zweiten Mal vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe landen.
Der Grat, auf dem sich Richter, Staatsanwaltschaft und Gutachter bewegten, war extrem schmal. Zwar ist mittlerweile unstrittig, dass der Angeklagte, wegen dem es vor eineinhalb Jahren in der Rickenbacher Straße beinahe zu einer Gasexplosion gekommen wäre, psychisch krank ist. Laut einer Gutachterin vom Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren leidet er an Größen-, Verfolgungs- und Vergiftungswahn. Das Gericht sollte nun klären, ob ihn diese Krankheit zu einer Gefahr für die Allgemeinheit macht – und er weggesperrt werden muss.
„Nein“, hatte eine Kammer des Kemptener Landgerichts vor etwa einem Jahr entschieden. Die Richter befanden den 56-Jährigen damals ob seiner Krankheit zwar für schuldunfähig, die Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus hielten sie aber nicht für nötig. Gegen dieses Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, der Fall landete vor dem Bundesgerichtshof. Die Bundesrichter wiesen ihn ans Kemptener Landgericht zurück.
Entgegen des ersten Urteils war sich die Kammer um den Vorsitzenden Richter Elmar Lechner nach zwei Verhandlungstagen sicher: Es ist möglich und sogar wahrscheinlich, dass der Angeklagte sich und andere erneut in Gefahr bringt. Dafür müsse er nur in eine ausweglose Situation kommen. „Ob eine Situation ausweglos ist, bestimmt nur er“, sagte Lechner in der Urteilsbegründung.
Ausweglos ist für den Angeklagten die Situation an einem heißen Julitag 2015 gewesen: Nachdem er in Österreich ein Konzept für vertikale Windräder vorgestellt hatte, fühlte er sich von der, wie er sie nennt, „Organisation“verfolgt. Er suchte zunächst Schutz bei der österreichischen Polizei, die ihn daraufhin an die Grenze zu Lindau brachte. Doch auch dort schickten ihn die Polizeibeamten wieder weg.
In die Enge getrieben stieg der Angeklagte in einen Bus und fuhr zum Berliner Platz – wo er sich in einer Sackgasse befand: Hinter ihm die „Organisation“, vor ihm ein Mehrfamilienhaus. Er flüchtete sich in den Keller. Sicher fühlt er sich dort allerdings nicht, er glaubte, die „Organisation“warte in einem Auto vor dem Haus auf ihn. Schließlich sieht er keinen anderen Ausweg, als Feuerwehr und Polizei auf sich aufmerksam zu machen: Er legt Feuer.
Die beiden Anwälte des Angeklagten wollten das Gericht davon überzeugen, dass die Reaktion ihres Mandanten an diesem Julitag eine Ausnahme war. Aufgrund der Hitze
„Ob eine Situation ausweglos ist, bestimmt nur er.“Richter Elmar Lechner über die Unberechenbarkeit des Angeklagten.
sei ihr Mandant dehydriert und verwirrt gewesen, versuchte Olga Sommer das Gericht glauben zu machen.
Allerdings konnte die Gutachterin plausibel darlegen, dass das Verhalten des Angeklagten nichts mit der Hitze zu tun hatte. Vielmehr war der Julitag in Lindau offenbar bezeichnend für die Wahnstruktur des Angeklagten gewesen, die aus verschiedenen Stufen bestehe: Den Anfang macht der Größenwahn. Der 56-Jährige glaubt immer wieder, bahnbrechende Erfindungen zu machen. Mal sind das vertikale Windräder, ein anderes Mal ist es ein Konzept für Indoor-Windsurfanlagen. Die „Organisation“, so glaubt er, will seine Ideen stehlen. Ihre Mitglieder verfolgen ihn und versuchen, ihn zu vergiften.
Neben allem Wahnhaften habe der Angeklagte aber auch eine strukturierte Seite. „Die wahnhafte Störung betrifft nur bestimmte Bereiche. Je nach Stresslevel kommt sie zum Vorschein“, sagte die Gutachterin aus. Sie sei außerdem sicher, dass der 56-Jährige nicht schizophren sei. Denn all seine Wahnvorstellungen beruhten auf echten Situationen, Halluzinationen habe er nicht. „Aus medizinischer Sicht liegt die Notwendigkeit einer Unterbringung nicht vor“, sagte sie. Allerdings könne keiner vorhersehen, was der Angeklagte macht, wenn er sich wieder in einer Pattsituation wie in Lindau befindet.
Anwalt fährt erneut Verzögerungstaktik
Während Anwältin Olga Sommer sich auf die Dehydrierung ihres Mandanten versteifte, fuhr Anwalt Moritz David Schmitt dieselbe Taktik, wie schon im ersten Verfahren: Er stellte einen Beweisantrag nach dem anderen. Richter Elmar Lechner versuchte, die Antragsflut gelassen zu nehmen: Er bat Schmitt lediglich, die Anträge zu bündeln – und leserlich zu schreiben. Stoisch lehnte die Kammer alle Anträge ab, lediglich die beantragte Raucherpause gestanden sie dem Angeklagten zu.
Sie habe nie das Gefühl gehabt, dass ihr Mandant gefährlich sei, sagte Anwältin Olga Sommer in ihrem Schlussplädoyer. „Man kann nicht jeden, der einmal eine Straftat begangen hat, einsperren. Ein Stück weit muss die Gesellschaft das aushalten.“Ihr Kollege Schmitt ergänzte: „Im vergangenen Jahr sind in Leipzig auch nicht stündlich Hochhäuser in die Luft geflogen.“
Der Angeklagte selbst schien den ganzen Wirbel um seinen Fall nicht richtig nachvollziehen zu können. „Ich frage mich die ganze Zeit, ob die Revision gerechtfertigt war“, sagte er am Ende der Verhandlung. „Mein Wunsch ist, dass ich einfach gehen kann.“
Richter Lechner betonte in seiner Urteilsbegründung noch einmal, wie schwierig der Fall sei. „Denn der Beschuldigte versucht, seine Situationen rechtskonform zu lösen.“Das vergangene Jahr hatte der Angeklagte mehr oder weniger auf der Flucht verbracht – nachdem sein Nachbar in Leipzig seiner Ansicht nach versucht hatte, ihn zu vergiften. „Sein Zustand ist in dieser Zeit nicht besser, sondern schlechter geworden“, sagte Lechner. „Er muss sich jetzt überhaupt erst einmal mit dem Gedanken befassen, dass er psychische Probleme hat.“Eine Therapie oder gar Medikamente hatte der Angeklagte bislang verweigert.
Weil der Revisionsantrag nach dem ersten Urteil von der Staatsanwaltschaft kam, haben die beiden Anwälte nun noch die Möglichkeit, ebenfalls Revision einzulegen. Damit würde der Fall erneut vor dem Bundesgerichtshof landen. Schmitt sagte dazu auf Nachfrage der LZ: „Karlsruhe ist ein schönes Städtchen.“