Streit um dienstliche E-Mails nach Feierabend
Porsche-Betriebsratschef schlägt automatische Löschung vor – ZF ist offen für Idee
STUTTGART/RAVENSBURG (dpa/ mih/ts) - Mit einem überraschenden Vorschlag hat Uwe Hück, Betriebsratschef beim Stuttgarter Autobauer Porsche, eine Debatte unter Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgelöst. Hück fordert aus Sorge vor zu hoher Arbeitsbelastung die Löschung dienstlicher E-Mails während der Freizeit.
Mailkonten von Mitarbeitern sollten im Zeitraum zwischen 19 Uhr und 6 Uhr sowie am Wochenende und im Urlaub gesperrt werden, sagte Hück am Montag in Stuttgart. „Abends noch Mails vom Chef lesen und beantworten, ist unbezahlte Arbeitszeit, die den Stress erhöht – das geht gar nicht.“Mails, die in dieser Zeit eintreffen, sollten automatisch an den Absender zurückgeschickt werden und nicht mehr in der Mailbox des Mitarbeiters vorhanden sein, also automatisch gelöscht werden. Hück peilt eine entsprechende Betriebsvereinbarung an.
Der Automobilzulieferer ZF hält den Vorschlag grundsätzlich für sinnvoll. „Die Trennung von Arbeitszeit und Freizeit ist für die Beschäftigten die Regel“, sagte ein Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall weist die Forderung dagegen als „Populismus pur“zurück. Nur ein Bruchteil der Arbeitnehmer habe in einer Umfrage erklärt, dass Vorgesetzte eine andauernde Erreichbarkeit erwarten.
RAVENSBURG - Nach einem langen Tag entspannt zu Hause auf der Couch die Füße hochlegen und abschalten. Das ist längst für viele nicht mehr die Realität im Arbeitsalltag. Denn das Büro ist über Smartphone, Laptop oder Tablet mittlerweile überall. So werden auch nach Feierabend noch E-Mails gecheckt oder Anweisungen getippt. Doch das soll sich ändern – zumindest wenn es nach Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück geht. Er will eine entsprechende Betriebsvereinbarung auf den Weg bringen.
Der Arbeitnehmervertreter des Autobauers ist in Sorge, dass die Arbeitsbelastung für Beschäftigte zu hoch wird. Daher fordert er, dass dienstliche E-Mails in der Freizeit erst gar nicht ankommen – und gelöscht werden. „Abends noch Mails vom Chef lesen und beantworten, ist unbezahlte Arbeitszeit, die den Stress erhöht – das geht gar nicht“, sagte der Porsche-Betriebsratschef der Nachrichtenagentur dpa. In der Freizeit, am Wochenende oder im Urlaub ankommende Mails sollen an den Absender zurückgesendet werden und beim Empfänger gar nicht erst im Postfach landen. Das eigene Unternehmen hält die Forderung Hücks für „diskussionswürdig“, wie ein Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“mitteilt. Zu gegebener Zeit will sich der Vorstand mit dem Betriebsrat zusammensetzen und darüber beratschlagen. Abgesprochen sei es nicht gewesen, Hück damit im Alleingang vorgeprescht.
ZF hält Trennung für sinnvoll
Der Autozulieferer ZF mit Sitz in Friedrichshafen (Bodenseekreis) hält die Forderung Hücks grundsätzlich für sinnvoll. Das Unternehmen gibt an, dass eine Trennung von Arbeitszeit und Freizeit für die Beschäftigten des Milliarden-Konzerns die Regel sei. „Dazu gehört auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Smartphones, den jeder auch selbst steuern kann, indem er seinen EMail-Eingang beispielsweise nicht nach Feierabend oder am Wochenende prüft“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens.
Eine Regelung oder Löschfunktion gebe es allerdings nicht. „Auch keine Überlegungen dazu“, sagt der Sprecher. Für die Zukunft ausgeschlossen sei es aber nicht. Allerdings hätte auch nicht jeder Mitarbeiter ein Smartphone und damit auch keinen E-Mail-Zugang. Aber: „Ein Werks- oder Produktionsleiter muss im Notfall erreichbar sein. Das sind dann begründete Ausnahmefälle, bei denen es auch um die Sicherheit der Beschäftigten und Produktionsstätten geht – und das hat dann Vorrang“, erläutert der ZF-Sprecher weiter. Verbindlich sei selbstverständlich die Arbeitszeitregelung des Gesetzgebers. „Die gilt natürlich für alle.“Diese besagt, dass nach einer zehnstündigen Arbeitsphase eine Pause von elf Stunden Pflicht ist. „Stempelt sich ein Mitarbeiter abends um zehn Uhr aus, darf er nicht vor neun Uhr am kommenden Tag zur Arbeit kommen“, sagt der Sprecher.
Andere Unternehmen halten sich mit Stellungnahmen zu der Forderung von Uwe Hück zurück. Vom Medizintechnikhersteller Aesculap aus Tuttlingen kommt auf Nachfrage eine Absage, auch der Pharmakonzern Vetter aus Ravensburg will sich nicht äußern. Der Technologiekonzern Carl Zeiss aus Oberkochen (Ostalbkreis) und der Mischkonzern Liebherr aus Biberach geben ebenso wie die Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben keine Stellungnahmen ab.
493 Millionen Überstunden 2016
Das Problem ist in der deutschen Wirtschaft aber kein kleines: Denn die Forderungen des Porsche-Betriebsratschefs nach mehr Freizeit sind offenbar nicht aus der Luft gegriffen. Schließlich haben Beschäftigte in Deutschland 2016 mehr als 493 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet. Das berichtet die Nachrichtenagentur dpa mit Verweis auf eine Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken. Allerdings sei die Zahl 2012 um rund 70 Millionen höher gewesen. Zudem fühlten sich laut einer am Montag veröffentlichten Umfrage des Branchenverbands Bitkom immer mehr Berufstätige verpflichtet, auch in der Ferizeit erreichbar zu sein. 73 Prozent gaben an, zwischen den Jahren zwar Urlaub zu haben, für Vorgesetzte, Kollegen oder Kunden aber ansprechbar zu sein. Im vergangenen Jahr waren es noch 65 Prozent.